So funktioniert die elektronische Aufenthaltsüberwachung in Spanien

Spanien gilt als Vorreiter bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Mit GPS-gestützten Armbändern schützt das Land Opfer vor Gewalttätern. Ist das spanische Modell ein Vorbild für Deutschland?

Spanische Frauen demonstrieren gegen Machismo. Nun soll eine elektronische Fußfessel vor Gewalt schützen.

Foto: picture-alliance / dpa |epa efe Pastor

Der Wendepunkt in Spaniens Kampf gegen „häusliche Gewalt“ war der kaltblütige Mord an Ana Orantes. Ihre Geschichte, die sie mutig in einer Fernsehsendung erzählte, löste eine Bewusstseinsänderung aus und führte zu Gesetzen, die den Schutz der Opfer in den Mittelpunkt rückten. Sie erzählte damals bewegend, wie ihr Ex-Ehemann sie über vier Jahrzehnte physisch und psychisch misshandelt hatte. Im Dezember 1997 übergoss dieser Mann Ana Orantes mit Benzin und zündete sie an, nur wenige Tage nach ihrem öffentlichen Auftritt. Ihr grausamer Tod war ein Weckruf für Spanien und führte zum Ruf nach Reformen und Schutzmaßnahmen für die Gewaltopfer. Spanien änderte in der Folge Gesetze, um Frauen besser vor Gewalt zu schützen.

Auch Schleswig-Holstein bekämpft häusliche Gewalt mit „spanischer Fußfessel“

Nachdem der Landtag eine Gesetzesreform beschlossen hat, kann die elektronische Fußfessel nach spanischem Modell in Schleswig-Holstein eingesetzt werden.

Seit dem 1. Januar 2003 sind in Spanien 1.237 Frauen infolge geschlechtsspezifischer Gewalt gestorben, und 428 Kinder haben seit 2013 ihre Mütter verloren. Spanien erfasst diese Zahlen und Daten, um das Ausmaß des Problems zu verstehen. Und um angemessen darauf zu reagieren. Das Ministerium für Gleichstellung der spanischen Regierung veröffentlicht regelmäßig Informationen zu geschlechtsspezifischer Gewalt auf einer eigenen Internetseite.

Im Jahr 2004 verabschiedete das spanische Parlament ein Gesetz über umfassende Schutzmaßnahmen gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Es beginnt mit den Worten: „Geschlechtsspezifische Gewalt ist keine Privatsache. Im Gegenteil. Sie ist das brutalste Symbol für die Ungleichheit, die in unserer Gesellschaft herrscht. Sie ist Gewalt, die sich gegen Frauen richtet, nur weil sie Frauen sind und weil sie von ihren Angreifern als rechtlos angesehen werden – ohne die elementarsten Rechte wie Freiheit, Respekt und das Recht auf eigene Entscheidungen.“ Spanien bietet seit fast zwei Jahrzehnten viele Hilfestellungen zum Schutz der Opfer. Das Hilfssystem beruht laut der Expertenkommission GREVIO des Europäischen Rates zur Umsetzung der Istanbul-Konvention auf der guten Zusammenarbeit zwischen den Strafverfolgungsbehörden, spezialisierten Gerichten, den Gesundheitsdiensten und den Einrichtungen, die Rechtsberatung für Frauen anbieten. Spanien hat mit „VioGén“ ein umfassendes Überwachungssystem für geschlechtsspezifische Gewalt. Das System erfasst alle gemeldeten Fälle in Spanien und dient der Polizei zur Risikobewertung bei „häuslicher Gewalt“. In Hochrisikofällen kann das Umgangsrecht des Vaters für gemeinsame Kinder zum Schutz der Frau ausgesetzt werden.

Armbänder schützen Opfer

Seit 2009 können Gerichte in Spanien auch das Tragen einer elektronischen Fußfessel anordnen, um Kontakt- und Annäherungsverbote von Gewalttätern zu überwachen. Spanien verwendet auch Armbänder, ähnlich einer Smartwatch, um Opfer zu schützen. Die Einführung der GPS-gestützten Überwachung war eine Reaktion auf die Erkenntnis, dass herkömmliche Methoden wie gerichtliche Kontakt- und Annäherungsverbote oft nicht effektiv waren und Opfern keinen Schutz boten. Das spanische Modell unterscheidet sich grundlegend von der in Deutschland verwendeten Methode. Täter und Opfer tragen in Spanien ein elektronisches GPS-Gerät bei sich. Beim Täter ist es am Körper fixiert, die zu schützende Person trägt es wie ein Smartphone bei sich. Sobald der Abstand zwischen beiden weniger als 500 Meter beträgt, schlägt das System Alarm, und die Polizei kann schnell reagieren. Das Opfer wird kontaktiert und nicht alleingelassen. Die Leitstelle lotst die Polizei zum Einsatzort. Die Polizei wird auch alarmiert, wenn das elektronische Armband entfernt wird oder defekt ist.

Anne und ihr kleiner Sohn Noah sind auf einem schwarz-weiß Foto. Der Ex-Mann tötete beide in ihrem Auto, mit einem Messer. In Deutschland kommt es alle drei Tage zu einem Femizid.

Chronik eines angekündigten Todes

Alle drei Tage tötet in Deutschland ein Mann seine (Ex-)Frau. Tut der Staat genug, um diese Frauen zu schützen? Der Fall von Anne, die 2017 gemeinsam mit ihrem kleinen Sohn Noah getötet wurde, zeigt: Nein, tut er nicht.

„Wenn es uns gelungen wäre, sie im Laufe der Jahre zu schützen, würden heute noch 200 Frauen leben.“

Marisa Soleto

Mit der Einführung des spanischen Modells im Jahr 2009 sank tatsächlich die Zahl der ermordeten Frauen signifikant: 55 getötete Frauen im Jahr 2009 gegenüber 76 im Vorjahr. Ein Minus von 26,7 Prozent. Es ist jedoch schwierig zu sagen, wie viele Taten tatsächlich verhindert wurden. Die Statistik legt nahe, dass die neuen Gesetze, das gesteigerte öffentliche Bewusstsein und der Einsatz der elektronischen Armbänder vielen Frauen das Leben gerettet haben. Noch in den 2000er-Jahren wurden in Spanien jedes Jahr durchschnittlich rund 70 Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Seit 2012 sind es jeweils um die 50. Die spanischen Behörden haben von 2012 bis heute in 12.860 Fällen elektronische Überwachungen angeordnet. Laut der Regierungsdelegierten für den Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt, Victoria Rosell, wurde im Rahmen des Überwachungsprogramms keine Frau getötet.

Die beiden Journalistinnen Laura Backes und Margherita Bettoni haben für ihr Buch „Alle drei Tage – Warum Männer Frauen töten und was wir dagegen tun müssen“ intensiv zum Thema recherchiert. Sie kommen mit Blick auf das spanische Modell zu dem Schluss: „Diese Option garantiert Gewaltopfern indirekten Polizeischutz, ohne dabei immense Personalkosten zu verursachen.“ Im GREVIO-Abschlussbericht heißt es dazu: „Dies ist ein nützliches Mittel, um der Schutzanordnung einen echten Sinn zu geben und den Frauen zu helfen, sich sicherer zu fühlen.“ Allerdings stellte GREVIO auch eine gravierende Schwachstelle im spanischen System fest: Ein erheblicher Prozentsatz der Frauen, die von ihren Partnern oder Ex-Partnern getötet wurden, seien von den Behörden zuvor als Fälle mit geringem Risiko eingestuft worden. Das werfe die Frage auf, ob Verstöße in diesen Fällen „zu leichtfertig“ behandelt werden. Die Leiterin der Frauenstiftung Fundación Mujeres, Marisa Soleto, weist auf diejenigen Frauen hin, die zwar Anzeige erstattet hatten, aber trotzdem ermordet wurden. „Wenn es uns gelungen wäre, sie im Laufe der Jahre zu schützen, würden heute noch 200 Frauen leben“, sagte sie der Zeitung „El País“. „Das ist das größte Versagen in dieser ganzen Zeit.“

Rückschritt durch rechte Parteien?

Das Beispiel Spaniens verdeutlicht, wie wichtig der politische Wille für den Opferschutz ist: Sowohl die konservative Partei Partido Popular (PP) als auch die rechtsextreme VOX würden gern die Mittel für die Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt kürzen und Gesetze zum Schutz der Frauen wieder aufheben, sie haben damit die Stimmung im Land mächtig aufgeheizt. Doch dann küsste der inzwischen zurückgetretene spanische Fußball-Verbandschef die Frauen-Nationalspielerin Jenni Hermoso nach gewonnener Fußball-WM ungefragt auf den Mund. Der sexuelle Übergriff vor laufenden Kameras und die darauf folgende Debatte im Land – Hermoso berichtete von Morddrohungen – rief vielen Menschen im Land wieder in Erinnerung: Der Kampf gegen den „Machismo“ ist noch lange nicht gewonnen.

Im November 2023 waren in Spanien 4.180 elektronische Armbänder aktiv.

Link zur Internetseite der spanischen Regierung zum Thema geschlechtsspezifische Gewalt:
https://tinyurl.com/beispielspanien