Versperrter Ausweg

Die Flucht in ein Frauenhaus ist für Betroffene manchmal die einzige Möglichkeit, sich häuslicher Gewalt zu entziehen. Doch es mangelt bundesweit an freien Plätzen für Frauen und deren Kinder. Das bedeutet: In einer Notsituation gibt es für sie oft keinen Zufluchtsort.

Frauenhäuser sind Zufluchtsorte für von Gewalt Betroffene und deren Kinder, wenn sie keine Möglichkeit haben, zum Beispiel bei Freunden und Verwandten unterzukommen. So weit die Idee. Faktisch besteht diese Option aber nicht immer, wenn sie akut benötigt wird. Denn die Einrichtungen in Deutschland sind schlichtweg überlastet. Und wenn es doch freie Plätze gibt, liegen diese möglicherweise weit entfernt vom Wohnort der Schutzsuchenden und sind häufig nach nur wenigen Stunden schon wieder belegt. Zu diesen Ergebnissen kommt eine bundesweite Datenauswertung des gemeinnützigen Recherchebüros „Correctiv.Lokal“.

Grundlage der Analyse sind die Daten, die im Jahr 2022 auf www.frauenhaus-suche.de abrufbar waren. Auf der Webseite der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser werden seit Mai 2021 die Kapazitäten der Schutzeinrichtungen aus dem ganzen Bundesgebiet verzeichnet. Diese wurden von der Correctiv-Redaktion ein Jahr lang täglich dreimal auf freie Plätze hin abgefragt. War für eine Einrichtung bei allen drei Abfragen kein freier Platz gelistet, wurde sie an diesem Tag als voll belegt gewertet. Berücksichtigt wurden nur Häuser, die das ganze Jahr über in Betrieb waren und an mindestens 80 Prozent der Tage ihren Status angegeben haben. 200 Einrichtungen erfüllten die Anforderungen. In ­Berlin, Hamburg und Bremen überwand kein Haus diese Hürde, sie sind daher nicht in der Analyse vertreten.

Die ernüchternde Erkenntnis: An durchschnittlich 303 Tagen meldeten die ausgewerteten Häuser Voll­belegung, so dass sie keine weiteren Schutzsuchenden mehr aufnehmen konnten. Die Punkte auf unserer Deutschlandkarte (siehe Seite 25) bilden die Anzahl und auch Verteilung der einzelnen Frauenhäuser in den unterschiedlichen Regionen und innerhalb der Bundesländer ab. Die eingefärbten Punkte spiegeln die Belegungssituation der analysierten Einrichtungen wider: Die Farbe Gelb – gleichbedeutend mit einer Belegungsquote von mehr als 75 Prozent im Jahresdurchschnitt – dominiert. Wie schlimm die Situation und vor allem wie groß der Bedarf an Plätzen ist, beschreibt eine Frauen­haus-Mitarbeiterin aus Bergisch Gladbach laut einer Mitteilung von Correctiv: „Für jeden freien Platz, den wir haben, rufen pro Tag etwa vier bis fünf Frauen an. Von daher sind wir immer voll.“

Beim Blick auf die durchschnittliche Belegungsquote der analysierten Einrichtungen in den 13 Bundesländern zeigt sich, dass es die höchsten Werte in Schleswig-­Holstein (93,11 Prozent), Hessen (91,60 Prozent) und Rheinland-Pfalz (91,41 Prozent) gab. „Frauenhäuser waren dort durchschnittlich an 9 von 10 Tagen voll ausgelastet“, heißt es dazu in der Mitteilung. Sachsen belegte mit einer Quote von 46,25 Prozent zwar den besten Platz – dieser Wert hat jedoch nur eine beschränkte Aus­sagekraft: Während in Hessen und Rheinland-Pfalz alle erfassten Häuser berücksichtigt werden konnten und in Schleswig-Holstein immerhin noch 14 von insgesamt 18, konnten in Sachsen nur fünf von landesweit 19 Einrichtungen analysiert werden, die die Anforderungen erfüllten. Das relativ gesehen gute Ergebnis könnte daher in einem statistischen Effekt begründet sein, der aus dem Meldeverhalten der Frauenhäuser resultiert. Dies gilt in ähnlichem Maße für alle ostdeutschen Länder.

Betrachtet man nur die Länder, in denen sämtliche ­Frauenhäuser in die Auswertung eingingen, erreicht das Saarland den besten Wert. Dort waren die Einrich­tungen im Jahr 2022 durchschnittlich zu 77,26 Prozent belegt. Das bedeutet aber: Nicht einmal jedes vierte Haus konnte Schutzbedürftigen einen Platz anbieten.

Transparenzhinweis: Die komplette Recherche ist auf der Internetseite www.correctiv.org zu lesen und wurde mit dem Reporterpreis 2023 in der Kategorie „Datenjournalismus“ ausgezeichnet. Der WEISSE RING hat das gemeinnützige Recherchebüro Correctiv im Jahr 2021 bei dem Projekt „Menschen – Im Fadenkreuz des rechten Terrors“ unterstützt.