
HÖREN
Der Germanwings-Absturz
Der Germanwings-Absturz – zehn Jahre ohne euch. ARD Audiothek
Stefanie Assmann und ihr neunjähriger Sohn Christian sitzen auf dem Sofa vor dem Kamin, in dem ein kleines Feuer brennt. Sie schauen sich gemeinsam ein Video an, dass Christian und seine Schwester Linda zeigt. Aufgenommen worden ist es in Lindas Zimmer, vor einer roten Wand voller Bilder, als Selfie-Video. Die Geschwister sagen im Wechsel die einzelnen Worte: „Ich hab’ dich lieb.“ Manchmal, berichtet die Mutter gegenüber Journalistin Justine Rosenkranz, schaue Christian zum Himmel und spreche die Worte nach, die er im Video zu seiner Schwester sagte. „Und stellst dir vor, Linda würde antworten, ne?“, fragt sie ihren Sohn. „Mhm“, bestätigt er.
Stefanie Assmanns Tochter und Christians Schwester Linda ist 2015 beim Flugzeugabsturz der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen ums Leben bekommen. Seit dem Unglück schauen sich Mutter und Sohn das Geschwister-Video immer mal wieder an. „Das gucke ich mir gerne an, weil das so aus dem Leben ist. So ungestellt und nicht wie bei einem Fotografen, schön gemacht“, sagt Assmann.
Diese Szene stammt aus dem Podcast „Der Germanwings-Absturz – Zehn Jahre ohne euch“ und wurde bereits neun Monate nach dem Absturz aufgenommen. Mit viel Feingefühl ging Journalistin Justine Rosenkranz Ende 2015 auf Angehörige von Opfern zu, im Podcast berichtet sie: „Ein gutes halbes Jahr, nachdem das Flugzeug abgestürzt ist, überwinde ich mich und rufe bei knapp 20 Familien an, die jemanden verloren haben. Ich frage sie, ob sie sich vorstellen könnten, mir ein Interview zu geben, denn ich glaube, dass nur die Geschichten von Angehörigen das emotionale Leid so einer Katastrophe richtig greifbar machen können. Ich möchte wissen, wie es den Familien geht, wie sie es schaffen, mit dem Verlust zu leben. Aber darf ich sie das fragen? Wie würde ich reagieren, wenn mich eine Journalistin anrufen würde, um mit mir über den Tod meines Kindes zu sprechen? Ich weiß es nicht. Und deshalb fällt es mir erst schwer, den Kontakt aufzunehmen. Alle, die ich anrufe, reagieren freundlich, was mich erleichtert, aber sie sagen alle, dass sie nicht oder noch nicht dazu in der Lage sind, darüber zu sprechen. Also fast alle … Denn eine ist mit einem Treffen einverstanden: Stefanie Assmann.“ Die Frauen sind sich direkt sympathisch und gleich per Du.
In sechs Folgen lernen die Hörerinnen und Hörer des Podcasts die Assmanns besser kennen, über zehn Jahre begleitete die Journalistin die Familie und zeigt, was es heißt, mit so einem einschneidenden Erlebnis umzugehen. Christian etwa, den wir zu Beginn des Podcasts als Neunjährigen kennengelernt haben, ist mittlerweile 19 Jahre alt und steht kurz vor dem Abitur. Er hat das Zimmer seiner Schwester übernommen, aber nichts verändert. Stefanie Assmann hat mittlerweile eine Fortbildung zur Trauerbegleiterin gemacht. Der Schmerz habe sich nicht verändert, sagt sie. Vielleicht aber der Umgang mit ihm. „Manchmal sitze ich hier und heule mir die Augen aus dem Kopf“, sagt sie. Und irgendwann sei es dann wieder gut.
Der Podcast ist ruhig und langsam erzählt, es gibt Pausen zum Durchatmen. Er ist nicht leicht zu hören, er geht ans Herz und rührt manchmal zu Tränen. Aber dieser Podcast ist wichtig: Er gibt Betroffenen eine Stimme. Neben Stefanie Assmann kommen weitere Angehörige zu Wort, die Menschen bei diesem Unglück verloren haben. Dadurch wird deutlich, wie unterschiedlich die Herangehensweisen von Menschen sind, mit einem solchen Verlust umzugehen, der alles verändert. In jeder Minute ist dem Podcast anzuhören, dass es sich um ein Langzeit- und vor allem Herzensprojekt der Journalistin handelt.
ardaudiothek.de/sendung/der-germanwings-absturz-zehn-jahre-ohne-euch-wdr/14097575/
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