„Wachsende Polarisierung und Radikalisierung“

Politisch motivierte Straftaten nehmen zu. Die größte Bedrohung kommt von rechts.

Politisch Motivierte Kriminalität

„Solingen trauert …“, Gedenken der Opfer des Attentats von Solingen in der Nähe des Tatortes Fronhof am 01.09.2024. Beim „Fest der Vielfalt“ zum 650. Geburtstag der Stadt Solingen hatte ein Attentäter am Freitag vergangener Woche mehrere Personen mit einem Messer attackiert. Ihm wird unter anderem dreifacher Mord und die Mitgliedschaft in der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) vorgeworfen. Foto: picture alliance / epd-bild | Guido Schiefer

Im Jahr 2024 haben die Delikte bei der politisch motivierten Kriminalität (PMK) laut Bundeskriminalamt (BKA) mit 84.172 – plus 40,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr – den höchsten Stand seit der Erfassung erreicht. Innerhalb von zehn Jahren haben sich die Zahlen mehr als verdoppelt. Gut die Hälfte aller politischen Straftaten sind rechtsradikal motiviert: 42.788. Hier gab es mit 47,8 Prozent den größten Zuwachs. Linksextreme Straftaten legten um 28,2 Prozent auf 9.971 zu. Um 42 Prozent stiegen die Taten mit ausländischer Ideologie an, auf 7.343, religiös motivierte Straftaten wuchsen um 28,7 Prozent auf 1.877.

Rechtsextremismus bleibt damit die größte Gefahr für die innere Sicherheit. Auch die meisten politisch motivierten Gewaltstraftaten wurden von rechten Tätern begangen: 1.488 – plus 17,2 Prozent. Linke Gewaltstraftaten gingen um 16,8 Prozent auf 762 zurück. Den stärksten Zuwachs verzeichneten Gewaltdelikte mit ausländischer Ideologie, die um 98,6 Prozent auf 975 Fälle anstiegen. Das BKA erkennt in den Zuwachsraten eine „wachsende Polarisierung und Radikalisierung in der Gesellschaft“.

Fotostrecke "Rechtes Land" von Julius Schien.

Ein fotografisches Denkmal für Opfer rechter Gewalt

Seit vier Jahren reist der Fotograf Julius Schien durch Deutschland, um Tatorte rechter Gewalt zu dokumentieren.

Bei den Hassstraftaten sind mehr als zwei Drittel rechtsmotiviert. Verantwortlich ist dafür vor allem der erneute Anstieg fremdenfeindlicher Straftaten in dem Bereich, auf 19.481 (plus 29,1 Prozent). Mehr als zwei Drittel davon, nämlich 14.579 Taten (plus 25,7 Prozent), waren rechtsmotiviert, gefolgt von 2.451 Fällen mit ausländischer Ideologie (plus 53,5 Prozent). Zudem gab es 175 linke Hassdelikte (plus 127,3 Prozent).

Bei Hasskriminalität werden Opfer aufgrund von Vorurteilen etwa gegen Nationalität, Religion, Beeinträchtigung oder geschlechtliche Identität angegriffen. Aus der Antwort des BKA auf eine Anfrage des WEISSER RING Magazins zu den häufigsten Angriffszielen der PMK geht hervor, dass die Opfer 2024 in 7.504 Fällen religiöse Repräsentanten waren, in 4.332 Fällen Polizeiangehörige, in 4.027 Fällen Amtsträger, in 3.541 Fällen Mandatsträger (ein Delikt kann mehrere Ziele haben).

Asylsuchende wurden ebenfalls besonders häufig attackiert, insgesamt 2.369-mal. Bei den Zahlen zu den Betroffenen zeigt sich ebenfalls eine steigende Tendenz. Alarmierend ist auch die Entwicklung bei den jungen politisch motivierten Tatverdächtigen: Zählte das Bundeskriminalamt 2023 noch 7.693 mutmaßliche Täter unter 21 Jahren, waren es im vergangenen Jahr 11.282.

Im vergangenen Jahr registrierte das BKA elf versuchte und drei vollendete politisch motivierte Tötungsdelikte. Bei Letzteren wurden zwei im Bereich religiöse Ideologie, einer im Bereich „sonstige Zuordnung“ gemeldet. Dieser erfasst Delikte, die nicht eindeutig in eine der vier Hauptkategorien fallen. Von den versuchten Tötungen waren sechs rechtsmotiviert, zwei wurden einer ausländischen Ideologie und drei einer religiösen zugerechnet.

Für die Sicherheitsbehörden zählen Straftaten der letztgenannten Kategorie zu den fortwährenden großen Herausforderungen. Die Zahl der Delikte mit Terrorismusqualität ist hier von 94 im Jahr 2023 auf 105 im Jahr 2024 gestiegen. Die Steigerung bei der Zahl aller Taten aufgrund von religiöser Ideologie hänge in erster Linie mit dem Nahostkonflikt zusammen. Das BKA spricht von einer „hohen Gefährdungslage“, die vom islamistischen Terrorismus und insbesondere von allein handelnden Personen und autonomen Gruppen ausgehe. Ein Grund sei die „zunehmende Online-Radikalisierung“.