Der Gestalter

Vorträge an Unis, Podcasts mit Influencern, der WEISSE RING auf Bierdeckeln: Marvin Brandes weiß, wie man junge Menschen für Opferschutz interessiert.

Marvin Brandes ist Jugendbeauftragter in Hamburg, aktiv bei den Jungen Mitarbeitenden auf Bundesebene und Host des neuen WR-Podcasts.

November in Hamburg, die Luft ist kalt, der Himmel grau. Kurz vor Beginn der Adventszeit scheint fast alle Farbe aus der Hansestadt gewichen zu sein, und wer an diesen Tagen an der Binnenalster spaziert, tut dies meist dick eingepackt, zum Schutz vor den Temperaturen des Herbstes im Norden. Doch die dunkle Tristesse hat auch gute  Seiten, sie lässt einige Inseln des Lichts besonders hell leuchten. Marvin Leon Brandes arbeitet auf einer dieser Inseln, am Rathausmarkt. Mit Blick auf den gerade im  Aufbau befindlichen Weihnachtsmarkt eröffnet sich eine Welt, in der der Herbstblues keine Chance hat: Lampen und Leuchten in allen Formen und Farben, manche klein und zurückhaltend, andere groß und extravagant wie moderne Skulpturen. Und in ihrer Mitte: ein junger Mann mit kurzen Haaren und strahlenden Augen. Licht ins Leben  anderer Menschen zu bringen, ist sein Beruf – und in gewisser Weise haben ihn die Lampen zum WEISSEN RING gebracht.

Eine Begegnung mit Folgen

Im Jahr 2015 ist Marvin Brandes gerade auf dem Weg zur Möbelfachschule in Köln, als er im Zug einen Mann aus Rheinland-Pfalz trifft. Es ist Dr. Steffen Schemmann,  ein zu diesem Zeitpunkt ehrenamtlicher Mitarbeiter des WEISSEN RINGS in Bad Kreuznach. Die beiden kommen ins Gespräch, Schemmann erzählt ihm von  Deutschlands größter Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer. Der Verein und seine professionelle Struktur wecken sofort Brandes‘ Interesse. „So bin ich zum WEISSEN  RING gekommen. Kaltakquise sozusagen“, erinnert er sich und lacht. Jetzt ist er schon mehr als zehn Jahre dabei und will sich unbedingt nochmal bei Schemmann „für dieses tolle Gespräch und diese Inspiration“ bedanken.

2017 ist Brandes nach Hamburg gezogen, dort kam er mit der Jungen Gruppe des Vereins in Kontakt. „Die Junge Gruppe hier in Hamburg ist so gut vernetzt und versteht  sich so gut, dass da auch Freundschaften daraus entstanden sind“, sagt Brandes.

Lea Gärtner / Foto: Selina Stiegler

Die Visionärin

Noch gehört Lea Gärtner mit ihren 34 Jahren zu den Jungen Mitarbeitenden des WEISSEN RINGS, ist aber schon seit mehr als zehn Jahren im Verein aktiv und mittlerweile stellvertretende Landesvorsitzende in Hessen. Gärtner hat in der Zeit viel bewegt.

Ein starkes Team

Seit 2021 ist er Jugendbeauftragter in der Hansestadt. „Ich mache das zusammen mit Inna Avdeeva und bin froh, dass wir das gemeinsam tun.“ Avdeeva und Brandes  verbindet nicht nur das Amt: „Wir wohnen im selben Stadtteil. Wir sind beide seit zehn Jahren beim WEISSEN RING. Wir haben beide am selben Tag Geburtstag. Wir  haben wirklich viele Überschneidungen und ich glaube, wir ergänzen uns ganz gut.“

Damit der Verein sichtbar ist, planen die Jungen Mitarbeitenden öffentlichkeitswirksame Aktionen. „Wir sind in Hamburg bekannt für unsere sportliche Aktivität und  nehmen mindestens an zwei, drei Läufen im Jahr teil. Wir sind an Universitäten, um den Verein vorzustellen, verteilen im Uni-Kino Goodie-Bags von uns und WEISSER-RING-Bierdeckel in Bars.“

Ein besonderer Podcast

Auf Bundesebene ist er ebenfalls bei den Jungen Mitarbeitenden aktiv. Ein Projekt der Gruppe ist der Podcast „LautStark. (K)ein True-Crime-Podcast“. Das Ziel ist klar:  „Wir wollen Betroffenen eine Stimme geben, deshalb auch der Name. Bei uns steht nicht die Tat im Mittelpunkt, sondern die betroffene Person und wie es danach für sie  weiterging“, so der Ehrenamtler.

Mit Lijana Kaggwa haben sie über das Thema Cybermobbing gesprochen. Die junge Frau war Finalistin bei „Germany’s Next Topmodel“, ist aus der Sendung ausgestiegen und wurde Opfer von Hass, Hetze und Morddrohungen. Außerdem dabei sind unter anderem Model Victoria Jancke, die vergewaltigt worden ist, sowie Philipp Pommer  und Lena Jensen. Die Content Creatoren haben eine große Reichweite auf Social Media und sprechen offen über das Thema Kindesmissbrauch. Beide wurden in ihrer  Jugend selbst Missbrauchsopfer. Mit Prominenten zu sprechen, sei zunächst aufregend gewesen. „Aber das legt sich eigentlich schnell, letztendlich ist das ein Mensch wie jeder andere auch“, so Brandes.

Um den Podcast zu realisieren, haben die jungen Ehrenamtlichen eine AG gegründet. Drei bis fünf Teammitglieder kümmern sich um die Recherche, stellen Anfragen und bereiten Fragenkataloge vor. „Inna und ich haben die Moderation übernommen, weil wir beide ganz gut harmonieren. Zu zweit fühlt man sich auch sicherer und kann sich die Bälle hin und her spielen.“ Auch gelegentliche Schmunzler baut Brandes ein, trotz – oder gerade wegen – des schweren Themas. Nach den jeweiligen Aufnahmen kümmern sich zwei Ehrenamtliche um den Schnitt, in Absprache mit Christian Ahlers, der den Podcast von hauptamtlicher Seite begleitet.

„Bei uns steht nicht die Tat im Mittelpunkt, sondern die betroffene Person und wie es danach weiterging“

Marvin Brandes

„Wir sind da aktuell sehr kosteneffizient unterwegs mit dem Podcast und dadurch, dass Inna und ich hier in Hamburg sind, haben wir keine Anfahrtskosten, können  vieles vor Ort regeln und nutzen unsere Kontakte, zum Beispiel für kostenfreie Studioaufnahmen.“ Als Nächstes soll der Podcast ein Logo und ein Cover bekommen. Für die  Webseite haben die Jungen Mitarbeitenden erste Ideen beim Dialogforum in Göttingen gesammelt. „Das ist ein richtiges Team-Projekt von den Jungen Mitarbeitenden mit Unterstützung aus dem Hauptamt“, freut sich Brandes.

Dahin gehen, wo die Jungen sind

Wer Brandes zuhört, merkt, dass er sich fürs Helfen begeistern kann und Freude am Gespräch mit Menschen mitbringt. Es ist ihm wichtig, seine Erfahrungen zu teilen  und Tipps zu geben, wie man die junge Zielgruppe erreichen kann: „Es ist nach wie vor das persönliche Vorstellen an Unis oder Schulen. Auch mehr mit Influencern  zusammenzuarbeiten, kann ich mir vorstellen.“ Und das, obwohl er selbst kaum soziale Medien nutze. Brandes ist sicher, dass das Engagement beim WEISSEN RING  besonders jungen Ehrenamtlichen etwas zurückgeben kann. „Die Hilfe, die wir geben, ist groß, auch wenn es vielleicht nicht immer materielle Hilfe ist. Das wird mir oft  von den Betroffenen gespiegelt. Das Zwischenmenschliche, das Zuhören, die Gespräche – einfach ein Gefühl der Sicherheit geben: ‚Du bist nicht allein, wir sind da.‘ Das  ist unsere größte Stärke, und das ist sicherlich auch für Neue attraktiv.“