Der Kommentar

Frauen sind in Deutschland mittlerweile gleichberechtigt – so denken viele. Aber frauenfeindliche Strukturen spüren gewaltbetroffene Frauen ganz besonders.

Julia Cruschwitz über Häusliche Gewalt

Verurteilungen für Taten häuslicher Gewalt sind selten. Und wenn, dann nur milde. Der Großteil der Verfahren wird eingestellt, selbst bei schweren Verletzungen. Aus Mangel an Beweisen, weil Aussage gegen Aussage steht – in dubio pro reo. Verfahren dauern Jahre, der Ermittlungseifer hält sich in Grenzen. In keinem Fall, den ich betrachtet habe, gab es eine ordentliche Spurensicherung, weder bei der verletzten Frau noch beim mutmaßlichen Täter. Betroffene sagen: Hätte ein Unbekannter mich angegriffen, wäre der Fall ganz anders behandelt worden. Wenn ein Mann seine Partnerin krankenhausreif schlägt, ist das in Deutschland häufig Privatsache. Der Täter fühlt sich im Recht und macht weiter. Im schlimmsten Fall bis zum Femizid: 133 Frauen wurden 2024 von ihren (Ex-)Partnern getötet.

Für Frauen besteht in Deutschland das größte Armutsrisiko, wenn sie sich trennen. Frauen lösen sich nicht aus gewalttätigen Beziehungen, weil sie vom Mann ökonomisch abhängig sind. Eine bezahlbare Wohnung zu finden, ist für eine mittellose Frau mit Kindern meist unmöglich. In der Schweiz und in Spanien bekommen Betroffene, die ins Frauenhaus fliehen, Geld vom Staat, um sich ein neues Leben aufbauen zu können. In Deutschland müssen sie den Platz im Frauenhaus oft selbst bezahlen.

Und wenn die Frau es schafft, sich zu trennen, gibt es Familiengerichte, die urteilen: Der Mann darf regelmäßig Umgang mit seinen Kindern haben. Das sei sein Recht. Sie muss weiter mit dem Kindesvater Kontakt haben. Und ihre Bedenken, dass ein gewalttätiger Mann vielleicht auch kein guter Vater ist, werden häufig weggewischt oder ihr sogar negativ ausgelegt: Sie wolle ihren Ex-Partner nur schlechtmachen. Frauen bekommen vom Familiengericht zu hören: Er hat doch nur sie geschlagen, nicht die Kinder. Wo ist das Problem?

Auf den Schultern der gewaltbetroffenen Frau lastet viel: ins Frauenhaus flüchten, Gewaltschutzantrag stellen, Arbeit aufgeben oder anders organisieren, umziehen, hohe Anwaltskosten bezahlen, die Kinder und sich selbst stabilisieren. Der Mann spürt meist nur leichte Konsequenzen: ein Annäherungsverbot für sechs Monate, manchmal eine Geldstrafe. Auflagen zur Therapie, zur Täterarbeit sind selten. In Österreich ist es Pflicht für jeden Mann, der bei einem Polizeieinsatz häuslicher Gewalt auffällig wurde, zur Täter-Beratung zu gehen. In Deutschland wird der Täter oft nicht mal über Angebote informiert. Proaktive Kontaktaufnahme der Beratungsstellen wird häufig vom Datenschutz verhindert.

So ändert sich im Denken des Täters nichts: Die Frau ist schuld an der Gewalt. Sie hat mich provoziert, ausgenutzt. Diese Schuldumkehr ist typisch, Verantwortung für das eigene Handeln wird an das Gewaltopfer übertragen. Und das tun auch Gesellschaft und Behörden. Gewaltbetroffene hören oft: Warum hast du dich nicht getrennt? Du hast ihn dir doch ausgesucht! Warum warst du so renitent? So werden Taten relativiert, so wird die Schuld den Betroffenen zugewiesen.

Wir müssen gewaltausübenden Männern sehr deutlich machen: Dein Handeln ist falsch. Auf allen Ebenen: strafrechtlich, familienrechtlich und gesellschaftlich. Gewalt wird nicht toleriert. Punkt.

Transparenzhinweis:
Julia Cruschwitz ist preisgekrönte Investigativjournalistin und recherchiert vor allem für den Mitteldeutschen Rundfunk. Besonders intensiv beschäftigt sie sich mit dem Thema Gewalt gegen Frauen. Mit ihrer Kollegin Carolin Haentjes hat sie das Buch: „Femizide. Frauenmorde in Deutschland.“ veröffentlicht.