„Entspannung ist nicht in Sicht“
Rechtsextreme Straftaten sind am stärksten gestiegen, doch auch in anderen Bereichen der Politisch Motivierten Kriminalität (PMK), etwa der „ausländischen Ideologie“, ist die Zahl der Delikte größer geworden. Im Interview mit dem WEISSER RING Magazin spricht BKA-Referatsleiterin Heike Pooth über Ursachen, Folgen und Gegenmittel.
Polizeibeamte der Spurensicherung stehen an einem Gleisabschnitt in Düsseldorf, dort wurde neben der Bahnstrecke Feuer in einem Kabeltunnel gelegt, 6 Kabel in Mitleidenschaft gezogen, diese müssen auf einer Länge von 60 Metern ausgetauscht werden. Die Tat soll laut FAZ einen linksextremistischen Hintergrund haben. Foto: picture alliance/dpa | Christoph Reichwein
Politisch motivierte Straftaten haben im Jahr 2024 deutlich zugenommen – auch im Phänomenbereich „ausländische Ideologie“: um 42 Prozent auf 7.343 Fälle. Wie bewerten Sie die Entwicklung und worin sehen Sie die Ursachen?
Dieser Trend setzt sich seit Jahren fort. Bereits 2023 hatten wir einen Anstieg gegenüber dem Vorjahr registriert, um 33 Prozent auf 5.170 Fälle. Konflikte und Ereignisse im Ausland wirken sich unmittelbar auf das Straftatenaufkommen
in Deutschland aus, insbesondere in einer Vielzahl von Veranstaltungen und Demonstrationen. Die wesentlichen Gründe für die gestiegenen Fallzahlen in den vergangenen Jahren sind der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und der fortwährend intensivierte Nahostkonflikt. In Zusammenhang mit Russland und der Ukraine waren die Delikte in jüngster Zeit eher rückläufig, im Kontext des Nahost-Konflikts haben sie stark zugenommen.
Mit Sorge betrachten wir, dass sich die Gewaltdelikte im Phänomenbereich Politisch Motivierte Kriminalität (PMK) „ausländische Ideologie“ von 2023 auf 2024 nahezu verdoppelt haben, von 491 auf 975. Darunter waren 467 Körperverletzungen, 361 Widerstandsdelikte und 109 Landfriedensbrüche. Auch hier geht es in erster Linie um die Auseinandersetzung im Nahen Osten. Schwerpunkt der Straftaten ist Berlin, wo zahlreiche pro-palästinensische Demonstrationen stattfinden, die teilweise gewalttätig verlaufen. Besonders betroffen sind jüdische und israelische Einrichtungen, überwiegend von Sachbeschädigung, aber auch Beleidigungen und Bedrohungen von jüdischen Personen sind zu konstatieren.
Weshalb spielen Demonstrationen eine so zentrale Rolle?
Bei ihnen zeigt sich ein hoher Grad an Emotionalisierung, wobei zum Teil antisemitische Inhalte einfließen. Das kann dazu führen, dass Veranstaltungen eskalieren. Wichtig ist die konsequente Verfolgung der Straftaten im Rahmen von Demonstrationen und Veranstaltungen.
Wie versucht das BKA, der Gefahr zu begegnen, und wie fällt Ihre Prognose aus?
Entspannung ist nicht in Sicht, gerade in Bezug auf den Nahostkonflikt, weil sich dort keine Lösung abzeichnet. Wir müssen mit einer weiteren Polarisierung und weiteren Straftaten rechnen, was zu Unsicherheit in der Bevölkerung führen kann. Die Konflikte im Themenbereich PKK/Kurden/Türkei und die damit verbundenen Delikte werden uns ebenfalls weiterhin beschäftigen. Das BKA ergreift deshalb verschiedene Maßnahmen: So führen wir einen intensiven Informationsaustausch mit den nationalen und internationalen Sicherheitsbehörden durch, bewerten permanent die Gefährdungslage, insbesondere auch für jüdische und israelische Einrichtungen und betreiben ein umfangreiches Internetmonitoring. Ein Ziel ist, Entwicklungen in anderen Ländern, die sich auf die Sicherheitslage in Deutschland auswirken könnten, frühzeitig zu erkennen. Hierzu kooperieren wir mit den Nachrichtendiensten.
Ein häufiger Kritikpunkt ist der mangelnde Informationsaustausch zwischen Behörden, der auch mit den Ländergrenzen zusammenhängt.
Das kann ein Problem sein. National haben wir einen etablierten Informationsaustausch im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum, in dem rund 40 Bundes- und Länderbehörden vertreten sind. Auch im Rahmen des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes für Politisch Motivierte Kriminalität melden die Bundesländer entsprechende Straftaten an das BKA. Auch der internationale Informationsaustausch ist eine wichtige Säule bei der Bekämpfung Politisch Motivierter Kriminalität, wobei dieser mit einigen Ländern schwierig ist. Instrumente wie die Vorratsdatenspeicherung würden die Bekämpfung der Politisch motivierten Kriminalität erleichtern.
„Ein Ziel ist, Entwicklungen in anderen Ländern, die sich auf die Sicherheitslage in Deutschland auswirken könnten, frühzeitig zu erkennen.“
BKA-Referatsleiterin Heike Pooth
Die Straftaten im Phänomenbereich der Politisch Motivierten Kriminalität „links“ sind insgesamt ebenfalls deutlich gestiegen, um gut 28 Prozent auf 9.971 Delikte im Jahr 2024, der Anteil der Gewaltdelikte ging gleichzeitig auf 762 Delikte zurück. Was sind die Gründe dafür?
Hauptgrund für den Anstieg der Straftaten im Phänomenbereich PMK „links“ war das Thema Wahlen. 2024 war ein Superwahljahr mit der Europawahl, drei Landtags- und mehreren Kommunalwahlen. Auch die erwarteten und dann tatsächlichen Wahlerfolge der AfD haben die linke Szene zusätzlich mobilisiert. Insgesamt waren Sachbeschädigungen, insbesondere an Wahlplakaten, und Beleidigungen die herausragenden Straftaten. Erfreulich ist allerdings, dass die Zahl der Gewaltdelikte der PMK „links“ gesunken sind um 16,81 Prozent auf 762 Delikte im Jahr 2024.
Der Rückgang der Gewaltdelikte ist vorrangig auf den Rückgang der gefährlichen Eingriffe in den Straßen-, Bahn- und Luftverkehr zurückzuführen. Der Phänomenbereich PMK „links“ ist stark geprägt von Ereignissen und Kampagnen, die viele Personen mobilisieren können, auch kurzfristig. Im Jahr 2023 wurde zum Beispiel Lützerath in Nordrhein-Westfalen aus Protest gegen die Erweiterung des Tagebaus besetzt und schließlich geräumt. Darüber hinaus gab es im Jahr 2023 eine Vielzahl von Blockadeaktionen der Letzten Generation sowie das Luftablassen der Tyre Extinguisher.
Diese Kampagnen haben sich in 2024 nicht fortgesetzt, sodass auch entsprechende Gewaltdelikte rückläufig waren. Darüber hinaus kann davon ausgegangen werden, dass erfolgreiche Ermittlungsverfahren, Festnahmen und Verurteilungen von zentralen Protagonisten der linken Szene Wirkung gezeigt haben, zum Beispiel die Antifa-Ost-Verfahren.
Der Flächenbrand
Rechte Straf- und Gewalttaten haben einen neuen Höchststand erreicht. Opferberatungsstellen schlagen Alarm.
Wie schätzen Sie die Gefahr durch Linksextreme grundsätzlich ein? Der Großteil der Gewaltdelikte bei der Politisch Motivierten Kriminalität kommt von rechts.
Wir betrachten die linksmotivierte politische Kriminalität mit Sorge, insbesondere auch weil dort einzelne schwere Gewaltdelikte und Straftaten mit hohen Schadenssummen verübt werden. Besorgniserregend sind vor allem klandestin agierende Kleingruppen, die mitunter höchst professionell, organisiert und „persönlich“ agieren, also gezielt Opfer aussuchen und teils schwer verletzen und nach den Taten untertauchen. Wir setzen bei der Verfolgung auf eine enge Zusammenarbeit mit den Ländern. Linksextremismus wird auch künftig eine Gefahr sein. Darauf deuten etwa Angriffe der Gruppe „Angry Birds“ auf das Bahnnetz hin. Auch das Thema „Antifaschismus“ und die aktive Bekämpfung von Personen des rechten Spektrums wird weiterhin ein zentrales Thema bleiben – gleiches gilt für die Themen „Antikapitalismus“, wie die Angriffe auf Wirtschaftsunternehmen, wie zum Beispiel Tesla, zeigen. Eine hohe Bedeutung haben weiterhin auch die Angriffe auf Kritische Infrastruktur wie etwa Bahnanlagen oder Bauprojekte mit zum Teil enormen Sachschäden.
Zur Person und Hintergrund
Heike Pooth ist Referatsleiterin im Polizeilichen Staatsschutz des Bundeskriminalamtes (BKA) in Meckenheim. Aufgabe der Abteilung ist die Bekämpfung der Politisch Motivierten Kriminalität (PMK), sie befasst sich mit der PMK „rechts“, „links“ und „ausländische Ideologie“. Dem letzten Bereich werden laut einer BKA-Definition Straftaten zugerechnet, wenn es bei den Umständen und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür gibt, dass eine aus dem Ausland stammende, nichtreligiöse Ideologie entscheidend für die Tat war, vor allem, wenn sie darauf abzielt, „Verhältnisse und Entwicklungen im In- und Ausland zu beeinflussen“. Bei der Kategorie religiöse Ideologie hingegen müssen Hinweise darauf vorliegen, dass diese Ideologie wesentlich für die Tatbegehung war und die Religion zur Begründung instrumentalisiert wurde, etwa bei Verbrechen von Terrororganisationen wie Al-Quaida oder dem sogenannten Islamischen Staat. Die Abgrenzung zur ausländischen Ideologie ist teils schwierig. Linksextremistische Taten liegen laut BKA zum Beispiel dann vor, wenn „Bezüge zu Anarchismus oder Kommunismus“ ganz oder teilweise Ursache waren, wobei das Delikt nicht das Ziel haben muss, die Freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik oder Teile davon abzuschaffen.
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