„Ich war wie in einer Schockstarre“
In Ludwigshafen tötete ein psychisch kranker Geflüchteter 2022 zwei Männer und verletzte einen weiteren Mann schwer. Nach der Tat wurde seine frühere Partnerin so massiv angefeindet, dass sie mehrfach umziehen musste. Das WEISSER RING Magazin hat die Frau zum Gespräch getroffen.

Foto: NÓI CREW
Eines sei ihr besonders wichtig, hat Ayana Ibrahimi (Name geändert) vor dem Treffen betont: Ihr neuer Wohnort dürfe auf keinen Fall bekannt werden. Das Gespräch findet in einem weitläufigen Park statt, an einem sonnigen Tag, an dem viele Menschen unterwegs sind. Ibrahimi ist pünktlich, nimmt auf einer Bank Platz. Während sie die Fragen beantwortet, schaut Ibrahimi oft kurz auf die Leute, die vorbeigehen.
Wie geht es Ihnen heute?
Mir geht es so weit gut. Ich lebe nicht mehr in der „Gefahrenzone“, sondern in einer anderen Stadt. Ich fühle mich hier sicherer, habe aber noch mit dem Trauma zu kämpfen. Das zeigt sich zum Beispiel, wenn ich jemanden sehe, der nicht bei Sinnen ist, vielleicht Drogen genommen hat und unberechenbar wirkt. Dann denke ich, jetzt kann alles passieren, und bekomme manchmal Panikattacken. In Ludwigshafen hat mich alles an die Tat erinnert, die Straßen, die Wohnung, der Tatort. Das hat mich aufgewühlt und mir Angst gemacht. Ich habe fünf Jahre in Ludwigshafen gelebt und die Stadt und viele Menschen gemocht. Doch schon kurz nach dem Attentat wusste ich, dass wir wegmüssen. Es ging um unsere Sicherheit. Für meine Kinder war es besonders schlimm. Sie wurden entwurzelt, haben geweint und in der neuen Umgebung lange gebraucht, um sich einzugliedern und Vertrauenspersonen zu finden. Sie mussten für etwas bezahlen, das sie nicht getan hatten.
Ihr früherer Partner hat in der Nähe Ihrer Wohnung im Stadtteil Oggersheim zwei Handwerker mit einem Messer getötet, einem der Männer den Arm abgetrennt und auf Ihren Balkon geworfen. Danach wurden Sie angefeindet. Welche Erfahrungen haben Sie in dieser Zeit gemacht?
Ich habe Trauer und Leere gefühlt. Und Wut auf mich. Nachbarn sagten nicht mehr „Hallo“, guckten weg, wenn sie mich sahen. Wahrscheinlich, weil sie die Tat mit mir verbunden und mir eine Mitschuld gegeben haben.

Psyche & Gewalt
Sind psychisch kranke Menschen gefährlicher als andere? Das WEISSER RING Magazin hat nach Antworten gesucht.
Ibrahimi weint und bittet um Verzeihung: Sie sei nah am Wasser gebaut. Die Frau, die vor einigen Jahren aus Afrika flüchtete, möchte die Ereignisse aus ihrer Perspektive schildern, auch weil dies bislang zu kurz gekommen sei, ringt aber nach wie vor mit dem, was passiert ist.
Als ich in einer Statusmeldung auf meinem Handy mit der Farbe Schwarz zum Ausdruck bringen wollte, dass ich auch traurig bin, Anteil nehme und an die Hinterbliebenen denke, antwortete mir eine Bekannte, ich könne mir das sonst wo hinstecken. Und das war noch harmlos. Andere sagten, ich müsse mit Racheaktionen rechnen, auch von Rechtsextremen, und damit, dass jemand in unsere Wohnung einsteigt. Irgendwann hatte ich panische Angst.
Auch aus dem Umfeld der Opfer soll es Kritik an Ihnen gegeben haben. Und im Netz wurde gegen Sie gehetzt.
Wenn Angehörige Vorwürfe machen, nehme ich es ihnen nicht übel. Der Verlust, den sie haben … Das tut mir unheimlich leid. Als Mutter kann ich mir vorstellen, wie groß ihre Trauer ist. Ich habe in den Monaten vor den Morden aber mehrfach darauf aufmerksam gemacht, dass der Täter gefährlich ist. Vieles, was online über mich geschrieben wurde, habe ich aus Selbstschutz nicht gelesen. Eigentlich hätte ich damals mentale Unterstützung gebraucht. Ich war wie in einer Schockstarre und wollte mit jemandem darüber sprechen. Aber kaum jemand wollte etwas mit mir zu tun haben. Bis auf ein, zwei Freunde, die zu mir hielten.

Foto: NÓI CREW
Zu Ihrer Lage beigetragen hat die Berichterstattung. Zum einen war in Beiträgen die auf Ihrem Wohnhaus stehende Adresse zu sehen und ihr Name nicht richtig anonymisiert. Zum anderen konnte man den Eindruck gewinnen, Sie seien auch schuld an der Tat. Es hieß unter anderem, Sie hätten dem Attentäter den Zugang zu Ihrer Wohnung und den Umgang mit den Kindern verwehrt. Wie sind die Medien mit Ihnen umgegangen?
Einige Inhalte waren falsch, andere Halbwahrheiten. Damit wurde ein falsches Bild erzeugt. Wir waren getrennt – und er ist nicht der Vater meiner Kinder. Wenige Stunden nach der Tat waren Kameras vor meinem Fenster und in der Umgebung, Fotografen versteckten sich im Gebüsch. Bis heute triggert es mich, wenn jemand eine Handykamera in meine Richtung hält. Ich denke dann: Ist das jemand von der Presse, der mich erkannt hat? Reporter befragten Nachbarn und klopften immer wieder an meine Tür. Sie fragten nach einem Interview, obwohl ich total fertig war. Ich fühlte mich verfolgt, konnte nicht raus.
Haben Sie damals darüber nachgedacht, Kontakt zu den Medien aufzunehmen oder sogar gegen Inhalte vorzugehen?
Nein. Dazu hätte ich auch nicht genug Kraft und Geld gehabt. Außerdem stand für mich die Angst davor, dass uns jemand angreifen könnte, im Vordergrund. Ich wünsche mir, dass Medien in solchen Fällen die Privatsphäre respektieren und nichts Falsches berichten. Dass sie nicht so auf die schnellste und „beste“ Schlagzeile aus sind, sondern menschlich handeln und einen nicht unter Druck setzen.
Wie sind Sie aus der Situation herausgekommen?
Am zweiten Tag nach der Tat habe ich die Polizei angerufen und gesagt, ich kann hier nicht mehr bleiben. Auf dem Balkon waren noch Blutflecken. Die Polizei versuchte, mich zu beruhigen: Die Gefahr sei vorbei, er sei nicht mehr da. Als ich klarmachte, weshalb ich wegmuss, stellten sie den Kontakt zum WEISSEN RING her. Dieser half mir erst, ein Hotel in der Nähe zu finden. Dort hatte ich auch nicht genug Abstand. Dann bekam ich Unterstützung beim Umzug.
Laut der Kriminologin und Rechtswissenschaftlerin Britta Bannenberg, die an der Universität Gießen zu Amok, Terror und Tötungsdelikten forscht, sind vor solchen Taten oft Warnsignale zu erkennen. Wie war das in diesem Fall?
Es gab Polizeieinsätze und Signale, die Fachleute hätten sehen müssen. Ich habe darauf hingewiesen, dass er eine Gefahr ist, doch er wurde nicht in die Psychiatrie zwangseingewiesen und behandelt. Er konnte aggressiv werden, hatte Wahnvorstellungen und trug häufig ein Messer bei sich. Ich dachte, dass er auf mich fixiert ist, wusste nicht, dass er anderen etwas antun würde. Die Polizei, die ich gerufen habe, hat mir zugehört und auch gehandelt, aber teilweise gesagt, ihre Möglichkeiten seien aus gesetzlichen Gründen begrenzt. Wobei ich den Beamten keine Vorwürfe machen möchte. Sie haben mich ernstgenommen und aufgefordert, mich zu melden, wenn ich ihn wiedersehe. Einige Wochen vor der Tat habe ich nach einem langen Hin und Her entschieden, Schluss zu machen, um mich und meine Kinder zu schützen. Als ich merkte, dass er einen Kontaktabbruch nicht akzeptiert, habe ich weiter mit ihm kommuniziert und mich mit ihm getroffen. Ich wollte das aber auf keinen Fall in der Wohnung machen, weil ich dachte, hier ist die Gefahr für uns am größten. In den Jahren davor habe ich immer wieder versucht, ihn dazu zu bringen, sich psychiatrisch behandeln zu lassen. Aber er hat das verweigert.
Eines der Alarmzeichen kam eine Woche vor dem Attentat. Wie im Prozess berichtet wurde, hatten Sie eine Bedrohungslage gemeldet, aus Angst, Ihr Ex-Partner könnte Sie töten. Sie erzählten demnach auch von den Wahnvorstellungen. Der Kommunale Vollzugsdienst schritt ein, woraufhin der Mann psychiatrisch begutachtet wurde. Die erste Ärztin äußerte einen Verdacht auf eine Psychose, doch die zuständige Klinik kam zu einer anderen Einschätzung und ließ ihn schließlich gehen.
Das verstehe ich nicht. Man hätte ihn sich länger anschauen müssen. Wenige Tage vor der Tat war er in meine Wohnung eingedrungen und hatte einen Schlüssel mitgenommen. Kurze Zeit später trafen wir uns in der Nähe, weil er ihn mir wiedergeben wollte. Er wollte dann eine Aussprache, aber ich nicht. Wir stritten, er lief mir hinterher und wurde lauter, aggressiver. Ich rief die Polizei. Er wurde schließlich fixiert.
"Es geht nicht darum, die Erkrankten zu bestrafen, sondern ihnen zu helfen und andere zu schützen. Vielleicht müssen dafür Gesetze geändert werden."
Ayana Ibrahimi (Name geändert)
Weil er Sie schlug und würgte, war der Attentäter schon vorher verurteilt worden und musste für drei Monate in Haft.
Ja, das war nach einem weiteren Fall von Gewalt. Ich glaube, im Gefängnis ist seine Schizophrenie schlimmer geworden. Er fühlte sich und uns verfolgt, auch vom deutschen Staat. Er erzählte, im Gefängnis sei er mit Schlafentzug und Ungeziefer, das nachts rausgelassen worden sei, gefoltert worden. Nach der Entlassung hatte er abends Schübe, redete wirres Zeug, was ich manchmal auf Video dokumentiert habe. Ich denke, psychisch war er familiär vorbelastet. Die Krankheit wurde bereits in Somalia nicht therapiert. Das geschieht dort selten, statt auf medizinische wird meistens auf „spirituelle“ Behandlung gesetzt, die nichts bringt.
Was muss Ihrer Ansicht nach geschehen, damit solche Taten eher verhindert werden können? Wenn Menschen psychisch krank und gefährlich sind, ist schnelles Handeln gefragt.
Das Thema wird noch nicht ernst genug genommen. Es wäre gut, wenn Polizei, Psychiatrie und andere Stellen in solchen Fällen mehr kooperieren würden. Und wenn Ärzte noch genauer, länger hinschauen würden, damit Leute, bei denen es notwendig ist, zwangseingewiesen werden können. Freiheit ist wichtig, aber sie hört dort auf, wo andere geschädigt werden können. Es geht nicht darum, die Erkrankten zu bestrafen, sondern ihnen zu helfen und andere zu schützen. Vielleicht müssen dafür Gesetze geändert werden.
Das Attentat
Am 18. Oktober 2022 erstach Liban M. in Ludwigshafen-Oggersheim zwei Handwerker. Einem von ihnen trennte er den Arm ab und warf ihn auf den Balkon seiner Ex-Partnerin. Kurze Zeit später wählte diese den Notruf. In den Tagen zuvor habe er ein „Geschenk“ auf dem Balkon angekündigt, doch sie habe nicht mit einer solchen Tat gerechnet, sagte sie aus. Nachdem er die Maler getötet hatte, verletzte M. in einem Markt einen weiteren Mann lebensgefährlich. Polizisten schossen ihn nieder. Dem forensischen Gutachter sagte er später, er habe bewusst deutsche Männer angegriffen und sei überzeugt gewesen, sie wollten „seiner Familie“ etwas antun. Im Mai 2023 sprach das Landgericht Frankenthal den Somalier frei, weil er zur Tatzeit wegen einer paranoiden Schizophrenie schuldunfähig war. Er wurde im Maßregelvollzug untergebracht und ist offenbar weiter gefährlich. Anfang Februar soll er einen Mitpatienten mit einem Messer angegriffen haben.
Dass neben direkt Betroffenen auch die Ex-Partnerin des Täters Geld von einem Spendenkonto erhielt, das die Stadt eingerichtet hatte, sorgte für Kritik. Die Stadt begründete die Entscheidung damit, dass die Frau ebenfalls Opfer sei. Der WEISSE RING unterstützte diese Haltung. Letzten Endes bestand ein Drittel der Spender auf einer Neuverteilung, sodass die Hinterbliebenen 640 Euro zusätzlich erhielten.
Haben Sie eine Therapie gemacht, um das Erlebte besser verarbeiten zu können?
Nein. Ich habe gesucht, doch es war schwierig, die richtige Therapie zu finden. Gespräche in der Gruppe kamen für mich nicht infrage. Später habe ich nicht mehr nachgefragt, sondern pflanzliche Medikamente genommen und versucht, die Ängste, die in Schüben kamen, selbst in den Griff zu kriegen. Was wünschen Sie sich für die Zukunft, und was gibt Ihnen Kraft? Meine Kinder. Und das Wissen, dass man das, was passiert ist, nicht ändern kann. Vergessen werden wir es nicht, aber wir können versuchen, so gut wie möglich damit umzugehen. Ich hoffe, dass ich bald wieder in meinem Beruf arbeiten kann und meine Kinder ihren Weg gehen.
Transparenzhinweis:
Der WEISSE RING hat die frühere Partnerin des Täters unterstützt, unter anderem mit Geld für den Umzug und den Rechtsbeistand.
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