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Beleidigungen und Drohungen sind im Netz für viele Menschen Alltag. Wenn sie Strafanzeige stellen, werden die Verfahren oft ohne Ergebnis eingestellt. Prominente setzen sich zunehmend zur Wehr, indem sie die digitale Gewalt öffentlich machen. Juristisch ist das Veröffentlichen privater Nachrichten jedoch heikel.

Lola Weippert, Foto: Felix Rachor
„Ich stech‘ dich ab. Deine Art ist so zum Erbrechen.“
Moderatorin Lola Weippert, bekannt aus „Temptation Island“ und „Let‘s Dance“, erhält täglich Hassnachrichten und manchmal sogar Morddrohungen auf Instagram. „Es ist ein ständiges Hass-Rauschen“, sagt sie im Gespräch mit der Redaktion des WEISSEN RINGS. Sie sei den Tätern offenbar „zu laut, zu emotional, zu demokratisch, zu unabhängig“.
Lola Weippert, 1996 in Rottweil geboren, ist eine deutsche Moderatorin bei RTL, bekannt durch „Prince Charming“ und „Temptation Island“. Sie begann ihre Karriere bei bigFM und moderierte später für RTL+. Sie setzt sich gegen Bodyshaming und Hass im Netz ein und lebt in Berlin.
Weippert ist eine von vielen prominenten Betroffenen. „Du bist eine Person des öffentlichen Lebens, und wenn du das postest oder sagst, dann musst du damit leben, dass du solche Nachrichten erhältst“, hört sie als Argument immer wieder. Doch seit ein paar Jahren bildet sich eine Art Gegenbewegung. Betroffene schweigen nicht mehr. Sie posten: Auf Instagram veröffentlichen sie die Beleidigungen und Drohungen. Weippert teilt Videos, in denen sie die Nachrichten einblendet. Um zu zeigen, welchem „geistigen Durchfall“ sie täglich ausgesetzt ist, und um zum Nachdenken anzuregen.
„Ich hoffe, du wirst von einer Gruppe Syrer vergewaltigt.“
Josi klärt auf Instagram unter @josischreibt_ über politische und feministische Themen auf – und kassiert jede Menge Hass dafür. „Früher habe ich regelmäßig Morddrohungen per Privatnachricht bekommen“, berichtet die Influencerin. Um ihre Psyche zu schützen, hat Josi ihr Profil jetzt so eingestellt, dass nur noch Followerinnen und Follower ihr privat schreiben können. Gegen den Hass in den Kommentarspalten hilft das nicht: „Da bekomme ich immer noch sehr regelmäßig degradierende, beleidigende oder sexistische Kommentare“, sagt sie. Auch Josi geht mit den Hassnachrichten in die Öffentlichkeit, macht sie sichtbar. „Die Ausmaße kann sich eine Person, die nicht im gleichen Umfang wie ich online aktiv ist, gar nicht vorstellen – es sei denn, sie sieht diese.“ Dadurch hole sie die Macht über sich selbst zurück und darüber, was auf ihrem Profil geschieht.

Josi, Foto: Manuela Clemens
Josi, bekannt unter dem Instagram- Namen @josischreibt_, ist eine deutsche Influencerin mit etwa 200.000 Followern. Sie thematisiert auf ihrem Account insbesondere Feminismus und Agoraphobie. Ihre Inhalte umfassen persönliche Erfahrungen, Aufklärung und Diskussionen zu diesen Themen.
„Scheiß N****. Abgehobene Slut.“
Aktuell ist die Musikerin und Schauspielerin Nura Habib Omer, bekannt aus der Amazon-Serie „Die Discounter“, besonders betroffen. Auf einem eigens dafür erstellten Instagram-Account postet sie seit Januar die rassistische und sexualisierte verbale Gewalt, die sie erfährt. Zur Weihnachtszeit habe sich die Situation zugespitzt, „also habe ich beschlossen, die Nachrichten nicht nur für mich zu dokumentieren, sondern öffentlich zu machen“, sagt Omer. Viele Leute glaubten, Hass im Netz sei selten. Mit ihrem Account wolle sie zeigen, dass es ein strukturelles Problem ist, und gleichzeitig eine gewisse Kontrolle zurückgewinnen.
Nura Habib Omer ist eine deutsche Rapperin, bekannt als Teil des Duos SXTN. Nach der Auflösung von SXTN startete sie eine Solo-Karriere und thematisiert in ihrer Musik Rassismus, Feminismus und gesellschaftliche Themen. Sie ist zudem Schauspielerin, unter anderem in der Amazon-Serie „Die Discounter“.
Im Gegensatz zu anderen Betroffenen postet sie die Nachrichten nicht anonymisiert, sondern mit den Profilen der mutmaßlichen Täter. „Für mich ist es ein wichtiger Schritt, damit nicht ich allein als Opfer dastehe, sondern dass auch klar wird, wer den Hass schürt und diese menschenverachtenden Inhalte verbreitet“, sagt Omer. Die Menschen hinter den Angriffen müssten die Verantwortung für ihr Handeln spüren, denn die Privatnachrichten voller Rassismus und Sexismus sind in der Regel strafbar.
Das Veröffentlichen dieser privaten Kommunikation mit den Namen der Verfasser aber auch: „Die identifizierende Veröffentlichung einer privaten Nachricht stellt in der Regel eine Persönlichkeitsrechtsverletzung dar, denn jeder Verfasser darf selbst entscheiden, ob und in welchem Personenkreis eine Nachricht veröffentlicht werden soll“, erklärt Christian Solmecke, Anwalt für Internet- und Medienrecht. Solmecke ist selbst auch als Influencer im Internet unterwegs. Betroffene könnten sich gegen die Versender wehren, indem sie Strafanzeige stellen und auch zivilrechtlich gegen sie vorgehen. Solmecke rät davon ab, Nachrichten mit Verfassernamen zu veröffentlichen, um nicht selbst belangt zu werden.
Grundsätzlich schütze das Rechtssystem Betroffene ausreichend und biete auch hinreichend Möglichkeiten, sich zu wehren, erklärt der Anwalt. „Wie so oft scheitert es aber immer wieder an der Umsetzung in der Praxis.“ Die Regulierung der Plattformen führe oft nicht zum Ziel, da die Kommunikation, etwa mit Instagram, „mühselig“ sei. Auch der zivilrechtliche Weg könne schwierig werden, denn oft müsse der Versender erstmal identifiziert werden können.
Nura Habib Omer sieht darin ein Problem. „Wenn mich jemand im Internet massiv beleidigt und bedroht und ich diese Angriffe öffentlich dokumentiere, um auf das Problem aufmerksam zu machen, dann wird mir als der Betroffenen quasi der Spieß umgedreht“, sagt sie. Ausreichend geschützt durch das Rechtssystem fühlt sich Omer nicht. Eine Anzeige habe ins Nichts geführt. „Es fühlt sich oft so an, als würde das ganze Thema von den zuständigen Stellen nicht ausreichend ernst genommen.“
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Frauen und Mädchen wurden laut Lagebild des Bundesinnenministeriums 2023 Opfer digitaler Gewalt, zum Beispiel von Cyberstalking oder anderen Delikten in den sozialen Medien.
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weibliche Opfer waren es noch 2022. Mit 25 Prozent ist das demnach ein deutlicher Anstieg der weiblichen Opferzahlen im Vergleich zum Vorjahr.
„Ermüdend“ nennt Josi ihre Erfahrungen mit dem Justizsystem als Opfer von digitaler Gewalt. Sie habe bei der Polizei Hasskommentare angezeigt, doch laut ihrer Aussage stellte die Staatsanwaltschaft die Verfahren ein. Josi betont: Es lohne sich dennoch, Anzeige zu erstatten, allein damit die Fälle sichtbar werden und in den Statistiken auftauchen.
„Ich habe Dinge zur Anzeige gebracht. Ich muss allerdings sagen, dass es mich schockiert, dass es nie Konsequenzen gab“, sagt Lola Weippert. Die mutmaßlichen Täter hätten bei Vernehmungen angegeben, ihr Handy sei gestohlen oder ihr Account gehackt worden. „Damit war das dann leider schnell abgetan, was ich als erbärmlich empfinde“, sagt Weippert. Auf Anfrage bestätigt die Berliner Generalstaatsanwaltschaft: Zwei Verfahren wurden eingestellt, da ein Tatverdächtiger nicht identifiziert werden konnte. Außerdem erklärt die Behörde, dass dies eher die Regel als eine Ausnahme sei. Die Staatsanwaltschaft habe die Aufgabe, die Aussagen des Beschuldigten mit den vorhandenen Beweismitteln zu widerlegen. Oft könnten die Restzweifel nicht beseitigt werden – im vorliegenden Fall also, ob die Behauptung zutrifft, das Handy sei gestohlen worden.

Foto: Tatsiana Tribunalova
Weippert und andere Betroffene haben das Gefühl, als Opfer digitaler Gewalt hilflos und allein zu sein. Der bundesweit aktive Verein HateAid möchte das ändern und bietet Betroffenen rechtliche Beratung, psychologische Hilfe und Unterstützung beim Melden von Hassinhalten. In Baden-Württemberg und Bayern gibt es die Meldestelle „Respect“. Eine weitere Meldestelle ist „HessenGegenHetze“. Gemeldete Fälle werden dort geprüft und bei Verdacht auf strafbare Inhalte an die Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) weitergeleitet. „Die Veröffentlichung der gegen sie gerichteten Hassbotschaften wirkt für die Betroffenen gegebenenfalls vorübergehend als ein entlastendes Ventil“, sagt auf Anfrage Adina Murrer, Pressesprecherin des Hessischen Innenministeriums. Murrer empfiehlt aber, Kontakt mit spezialisierten Beratungsstellen aufzunehmen.
2023 gab es einige Erfolge: In Hessen wurden 85 Verfahren mit Strafbefehl beantragt, davon 62 rechtskräftig abgeschlossen. 56-mal gab es Geldstrafen (15–180 Tagessätze) und einmal eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten zur Bewährung. Von 37 weiteren Verfahren mit Anklage wurden zehn abgeschlossen, mit sechs Geldstrafen (60–135 Tagessätze) und einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten zur Bewährung.
Nach Angaben von HateAid mussten Täter in der Vergangenheit Geldstrafen und -entschädigungen zwischen 600 und 2.500 Euro zahlen. Der Verein berichtet, dass etwa 93 Prozent seiner Gerichtsprozesse erfolgreich verlaufen seien.
Betroffene fordern stärkere Regularien. Lola Weippert wünscht sich von Plattformen eine Verifizierung per Personalausweis bei der Kontoerstellung. Hass im Netz sei gefährlich und könne im schlimmsten Fall zu Suizid führen, wie das Beispiel der österreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr zeigt. Sie nahm sich nach massiven Hasswellen das Leben. Weippert selbst leidet an „schlechten“ Tagen unter Todesängsten und Panikattacken aufgrund solcher Nachrichten: „Hoffe, du kriegst Krebs und deine Eltern auch.“
Transparenzhinweis:
Die Moderatorin Lola Weippert ist Botschafterin des WEISSEN RINGs und unterstützte die Kampagne „Schweigen macht schutzlos“. Josi vom Instagram-Account @josischreibt_ hat bereits in der Vergangenheit bei dem Format „Nachgefragt“ des WEISSEN-RING- Instagram-Accounts mitgemacht. Auch die ehrenamtlichen Opferhelferinnen und Opferhelfer des WEISSEN RINGs unterstützen als Lotsen durchs Hilfssystem Betroffene von digitaler Gewalt.
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