Jung, rechtsradikal, gefährlich

Zahl der jugendlichen und heranwachsenden Verdächtigen stark gestiegen.

Rechtsradikale Jugendliche in Deutschland

Jugendliche und heranwachsende Verdächtige bei politisch motivierten Straftaten pro Bundesland. *Hier ist die Summe der Straftaten mit jugendlichen und heranwachsenden Verdächtigen angegeben. **Hier ist die Summe der Fälle mit mindestens einem jugendlichen beziehungsweise heranwachsenden Verdächtigen angegeben. Quelle: Länderumfrage des WEISSEN RINGS. Vier Länder haben die Anfrage bis Redaktionsschluss nicht beantwortet.

Ein hessischer Jugendlicher soll sich rechtsradikal geäußert, Sprengstoff hergestellt und im Wald gezündet haben. In den Räumen eines Vereins in Sachsen, der sich für Demokratie einsetzt, sollen 13- bis 16-Jährige aus der Nazi-Szene eine Frau bedroht haben. Und in Brandenburg verletzten junge Leute zwischen 17 und 19 Jahren offenbar einen 41-Jährigen, nachdem dieser sie aufgefordert hatte, mit dem Grölen rechter Parolen aufzuhören.

Im Jahr 2024 häuften sich die Verfahren mit jungen Tatverdächtigen im Bereich der politisch motivierten Kriminalität rechts. Eine exklusive Länderumfrage des WEISSER RING Magazins zeigt nun das Ausmaß. Demnach hat die Zahl der Fälle, an denen Jugendliche sowie Heranwachsende beteiligt gewesen sein sollen, stark zugenommen: in Sachsen etwa von 310 Tatverdächtigen zwischen 14 und 20 Jahren im Jahr 2023 auf 1297 Verdächtige im vergangenen Jahr, in Bayern von 291 auf 517, in Brandenburg von 432 auf 737, in Niedersachsen von 308 auf 519. Die Berliner Statistik differenziert auch nach Geschlecht: Demnach waren 136 der 143 Tatverdächtigen im Jahr 2023 männlich, sieben weiblich. Im Jahr darauf gab es insgesamt 175 Verdächtige, 149 männliche und 26 weibliche.

Männlich dominiert

In Berlin waren im Jahr 2023 von 143 verdächtigen Jugendlichen und Heranwachsenden 136 männlich und 7 weiblich. Im Jahr 2024 wurden 175 Verdächtige gezählt, davon waren 149 männlich und 26 weiblich.

Auch Nordrhein-Westfalen verzeichnet eine deutliche Steigerung, von 247 auf 610 Tatverdächtige in dem Alter. Die Landesregierung sieht dies als „eine zentrale Herausforderung für die innere Sicherheit“ und beobachtet eine „zunehmende Dynamisierung“ von rechtsextrem beeinflussten Jugendmilieus, wobei das „Tatmittel Internet“ weiter an Bedeutung gewinne. Bei der Bekämpfung setze das Land auf einen „Dreiklang von Repression, Prävention und Ausstiegshilfe“. Überwiegend geht es um Propagandadelikte, mitunter aber auch um Gewalt: In Nordrhein-Westfalen wurden im vergangenen Jahr 30 jugendliche und heranwachsende Tatverdächtige ermittelt, in Berlin 28, in Brandenburg 47, in Sachsen 63. Bei den Gewalttaten sind die Zahlen tendenziell auch gestiegen.

Die Steigerungen passen zur Gesamtentwicklung. Nach Angaben des BKA sind die rechtsmotivierten Taten 2024 um fast 48 Prozent auf 42.788 angewachsen.

„Rechtsextreme Positionen werden selbstbewusst vertreten“

Reiner Becker, der das Demokratiezentrum im Beratungsnetzwerk Hessen leitet, überraschen die Tendenzen nicht: „Wir bekommen seit etwa einem Jahr deutlich mehr Beratungsanfragen von Schulen“, sagt der Politikwissenschaftler. Es geht „um Propagandadelikte, darum, dass sehr selbstbewusst rechtsextreme Positionen vertreten werden, um rassistische Beleidigung, Bedrohung, manchmal auch um körperliche Gewalt“.

Die Täter seien jünger geworden; vereinzelt suchten schon Grundschulen Rat. In den vergangenen Jahren hätten sich eher lose, rechte Jugendcliquen gebildet. Sie seien „stark diversifiziert“, auch in ihrem Erscheinungsbild, hätten teils Kontakt zur organisierten Szene und beteiligten sich etwa an Protesten gegen Veranstaltungen zum Christopher Street Day. „Man muss die Bedingungen des Großwerdens, etwa die politische Kultur, das Gemeinwesen, die Eltern, in den Blick nehmen“, so Becker. „Wir haben eine Gewöhnung an rechtsextreme Positionen, zum Teil hohe Wahlergebnisse für die AfD. Warum sollten Kinder und Jugendliche davon frei sein?“

Gleichzeitig mangele es an sozialen Angeboten. Zudem spiele die niedrigschwellige, alltagsbezogene Ansprache rechter Akteure im Netz eine Rolle. Becker plädiert für eine frühe „kritische Medienbildung“ in der Schule sowie eine intensive Jugend- und Beziehungsarbeit: „Sie ist ein Schlüssel. Es kommt darauf an, mit den jungen Leuten im Gespräch zu bleiben, ihnen Angebote zu machen und sie nicht aufzugeben, wenn sie durch rechte Parolen aufgefallen sind. Dazu braucht es Haltung und pädagogisches Wissen.“