Kaum Verurteilungen wegen Menschenhandels
Trotz polizeilicher Durchsuchungen wegen Verdachts auf Menschenhandel in Wohnungen, Hotels oder Bordellen, bleibt die Anzahl an Verurteilungen solcher Delikte in Deutschland gering. Das sind die Zahlen.
*Bayern und Baden-Württemberg konnten für das Jahr 2024 bis Redaktionsschluss keine Statistik vorlegen.
Die Polizei durchsuchte im Oktober zwei Berliner Hotels, wo sieben Frauen zur Prostitution gezwungen worden sein sollen. Im April kam es in fünf Bundesländern und in Tschechien zu Razzien wegen des Verdachts auf Menschenhandel und illegale Prostitution. Mitte November durchsuchten 850 Ermittler bundesweit mehr als 90 Objekte, vor allem Reinigungsfirmen. Zu den Vorwürfen zählen Zwangsarbeit, „Schwarzarbeit“ und Menschenhandel. Arbeiter – darunter zwei Minderjährige – sollen in engen Kellerräumen ohne fließendes Wasser und funktionierende Toiletten untergebracht worden sein und überhöhte Mieten gezahlt haben.
Immer wieder wird über solche Durchsuchungen berichtet. Doch die Zahl der Verurteilungen wegen Menschenhandels ist gering. Das geht aus einer exklusiven Umfrage des WEISSER RING Magazins bei den Statistischen Landesämtern und den Justizministerien der Länder hervor. Abgefragt wurden die einschlägigen Paragrafen 232 bis 233a des Strafgesetzbuches (StGB).
Bei den Zahlen gibt es was zu beachten
Demnach gab es 2024 in Nordrhein-Westfalen mit elf Schuldsprüchen die meisten, gefolgt von Niedersachsen und Berlin mit jeweils drei. In fast allen Ländern liegen die Werte im unteren einstelligen Bereich oder bei null, etwa in Sachsen-Anhalt oder Brandenburg. Im Jahr 2023 lag Bayern mit 13 Verurteilungen vorne, gefolgt von Hamburg und Berlin mit jeweils elf und NRW mit sechs. Keine Verurteilungen wurden in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und im Saarland erfasst.
Bei den Zahlen ist zu beachten, dass die Strafverfolgungsstatistik die innerhalb eines Jahres verurteilten Personen nur einmal erfasst, und zwar mit dem – der drohenden Strafe nach – schwersten Delikt. Dadurch ist es möglich, dass der mit bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe bestrafte Menschenhandel nicht in der Statistik auftaucht, sondern eine schwerere begangene Tat. Allerdings weisen auch die vom Bundeskriminalamt (BKA) erfassten Zahlen zu Verfahren und Tatverdächtigen auf eine niedrige Verurteilungsquote hin: Im Jahr 2023 wurden allein bei Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung 319 Verfahren abgeschlossen, ein Jahr zuvor 346. Die Zahl der Tatverdächtigen bei dieser Straftat betrug 441 (2023) und 488 (2022).
Die Paragrafen
§232: stellt Menschenhandel, etwa, wenn eine Person durch Beschäftigung ausgebeutet werden soll, unter Strafe.
§232a: bestraft Zwangsprostitution.
§232b: bestraft Zwangsarbeit.
§233: bestraft Ausbeutung der Arbeitskraft, etwa bei der Bettelei. Auch die Vermittlung einer ausbeuterischen Beschäftigung ist strafbar.
§233a: bestraft Ausbeutung unter Ausnutzung einer Freiheitsberaubung.
Darüber hinaus geht das BKA von einem großen Dunkelfeld aus. Experten sehen viele Gründe dafür, etwa die Tatsache, dass Menschenhandel ein Kontrolldelikt ist, sowie begrenzte Ressourcen bei zuständigen Behörden und Justiz. Hinzu kommt eine mangelnde Aussagebereitschaft bei vielen Opfern. Sie haben Angst vor den Tätern und einer Strafe, wenn sie während ihrer Ausbeutung selbst gegen das Gesetz verstoßen haben. Tillmann Bartsch, stellvertretender Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN), fordert, § 154c – die Möglichkeit der Straffreiheit für von Menschenhandel Betroffene – klarer zu fassen und auszuweiten, weil das Gesetz bislang kaum angewandt wird.
Zudem arbeitete das KFN in einer Studie zu den Strafvorschriften zur Bekämpfung des Menschenhandels heraus, dass die Paragrafen sich als schwer nachweisbar, unklar und wenig praktikabel erwiesen hätten. Auch mangele es bei Strafverfolgung und Gerichten an Spezialisten, die mit der komplexen Materie vertraut seien.
Es fehle an Erfahrung und Kompetenz
Eliane Friess, Projektreferentin bei der Servicestelle gegen Zwangsarbeit, sagt, die Behörden hätten Fortschritte gemacht, aber noch nicht genug Erfahrung und Kompetenz im Umgang mit dem Thema, weshalb Betroffene nicht als solche erkannt würden. Deswegen schult die Servicestelle Polizei, Zoll, Staatsanwaltschaften und andere Institutionen darin, Anzeichen für Menschenhandel zu identifizieren und sensibel mit Opfern umzugehen.
Neben den genannten Straftaten hat das WEISSER RING Magazin Statistiken zu Delikten recherchiert, die in Zusammenhang mit Menschenhandel stehen können. Auch hier sind die Verurteilungszahlen niedrig. So wurden bei § 180a – Ausbeutung von Prostituierten – in den allermeisten Ländern in den vergangenen beiden Jahren keine Verurteilungen registriert, ebenso bei § 181 – Zuhälterei.
Ähnliche Beiträge
„Es ist wichtig, Brücken für Betroffene von Menschenhandel zu bauen“
Im Interview spricht Professor Tillmann Bartsch über die schwierige Situation von Opfern von Menschenhandel.
Kampf gegen Menschenhandel ist eine Daueraufgabe
Beim Wissenschaftspreis des Bundeskriminalamtes und des WEISSEN RINGS wird herausragende Forschung zu Opferschutz ausgezeichnet und über Menschenhandel diskutiert.
Die unbekannten Mafia-Opfer
Sandro Mattioli spricht in seinem Kommentar über unbekannte Mafia-Opfer und wie die Situation in Deutschland ist.
Teile diesen Beitrag per: