Ein fotografisches Denkmal für Opfer rechter Gewalt

Seit vier Jahren reist der Fotograf Julius Schien durch Deutschland, um Tatorte rechter Gewalt zu dokumentieren. Mit seinem Projekt „Rechtes Land“ möchte er den Opfern ein Denkmal setzen.

Fotostrecke "Rechtes Land" von Julius Schien.

8. Mai 1996, Ammelshain. Unter homophoben Parolen wird Bernd Grigol nachts in Leipzig-Wahren auf offener Straße von drei Neonazis attackiert und niedergestochen. Sie treten auf Bernd ein, werfen einen Ziegelstein auf seinen Kopf, stopfen ihm Sand in den Mund und stechen 36-mal mit einem Messer auf ihn ein. Den leblosen Körper werfen sie in einen gefluteten Steinbruch außerhalb von Leipzig. Bernd Grigol erleidet einen Genickbruch und stirbt.

Vier Jahre arbeitet der Fotograf Julius Schien schon an seinem Projekt „Rechtes Land“. Dafür fährt er durch ganz Deutschland mit dem Ziel, alle Tatorte zu fotografieren, an denen Menschen seit der Wiedervereinigung aufgrund rechter Gewalt getötet wurden. „Ein Denkmal“ möchte er allen Opfern setzen, sagt er, und an die Gefahr erinnern, die von rechts ausgehe. In den vier Jahren hat sich in Deutschland vieles politisch verändert, doch Aufhören kommt für ihn nicht infrage.

Wieso machen Sie Fotos von Tatorten rechter Gewalt?

Nach den rechten Attentaten auf Walter Lübcke, in Halle 2019 und in Hanau 2020 machte sich ein Störgefühl bei mir breit. In Politik und Medien war meist von „Einzeltätern“ die Rede, von rechtem Terror jedoch kaum. Gleichzeitig fiel mir auf, wie schnell bei Taten aus einem anderen politischen Spektrum von „linkem Terror“ gesprochen wird. Daraus entstand die Frage: Hat Deutschland wirklich ein größeres Problem mit linker als mit rechter Gewalt?

Meine Recherchen führten mich zur Chronik der Amadeu Antonio Stiftung und der vom „Tagesspiegel“ und zu den offiziellen Zahlen der Bundesregierung. Das Ergebnis: Seit der Wiedervereinigung forderte rechte Gewalt deutlich mehr Todesopfer als linke.

Besonders betroffen machte mich, dass zwei dieser Tatorte Orte waren, die ich persönlich kannte – einer lag an meinem täglichen Schulweg in einer Provinz in Niederbayern, ein anderer befindet sich in meiner heutigen Heimat Hannover. Ohne es zu wissen, habe ich an dem Ort in Hannover Zeit verbracht und Bier mit Freunden getrunken, wo ein Mensch durch rechte Gewalt ermordet wurde. Das brachte mich zu dem Entschluss, alle Tatorte zu fotografieren – als Mahnmal für uns und Denkmal für die Betroffenen. Es gibt laut der Amadeu Antonio Stiftung 221 Todesopfer, dazu kommen 17 Verdachtsfälle.

Fotostrecke "Rechtes Land" von Julius Schien.
Rechte Gewalt: "Rechtes Land" von Julius Schien.
Rechte Gewalt: "Rechtes Land" von Julius Schien.
Rechte Gewalt: "Rechtes Land" von Julius Schien.
Rechte Gewalt: "Rechtes Land" von Julius Schien.
18. Januar 1993, Arnstadt. Karl Sidon, Parkwächter im Schlosspark Arnstadt, wird am 18. Januar 1993 von fünf jungen Neonazis brutal verprügelt und getötet. Die Gruppe im Alter von 11 bis 16 Jahren beschädigte zuvor im Schlosspark ein Gebäude. Als Karl Sidon das bemerkt, geht er ihnen nach und ermahnt sie. Daraufhin gehen die Jugendlichen auf Sidon los und schlagen auf ihn ein, bis er bewusstlos am Boden liegen bleibt. Im Anschluss schleifen sie ihn auf eine angrenzende, viel befahrene Straße, wo er schließlich von mehreren Autos überfahren wird. Noch am selben Abend erliegt Karl Sidon seinen Verletzungen.
14. Oktober 1994, Paderborn. Alexandra Rousi wird von ihrem Nachbarn in Paderborn getötet. Sie stirbt bei einem Brand, der aus rassistischen Motiven gelegt wurde. Dem Brandanschlag gehen monatelange rassistische Drohungen und Beleidigungen voraus. Der Täter wohnt im Erdgeschoss des Zweifamilienhauses und übergießt das gemeinsame Treppenhaus mit Benzin. Als Alexandra ihn aufzuhalten versucht, zündet er, während er weiterhin ausländerfeindliche Beleidigungen von sich gibt, ein Streichholz an. Sowohl Alexandra Rousi als auch der Täter gehen in Flammen auf – Rousi stirbt noch im Treppenhaus.
9. Juni 2005, Nürnberg. İsmail Yaşar betreibt einen beliebten Imbiss in der Südstadt Nürnbergs. Die Täter der rechtsextremen Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) fahren am Morgen des 9. Juni 2005 mit Fahrrädern in die Nähe des Imbisses, betreten diesen und ermorden İsmail Yaşar mit fünf Schüssen in den Kopf und Oberkörper. Er stirbt noch am Tatort. Während der Mordserie des NSU ermittelt die Polizei fast ausschließlich im Umfeld der Opfer, nicht aber in rechtsextremen Kreisen, bis sich der »NSU« 2011 schließlich selbst enttarnt.
31. Oktober 2012, Hannover. Die 44-jährige Sexworkerin Andrea B. begleitet den damals 25-jährigen Täter in seine Wohnung im Süden Hannovers. Dort angekommen, macht sie sich über Nazisymbole in der Wohnung und die rechtsextreme Gesinnung des 25-Jährigen lustig. Daraufhin tötet der Täter Andrea B. auf brutale Weise mit einer Machete. Die Leiche verpackt er in Plastiksäcke und wirft diese in den Maschsee. Die sterblichen Überreste werden am Morgen von Passant:innen entdeckt.
17. April 2018, Wiebelskirchen. Am 17. April 2018 wird das Treppenhaus eines Wohnhauses in Wiebelskirchen im Saarland aus rassistischen Motiven in Brand gesteckt. Das Gebäude, in dem mehrere syrische Geflüchtete mit ihren Kindern leben, steht schnell in Flammen. Die Feuerwehr rettet elf Menschen, einige mit schweren Rauchvergiftungen. Philipp W. wohnt im Dachgeschoss und verbrennt in seiner Wohnung. Die beiden Täter gestehen vor Gericht, die Tat aus Hass auf Ausländer begangen zu haben.

Teile der Bevölkerung sind der Meinung, dass rechte Gewalt nicht alleinig das Problem sei, sondern auch linke oder religiöse. Was denken Sie darüber?

Ich finde, wir müssen die Gesellschaft als Ganzes betrachten, und da darf politisch linksmotivierte Kriminalität oder religiös begründeter Extremismus nicht ausgeklammert werden. Wenn man aber die Zahlen und die vom Verfassungsschutz erhobenen Statistiken betrachtet, dann wird relativ schnell klar, wo das Hauptproblem liegt. Ich persönlich habe ein Problem damit, wie die Politik und Medien über Themen wie politisch linksmotivierte Kriminalität oder religiös begründeten Extremismus im Gegensatz zu politisch rechtsmotivierter Kriminalität berichten.

Schwarz-weiß Foto von dem Fotografen Julius Schien. Er thematisiert rechte Gewalt in seiner Arbeit.

Der Fotograf Julius Schien arbeitet an eigenen Projekten und als Fotojournalist für verschiedene Medien. Foto: Privat

Seit Sie angefangen haben, an Ihrem Projekt „Rechtes Land“ zu arbeiten, sind vier Jahre vergangen. In dieser Zeit ist viel passiert. Die AfD hat eine wachsende Wählerschaft, der Verfassungsschutz sieht die Partei als gesichert rechtsextrem an, und auch die politisch rechtsmotivierten Delikte sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Wie geht es Ihnen mit alldem?

Ich beobachte es mit Sorge. Ich finde es krass, wie sich der Diskurs verschoben hat. Die Grenze des Sagbaren hat sich verschoben. Es werden rechte Aussagen getätigt, die fast schon normal erscheinen. Das muss ernst genommen werden, aber wir dürfen uns dadurch nicht unterkriegen lassen. Ich würde mir mehr Haltung wünschen, dass rechte Aussagen nicht in den Medien reproduziert werden, dass nicht jede rechte Parole abgedruckt wird. Ich mache daher auch das Projekt weiter und hoffe, in zwei Jahren alle Tatorte einmal fotografiert zu haben.

Saeed Majed in Magdeburg: nach dem Anschlag in Magdeburg wurde er Opfer von rassistischer Gewalt.

Die vergessenen Opfer

Seit dem Anschlag in Magdeburg werden migrantische Menschen oft Opfer von Rassismus, aufgrund der Herkunft des Täters.

Welche Geschichte steht hinter Ihrem nächsten geplanten Tatort?

Ich bin gerade in Brandenburg und habe einen Ort in Neuruppin fotografiert. Am 1. Juli 1992 haben sich drei rechtsextreme Skinheads zum „Penner klatschen“ verabredet. Im Rosengarten trafen die Täter auf Emil Wendland, der dort auf einer Parkbank schlief. Wendland wurde von den Rechtsextremen getreten, geschlagen und letzten Endes erstochen. Und so stehe ich jetzt in Brandenburg und werde gleich auf meine Karte schauen, wo ich als Nächstes hinfahre.

Fall Emil Wendland

Emil Wendland wurde am 1. Juli 1992 in Neuruppin erstochen. Drei Skinheads verabredeten sich zum „Penner klatschen“ und stießen im Neuruppiner Rosengarten auf den 50-Jährigen, der dort alkoholisiert auf einer Parkbank schlief. Dort malträtieren sie ihr Opfer mit Schlägen und Tritten. Als sich die Täter von Wendland entfernen, kehrt einer von ihnen zu dem schwer verletzten Opfer zurück und sticht sieben Mal mit einem Messer in den Oberkörper des wehrlosen Mannes. Das Gericht stellt fest, der Haupttäter habe sein Opfer für „einen Menschen zweiter Klasse gehalten“. Ein Mittäter wird wegen schwerer Körperverletzung zu drei Jahren Jugendhaft verurteilt. Auch hier wird der „sozialdarwinistische Hintergrund“ der Tat vom Gericht erwähnt: „…faßte man spätestens zu diesem Zeitpunkt den Entschluß, in der Nacht ‚Assis aufzuklatschen‘; gemeint war damit das Zusammenschlagen von Obdachlosen oder anderen Personen“, die man als missliebig oder verachtenswert betrachtet habe.