Archiv für Februar, 2025

„Aussage hat mich und meine Familie sehr befremdet“

Erstellt am: Donnerstag, 27. Februar 2025 von Sabine

Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

Datum: 27.02.2025

„Aussage hat mich und meine Familie sehr befremdet“

Walter Lübcke war 2019 aufgrund seines Einsatzes für Geflüchtete von einem Rechtsextremisten erschossen worden. Seine Witwe Irmgard Braun-Lübcke kritisiert aktuelle Äußerungen von Merz und ruft zu Engagement für die Demokratie auf.

Mainz – „Die Aussage von Friedrich Merz am Samstag beim gemeinsamen Wahlkampfabschluss der CSU und CDU in München hat meine Familie und mich sehr befremdet und ich möchte sie so nicht stehen lassen“, schreibt Irmgard Braun-Lübcke, die Witwe des von einem Rechtsextremisten ermordeten CDU-Politikers Walter Lübcke, in einer aktuellen Stellungnahme. Anders als Merz behauptete, habe es nach der Ermordung ihres Mannes „ein starkes, gesellschaftlich breites Bekenntnis zu unserer Demokratie und ihren Werten“ gegeben.

Merz hatte bei seinem Auftritt als Spitzenkandidat der CDU gesagt: „Ich frage mal die Ganzen, die da draußen rumlaufen, Antifa und gegen Rechts: Wo waren die denn, als Walter Lübcke in Kassel ermordet worden ist von einem Rechtsradikalen? Wo waren die da?“

Braun-Lübcke stellt klar: In ihrer Heimatstadt Wolfhagen, in Kassel und in vielen weiteren Städten und Gemeinden in ganz Deutschland gingen viele Menschen auf die Straße – linke, liberale und konservative Demokraten: „Gemeinsam haben sie sich klar gegen Gewalt, Hass und Hetze sowie eindeutig für Demokratie, Freiheit und Menschlichkeit positioniert. Dies gab uns als Familie sehr viel Kraft und zeigte, wir sind nicht allein, du bist nicht allein, wir treten gemeinsam ein für den Bestand unserer Demokratie“, erklärt die Frau des früheren Kasseler Regierungspräsidenten, die als Lehrerin arbeitete. Sie waren fast 40 Jahre verheiratet und haben zwei gemeinsame Söhne.

Engagierte Frau mit Haltung: Hier nimmt Irmgard Braun-Lübcke an einem Runden Tisch zu politisch motivierter Gewalt teil, bei dem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Eröffnungsrede hielt. Foto: Annette Riedl/dpa

Walter Lübcke war 2019 aufgrund seines Einsatzes für Geflüchtete von einem Rechtsextremisten erschossen worden. Zuvor war im Netz gegen ihn gehetzt und zu Gewalt aufgerufen worden. Das Oberlandesgericht Frankfurt verurteilte den Mörder 2021 zu lebenslanger Haft und stellte zudem die besondere Schwere der Schuld fest. Während ihrer Aussage vor Gericht mahnte Irmgard Braun-Lübcke: „Aus Worten werden Taten.“

Jetzt stellt sie Merz’ Äußerungen und rhetorische Fragen nicht nur richtig, sondern sendet auch einen starken Appell: „Heute, in dieser schwierigen Zeit, in der so Vieles, was bisher selbstverständlich war, ins Wanken gerät oder keine Gültigkeit mehr hat, sind wir alle mehr denn je gefordert, insbesondere die Politik, die Menschen zusammenzuführen und gemeinsam für Werte einzutreten, wie es mein Mann getan hat.“

WEISSER RING hilft Opfern nach mutmaßlichem Anschlag in München

Erstellt am: Freitag, 14. Februar 2025 von Sabine

München trauert um die Opfer des Anschlags. Foto: dpa

Datum: 14.02.2025

WEISSER RING hilft Opfern nach mutmaßlichem Anschlag in München

Nach dem mutmaßlichen Anschlag mit einem Auto in München bietet der WEISSE RING, Deutschlands größte Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer, allen Betroffenen schnelle und unbürokratische Hilfe an.

München/Mainz – Nach dem mutmaßlichen Anschlag mit einem Auto in München bietet der WEISSE RING, Deutschlands größte Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer, allen Betroffenen schnelle und unbürokratische Hilfe an. „Wir sind jetzt für die Opfer da und stehen an ihrer Seite. Ich möchte alle Menschen, die Unterstützung brauchen, ermutigen, sich bei uns zu melden“, sagt Dr. Helgard van Hüllen, eine der amtierenden Landesvorsitzenden des WEISSEN RINGS Bayern Süd. „Diese Tat ist schrecklich und abscheulich, ich habe dafür keine Worte.“

Hilfesuchende können sich über die Rufnummer des Landesbüros Bayern Süd unter 09078/89494 an den WEISSEN RING wenden.

„Unser Angebot gilt nicht nur für Verletzte, sondern auch für Angehörige, für Zeuginnen und Zeugen, für Helferinnen und Helfer sowie für Einsatzkräfte vor Ort“, sagt Helgard van Hüllen. „So wichtig die politischen Diskussionen über den Fahrer und seine möglichen Motive auch sind: Zuerst müssen wir an die Opfer denken. Sie müssen wissen, wohin sie sich mit ihren Bedürfnissen und Fragen hinwenden können.“ Die amtierende Landesvorsitzende fügt außerdem hinzu: „Manche Betroffene merken vielleicht auch erst später, dass sie im Alltag das Erlebte nicht vergessen können. Auch diese Menschen möchte ich bestärken, sich Hilfe zu holen.“

"Wir sind jetzt für die Opfer da und stehen an ihrer Seite."

Dr. Helgard van Hüllen

Die professionell ausgebildeten ehrenamtlichen Opferhelferinnen und Opferhelfer des WEISSEN RINGS sind für die Betroffenen da, begleiten sie und versuchen, ihnen Halt zu geben. Zu den konkreten Unterstützungsmöglichkeiten gehören unter anderem finanzielle Soforthilfen oder die Vermittlung von Kontakten zu Fachärzten und Behörden.

Am Donnerstagmorgen gegen 10.30 Uhr ist ein 24-jähriger Mann mit dem Auto in eine Menschenmenge in der Münchner Innenstadt gefahren. Es handelte sich dabei um eine Verdi-Demonstration. Laut Polizei sind dabei mehr als 30 Menschen verletzt worden, zwei davon schwerverletzt, darunter ein Kind. (Stand 14.02.2025, 12 Uhr)

Wie stehen die Parteien zum Opferschutz?

Erstellt am: Donnerstag, 13. Februar 2025 von Sabine

Foto: Michael Kappeler/dpa

Datum: 13.02.2025

Wie stehen die Parteien zum Opferschutz?

Am 23. Februar findet die Bundestagswahl 2025 statt. Die Redaktion des WEISSEN RINGS hat die Wahlprogramme von sieben Parteien ausgewertet und den Fokus dabei auf Prävention und Opferhilfe gerichtet.

Mainz – Wie sollen Frauen künftig vor Gewalt geschützt, wie die vielen Angriffe in der digitalen Welt eingedämmt werden? Was tun die Parteien gegen Extremismus, und wie könnte der Zugang zu Waffen in Zukunft geregelt werden? Die Redaktion des WEISSEN RINGS, Deutschlands größter Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer, hat die Wahlprogramme von CDU/CSU, SPD, Grünen, FDP, AfD, Linke und BSW ausgewertet, mit dem Fokus auf Prävention und Opferhilfe. Der Verein möchte damit Wählerinnen und Wählern einen schnellen Überblick vor der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 ermöglichen.

Die Unterschiede bei den für Betroffene relevanten Fragen sind zum Teil enorm. Insgesamt umfasst die Analyse die Punkte Gewalt gegen Frauen, Kinder und Einsatzkräfte, Digitale Gewalt, Antisemitismus, Extremismus und den Zugang zu Waffen.

Einige Erkenntnisse der Recherche:

Ein konsequenter Schutz für Frauen gehört zu den Kernthemen des WEISSEN RINGS. SPD und Grüne kündigen in ihren Programmen in diesem Punkt die umfangreichsten Maßnahmen an, gefolgt von der Union und von der Linken, die sich für eine vollständige Umsetzung der Istanbul-Konvention ausspricht. Zu den Forderungen von SPD, Grünen und CDU/CSU gehört auch der stärkere Einsatz der elektronischen Fußfessel, ebenso wie eine Stärkung der Frauenhäuser. Die Grünen wollen zusätzlich etwa einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung verankern, die Sozialdemokraten „erhebliche sexuelle Belästigung“ unter Strafe stellen. Die FDP beschränkt sich weitgehend auf eine sichere Finanzierung der Frauenhäuser durch Länder und Kommunen sowie mehr Unterstützung für ungewollt Schwangere. Das BSW fordert genügend kostenfreie Frauenhausplätze und Schutzwohnungen, bleibt ansonsten aber eher vage. Noch weniger gibt es bei der AfD, hier fehlen spezifische Aussagen zum Thema fast vollständig.

Auch beim Thema digitale Gewalt schneiden BSW und AfD am schwächsten ab. In beiden Wahlprogrammen ist von angeblicher Zensur und „Denunziation“ die Rede, die AfD lehnt staatliche Zuschüsse für Faktenchecker ab. Im Gegensatz dazu positioniert sich die SPD am konsequentesten gegen Hass im Netz, gefolgt von Union und Grünen. Letztere und die Sozialdemokraten planen etwa ein digitales Gewaltschutzgesetz und legen ein besonderes Augenmerk auf betroffene Amts- und Mandatsträger. Zu den weiteren Plänen der SPD zählt eine Verpflichtung von Plattformbetreibern, strafbare Inhalte zu löschen.

Am 23. Februar findet die Bundestagswahl 2025 statt. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Im Bereich Extremismus und Terrorismus ist festzuhalten, dass die Maßnahmen der Parteien überwiegend täterfokussiert sind. Eine Ausnahme bilden hier die Grünen, die eine stärkere Unterstützung für Terror-Opfer anstreben. CDU, SPD, Grüne und FDP wollen alle Formen von Extremismus bekämpfen. Die Union legt einen Schwerpunkt auf Islamismus. Auffällig ist, dass konkrete Mittel gegen Rechtsextremismus – obwohl ihn das Bundesinnenministerium und viele Landesverfassungsschutzämter als größte Gefahr bezeichneten – wenig Raum einnehmen. Das BSW sieht eine große Gefahr in der Zuwanderung, und die in Teilen selbst als gesichert rechtsextrem eingestufte AfD plant eine „Präventivhaft für ausländische Gefährder“. Rechtsextremismus spielt in ihrem Wahlprogramm als Bedrohung fast keine Rolle. Die Linke setzt auf eine „soziale Politik“ zur Prävention und ein Verbot „neonazistischer Organisationen“.

Auch bei der Frage, wie ein sicherer Umgang mit Waffen aussehen soll, unterscheiden sich die Parteiprogramme. Die Grünen setzen sich am stärksten für Restriktionen ein und wollen Gesetze verschärfen und so die Verfügbarkeit etwa von tödlichen Schusswaffen einschränken. CDU, SPD und Grüne nennen alle das Ziel, Extremisten zu entwaffnen. Die SPD will den Zugang zu Waffen besser kontrollieren, die Grünen sprechen sich für eine intensivere Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden aus. CDU und FDP betonen, Schützen und andere Gruppen, die legal über Waffe verfügten, dürften nicht kriminalisiert werden. Von einem „Generalverdacht“ gegen Legalwaffenbesitzer spricht die AfD, und will nur gegen illegalen Waffenbesitz vorgehen. Die Linke und BSW äußern sich nicht näher zum Thema.

Opferentschädigung: Jeder zweite Antrag wird abgelehnt

Erstellt am: Mittwoch, 12. Februar 2025 von Sabine

Nur wenige Opfer stellen einen OEG-Antrag. Foto: Mohssen Assanimoghaddam

Datum: 12.02.2025

Opferentschädigung: Jeder zweite Antrag wird abgelehnt

Im Jahr 2023 haben die Versorgungsämter in Deutschland so viele OEG-Anträge abgelehnt wie noch nie. Das zeigt eine exklusive Auswertung des WEISSEN RINGS.

Mainz – Neuer Negativrekord bei der staatlichen Unterstützung für Opfer von Gewalt: Im Jahr 2023 haben die Versorgungsämter in Deutschland 48,1 Prozent der Anträge auf Hilfen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) abgelehnt. Der bisherige Höchstwert aus dem Jahr 2022 lag bei 46,6 Prozent. Das geht aus der jährlichen exklusiven Dokumentation des WEISSEN RINGS hervor.

Zwischen den Bundesländern bestehen teils deutliche Unterschiede. Besonders hoch war die Ablehnungsquote in Schleswig-Holstein (66,2 Prozent), Hamburg (54,2 Prozent) und Sachsen-Anhalt (54 Prozent), am niedrigsten in Sachsen (38,6 Prozent), Niedersachsen (38,9 Prozent) und Rheinland-Pfalz (42,4 Prozent).

„Ich stehe hier als Mutter, die für ihren Sohn um Gerechtigkeit kämpfen will“

Als im Mai 2022 Betroffene in Berlin gegen die Zumutungen des Opferentschädigungsgesetzes demonstrierten, gedachten sie öffentlich David – einem verstorbenen Gewaltopfer, das nach langem Kampf um Anerkennung „nicht mehr konnte“. Nach Davids Tod setzt seine Mutter den Kampf fort.

Genehmigt haben die Versorgungsämter bundesweit nur 23,4 Prozent der Anträge – so wenig wie noch nie. Der Tiefststand aus dem Jahr 2019 – 26,2 Prozent – wurde unterboten. Die niedrigsten Anerkennungsquoten im Jahr 2023 hatten Schleswig-Holstein (12,3 Prozent), Sachsen (13,8) und Hessen (22,3), die höchsten verzeichneten Mecklenburg-Vorpommern (40,5), Hamburg (37) und Bayern (32,7).

Die Antragsquote ist nach wie vor niedrig und liegt noch unter dem Vorjahreswert. 2023 gingen lediglich 15.125 Anträge bei den zuständigen Versorgungsämtern ein. Das entspricht nur 7 Prozent der 214.099 Gewalttaten, die das Bundeskriminalamt in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfasst hat. Ein Jahr zuvor waren es 7,9 Prozent.

#OEGreport: Wie der Staat Gewaltopfer im Stich lässt

Fachleute loben das Opferentschädigungsgesetz als „hervorragend“. Dabei kommt die Hilfe bei vielen Betroffenen gar nicht an. Was läuft da falsch? Eine Recherche des WEISSER RING Magazins..

Ein großer Teil der Anträge erledigte sich aus sonstigen Gründen, ohne dass Hilfe geleistet wurde, etwa weil die Betroffenen das Verfahren nicht fortsetzten oder sich die Zuständigkeit durch einen Umzug in ein anderes Bundesland änderte. Die Ursachen für die „Erledigungen aus sonstigen Gründen“ werden bisher weder einheitlich noch bundesweit erfasst. Im Jahr 2023 betrug der Anteil 28,5 Prozent und lag damit noch etwas höher als im Jahr zuvor (27,1 Prozent). Der WEISSE RING geht davon aus, dass viele Opfer ihre Anträge zurückziehen, weil teils jahrelange Antragsverfahren und aussagepsychologische Begutachtungen sie stark belasten.

Das OEG wurde 1976 verabschiedet und galt bis Ende 2023. Darin verpflichtete sich der Staat, Menschen zu unterstützen, die beispielsweise von Körperverletzung oder sexualisierter Gewalt betroffen sind. Die Entschädigung, die etwa eine monatliche Rente oder die Zahlung von Behandlungskosten umfasst, richtet sich nach der Schwere der Folgen. Über die Anträge entscheiden regionale Versorgungsämter in den Bundesländern; die Opfer müssen während der Verfahren zum Beispiel Unterlagen einreichen und bei Gutachten mitwirken.

Seit Januar 2024 ist die Opferentschädigung im Sozialgesetzbuch XIV neu geregelt. Aussagekräftige Zahlen zu den Auswirkungen liegen noch nicht vor. Die Reform sieht unter anderem höhere Entschädigungssummen und ein „Fallmanagement“ vor, das Betroffene besser begleiten soll. Darüber hinaus wird der Gewaltbegriff weiter gefasst und soll auch psychische Attacken berücksichtigen. Der WEISSE RING hatte sich für eine Gesetzesnovelle eingesetzt.

„Die jüngsten Zahlen zum Opferentschädigungsgesetz bestätigen unsere Erkenntnisse, dass die dringend notwendige Hilfe bei den Opfern oft nicht ankommt. Wieder müssen wir Negativrekorde melden, obwohl wir seit Jahren auf die Not der Betroffenen hinweisen und Verbesserungen fordern“, sagt Bianca Biwer, Bundesgeschäftsführerin des WEISSEN RINGS. „Wir hoffen, dass die Neuregelung über das SGB XIV endlich Fortschritte bringt, und werden die Entwicklung genau im Blick behalten.“