“Und dann malt er ein Herz mit ihrem Blut ans Fenster“

Erstellt am: Mittwoch, 18. Juni 2025 von Sabine
zeit.de Tötungsdelikte an Frauen 2024

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“Und dann malt er ein Herz mit ihrem Blut ans Fenster“

zeit.de

„Sie wurden einen Abhang hinuntergeworfen. Unter der Terrasse vergraben. Erschossen. Im Stillarbeitsraum der Schule erstochen. Eine Finanzbeamtin. Eine Supermarktkassiererin. Eine Managerin. Eine Yogalehrerin.“ Schon der Einstieg in den Text macht deutlich: Was jetzt folgt, wird heftig.

Im Jahr 2024 wurden in Deutschland nach Recherchen von „ZEIT online“ 104 Frauen von ihren Partnern und Ex-Partnern getötet. Das Online-Portal hat jedes einzelne dieser Verbrechen dokumentiert und datenjournalistisch aufbereitet. Eine so breite und gleichzeitig tiefe Recherche zu Femiziden ist selten. Eine offizielle Datensammlung dieser Art fehlt in Deutschland noch immer.

Leserinnen und Leser erfahren hier, dass die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik – dort wurden im Jahr 2024 insgesamt 126 getötete Frauen erfasst – dadurch unscharf wird, dass nicht der Tag des Delikts  entscheidend ist, sondern der Zeitpunkt, zu dem die Ermittlungen abgeschlossen sind. Tat und Abschluss der Ermittlungen liegen aber nicht immer im selben Jahr.

Beeindruckend sind die akribischen und sachlichen Datenauswertungen sowie die grafische Aufbereitung des Themas. Die Autorinnen scheuen sich nicht, unbequeme Auswertungen nüchtern  aufzuschreiben. Zum Beispiel die, dass Frauen statistisch ein erhöhtes Risiko haben, getötet zu werden, wenn sie mit einem Nichtdeutschen zusammen sind. Und dass Nichtdeutsche vor Gericht mit  höheren Strafen rechnen müssen als Deutsche.

Vor allem aber gelingt den Journalistinnen in ihrer Dokumentation geballt, was nicht vielen gelingt: Sie tauchen tief in die Daten ein, analysieren diese und erklären Widersprüche – ohne sich in ihnen zu  verlieren. Und sie machen deutlich, dass sich hinter den anonymen Statistiken menschliche Schicksale verbergen, die sich in Deutschland abspielen.

zeit.de/gesellschaft/2025-04/toetungsdelikte-frauen-2024-partner-mord-femizide

Der Kinderpsychiater – Die Macht des Dr. Winterhoff

Erstellt am: Montag, 16. Juni 2025 von Sabine
Der Kinderpsychiater - die Macht des Dr. Winterhoff

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Der Kinderpsychiater – Die Macht des Dr. Winterhoff

Der Kinderpsychiater – Die Macht des Dr. Winterhoff / ARD Mediathek

Februar 2025. Der bekannte Kinderpsychiater Michael Winterhoff steht in 36 Fällen wegen gefährlicher Körperverletzung vor Gericht. Er soll über Jahre hinweg Mädchen und Jungen, teils ohne ausreichende Diagnostik oder Aufklärung, sedierende Medikamente wie Pipamperon verabreicht haben. Der Fall gilt als einer der größten Skandale der deutschen Kinderpsychiatrie. In der dreiteiligen ARD-Doku „Der Kinderpsychiater – Die Macht des Dr. Winterhoff“ berichten zahlreiche Betroffene von ihrer Zeit als Patientinnen und Patienten des Mediziners. Sie geben dabei einen Einblick in ihr Leben, das noch heute durch die Nebenwirkungen der Medikamente bestimmt wird.

Die Doku stellt dadurch nicht den mutmaßlichen Täter in den Mittelpunkt, sondern konzentriert sich allein auf die Opfer. Das Publikum sieht unter anderem, wie ein betroffener Familienvater um ein besseres Leben für seine Kinder kämpft und wie eine Schülerin, trotz ihrer Einschränkungen durch den damaligen Medikamentenmissbrauch, eine berufliche Zukunft plant.

ardmediathek.de/serie/der-kinderpsychiater-die-macht-des-dr-winterhoff/staffel-1

“Das Kind des Opfers und des Täters zu sein, ist eine schreckliche Last“

Erstellt am: Freitag, 13. Juni 2025 von Sabine
Gisele Pelicot Tochter Buch

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“Das Kind des Opfers und des Täters zu sein, ist eine schreckliche Last“

Caroline Darian
“Und ich werde dich nie wieder Papa nennen“
Kiwi Verlag, 222 Seiten, 22 Euro

„Das Kind des Opfers und des Täters zu sein, ist eine schreckliche Last“, schreibt Caroline Darian in ihrem Buch „Und ich werde dich nie wieder Papa nennen“. „Die Vergangenheit wurde ausradiert, aber welche Zukunft folgt darauf?“

Caroline Darian ist die Tochter von Gisèle Pelicot. Der Fall erschütterte die ganze Welt: Pelicot wurde  von ihrem Ehemann über Jahre hinweg unter Medikamente gesetzt und von ihm und Dutzenden anderer Männer vergewaltigt. Im Buch nimmt Caroline Darian die Leserschaft mit in die Zeit, als die Taten ihres Vaters auffliegen und die  ganze Familie zerreißen. Auf einen Schlag ist „dieses Leben, das wir vor wenigen Jahren noch ‚banal‘ genannt hätten“, vorbei. Sie berichtet von ihrem eigenen Zusammenbruch, ihrem Umgang mit dieser Situation und ihrem zu dieser Zeit auch angespannten Verhältnis zu ihrer Mutter. In einigen Passagen spricht sie ihren Vater  direkt an: „Ich habe dich geliebt, respektiert und unterstützt, wie eine dankbare Tochter es ihrem Vater gegenüber tut. Du hast deinen Teil der Vereinbarung nicht  eingehalten. […] Ich werde dir das wohl nie verzeihen können. Jetzt muss ich lernen, damit zu leben.“ Darian lässt den Leser ganz nah an sich ran, zwischendurch hat man sogar fast das Gefühl, Teil der Familie zu sein, die gerade durch die schlimmste Zeit ihres Lebens geht.

kiwi-verlag.de/buch/caroline-darian-und-ich-werde-dich-nie-wieder-papa-nennen

Der Germanwings-Absturz

Erstellt am: Freitag, 13. Juni 2025 von Sabine
Germanwings-Absturz

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Der Germanwings-Absturz

Der Germanwings-Absturz – zehn Jahre ohne euch. ARD Audiothek

Stefanie Assmann und ihr neunjähriger Sohn Christian sitzen auf dem Sofa vor dem Kamin, in dem ein kleines Feuer brennt. Sie schauen sich gemeinsam ein Video an,  dass Christian und seine Schwester Linda zeigt. Aufgenommen worden ist es in Lindas Zimmer, vor einer roten Wand voller Bilder, als Selfie-Video. Die Geschwister  sagen im Wechsel die einzelnen Worte: „Ich hab’ dich lieb.“ Manchmal, berichtet die Mutter gegenüber Journalistin Justine Rosenkranz, schaue Christian zum Himmel und  spreche die Worte nach, die er im Video zu seiner Schwester sagte. „Und stellst dir vor, Linda würde antworten, ne?“, fragt sie ihren Sohn. „Mhm“, bestätigt er.

Stefanie Assmanns Tochter und Christians Schwester Linda ist 2015 beim Flugzeugabsturz der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen ums Leben  bekommen. Seit dem Unglück schauen sich Mutter und Sohn das Geschwister-Video immer mal wieder an. „Das gucke ich mir gerne an, weil das so aus dem Leben ist. So ungestellt und nicht wie bei einem Fotografen, schön gemacht“, sagt Assmann.

Diese Szene stammt aus dem Podcast „Der Germanwings-Absturz – Zehn Jahre ohne euch“ und wurde bereits neun Monate nach dem Absturz aufgenommen. Mit viel Feingefühl ging Journalistin Justine Rosenkranz Ende 2015 auf Angehörige von Opfern zu, im Podcast berichtet sie: „Ein gutes halbes Jahr, nachdem das Flugzeug abgestürzt ist, überwinde ich mich und rufe bei knapp 20 Familien an, die jemanden verloren haben. Ich frage sie, ob sie sich vorstellen könnten, mir ein Interview zu geben, denn ich glaube, dass nur die Geschichten von Angehörigen das emotionale Leid so einer Katastrophe richtig greifbar machen können. Ich möchte wissen, wie es den Familien geht, wie sie es schaffen, mit dem Verlust zu leben. Aber darf ich sie das fragen? Wie würde ich reagieren, wenn mich eine Journalistin anrufen würde, um mit mir über den Tod meines Kindes zu sprechen? Ich weiß es nicht. Und deshalb fällt es mir erst schwer, den Kontakt aufzunehmen. Alle, die ich anrufe, reagieren  freundlich, was mich erleichtert, aber sie sagen alle, dass sie nicht oder noch nicht dazu in der Lage sind, darüber zu sprechen. Also fast alle … Denn eine ist mit einem Treffen einverstanden: Stefanie Assmann.“ Die Frauen sind sich direkt sympathisch und gleich per Du.

In sechs Folgen lernen die Hörerinnen und Hörer des Podcasts die Assmanns besser kennen, über zehn Jahre begleitete die Journalistin die Familie und zeigt, was es heißt, mit so einem einschneidenden Erlebnis umzugehen. Christian etwa, den wir zu Beginn des Podcasts als Neunjährigen kennengelernt haben, ist mittlerweile 19 Jahre alt und steht kurz vor dem Abitur. Er hat das Zimmer seiner Schwester übernommen, aber nichts verändert. Stefanie Assmann hat mittlerweile eine Fortbildung zur Trauerbegleiterin gemacht. Der Schmerz habe sich nicht verändert, sagt sie. Vielleicht aber der Umgang mit ihm. „Manchmal sitze ich hier und heule mir die Augen aus  dem Kopf“, sagt sie. Und irgendwann sei es dann wieder gut.

Der Podcast ist ruhig und langsam erzählt, es gibt Pausen zum Durchatmen. Er ist nicht leicht zu hören, er geht ans Herz und rührt manchmal zu Tränen. Aber dieser Podcast ist wichtig: Er gibt Betroffenen eine Stimme. Neben Stefanie Assmann kommen weitere Angehörige zu Wort, die Menschen bei diesem Unglück verloren haben.  Dadurch wird deutlich, wie unterschiedlich die Herangehensweisen von Menschen sind, mit einem solchen Verlust umzugehen, der alles verändert. In jeder Minute ist  dem Podcast anzuhören, dass es sich um ein Langzeit- und vor allem Herzensprojekt der Journalistin handelt.

ardaudiothek.de/sendung/der-germanwings-absturz-zehn-jahre-ohne-euch-wdr/14097575/

Eskalation rassistischer Gewalt in Magdeburg

Erstellt am: Mittwoch, 7. Mai 2025 von Selina
Anschlag in Magdeburg. Cover von Podcast "NSU Watch": Es geht um Eskalation rassistischer Gewalt in Magdeburg.

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Eskalation rassistischer Gewalt in Magdeburg

NSU Watch und VBRG e.V.

Angst, Einschränkungen und soziale Isolation. So geht es Menschen mit Migrationsgeschichte nach dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg, bei dem sechs Menschen getötet und 86 schwer verletzt wurden und über 1.200 Betroffene. Der Täter: ein 50-jähriger Psychiater, saudi-arabischer Herkunft. In Magdeburg stieg die Zahl der rassistischen Angriffe nach dem Anschlag erheblich. In der 55. Folge der Podcast-Serie von der bundesweiten Initiative „NSU Watch“ und dem Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG), berichten Betroffene und Opferberater von der Zeit nach dem Anschlag. Sie berichten über Menschen, die migrantisch wahrgenommen werden und deshalb Angst haben und überlegen, die Stadt zu verlassen.

Bereits am Abend des Anschlages wurde ein 18-jähriger Student von einer Männergruppe bedroht und geschlagen. Ein 13-Jähriger wurde im Fahrstuhl seines Wohnhauses von Erwachsenen rassistisch beleidigt und gewürgt. Der Podcast zeigt eindrücklich: Rassistische Gewalt eskaliert weiter und Kinder werden nun auch häufiger zu Opfern, weil migrantische Menschen in Sippenhaft genommen werden.

verband-brg.de/folge-55-eskalation-rassistischer-gewalt-in-magdeburg/

„Pädokriminelle Foren im Darknet: Jetzt löschen wir richtig“

Erstellt am: Mittwoch, 16. April 2025 von Selina

GUCKEN

„Pädokriminelle Foren im Darknet: Jetzt löschen wir richtig“

STRG_F/Panorama auf YouTube

„Ich glaube, kein Mensch fände es gut, wenn von ihm irgendwelche Nacktfotos […] öffentlich am nächsten Marktplatz ausgehangen werden auf Plakaten. Die meisten Menschen würden sich zu Tode schämen. Ich lebe jetzt seit über 20 Jahren damit, dass von mir solche Fotos auf dem nächsten Marktplatz hängen und ich nie weiß, wer von meinen Nachbarn die alle gesehen hat.“ Der Betroffene, von dem diese Sätze stammen, heißt nur im Film Lukas Jansen. Für die Reportage „Pädokriminelle Foren im Darknet: Jetzt löschen wir richtig“ wurde sein Name geändert. Als Kind wurde er jahrelang schwer sexuell missbraucht, immer wieder wurden davon Fotos und Videos gemacht. Er ist sich sicher, dass diese auch im Netz gelandet und somit öffentlich zugänglich sind. Fälle wie die von „Lukas“ sind es, die dem Film seine emotionale Wucht und politische Relevanz geben.

Journalist Daniel Moßbrucker und Informatiker Tobias Hübers haben es sich zur Aufgabe gemacht, pädokriminelle Inhalte im Darknet löschen zu lassen. Der aktuelle Film ist die Fortsetzung der Reportage „Pädokriminelle Foren: Warum löscht niemand die Aufnahmen?“, in deren Verlauf die Macher das größte Pädokriminellen-Forum des Darknets lahmlegten. Das jetzige Ziel der Filmemacher: Löschen im großen Stil. Dafür haben sie Foren durchforstet und eine KI trainiert, um nicht alle Abbildungen von Missbrauch selbst ansehen zu müssen. „Ich hoffe, dass der Teil des Projektes schnell vorbeigeht“, sagt Moßbrucker im Film. „Diese Bilder vergessen, das geht nicht mehr. Sie aus dem Netz zu löschen schon. Umso bedrückender zu sehen, was alles verfügbar ist und wie lange schon.“

Nach einem halben Jahr hatten Hübers und Moßbrucker den verantwortlichen Internetunternehmern 310.199 Links gemeldet, die diese dann gelöscht haben. Insgesamt sind so 21,6 Terabyte an pädokriminellen Inhalten aus dem Netz gelöscht worden. Um die Dimension zu verdeutlichen, rechnen die Filmemacher die Größe um: Das ist „so viel, als würde man sich anderthalb Jahre lang Videos anschauen, rund um die Uhr, in hochauflösender Qualität“. Diese Aufnahmen sind nun alle weg, innerhalb von sechs Monaten, dank eines zweiköpfigen Teams.

Die Reaktionen der Foren-Nutzer bestärken den Erfolg des Projekts. User schreiben, nachdem immer mehr Inhalte gelöscht sind: „Diese Website ist Müll“; „Nichts funktioniert mehr“; „Es macht keinen Spaß mehr auf diese Seiten zu gehen. Alle Links sind zu 99,5 Prozent down“; „Die Frustration versaut mir echt die Stimmung, und ich wende mich anderen Hobbys oder Interessen zu“; „Vielleicht ist es an der Zeit, aufzugeben“; „Ich verabschiede mich aus der Pädo-Szene, weil es keinen Sinn mehr ergibt“.

Die Politik hatte schon nach dem ersten Film versprochen, pädokriminelle Inhalte konsequent zu löschen. Warum das nicht passiert ist? Auch darauf geht der Film ein. Die Filmemacher sprechen etwa mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU), der erstaunlich ehrliche Worte findet: „Es wird nicht gelöscht, zumindest nicht so, wie ich es mir wünsche.“. Auf die Frage, wann das Löschen beginnt, antwortet Reul: „So schnell wie möglich.“ Es wäre wünschenswert, wenn die Aussage diesmal stimmen würde, denn das Löschen von pädokriminellen Inhalten würde Betroffenen wie Lukas helfen.

STRG_F ist das Recherche-Format von funk, dem jungen Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, produziert von PANORAMA (NDR).

Ein Film von Daniel Moßbrucker, Robert Bongen, Lisa Hagen,
Tobias Hübers
Kamera: Henning Wirtz, Lisa Hagen, David Diwiak
Schnitt: Jan Littelmann

„Im Netzwerk der Vergewaltiger“

Erstellt am: Freitag, 14. März 2025 von Sabine
Das Logo des Journalisten-Teams Strg_F ist zu sehen, dazu der Titel der aktuellen Reportage "Im Vergewaltiger-Netzwerk". Dazu ist ein Screenshot eingeblendet von einem abfotografierten Zettel, auf dem ein Telegram-Konto aufgeschrieben ist für wahrscheinlich interessierte Vergewaltiger.

GUCKEN

„Im Netzwerk der Vergewaltiger“

STRG_F auf YouTube

Wer dachte, dass der Fall Gisèle Pelicot ein grausames Einzelschicksal ist, sollte sich die Reportage „Im Netzwerk der Vergewaltiger“ von STRG_F ansehen.

Beeindruckend zeigen die Reporterinnen Isabell Beer und Isabel Ströh, dass sich auf Telegram ein internationales Netzwerk findet, „in dem sich Nutzer über Vergewaltigungen an bewusstlosen Frauen austauschen, sie offenbar planen und Aufnahmen des Missbrauchs teilen“. Mit einem Einladungslink treten die Journalistinnen erst einer, dann mehreren Gruppen bei und finden ein Ausmaß an Grausamkeit und Auskunftsfreudigkeit, das selbst die erfahrenen Reporterinnen überrascht.

Der Film zeigt, mit welchen perfiden Mitteln Männer ihre Frauen betäuben, und betrachtet auch die juristische Seite dieses Phänomens. Zu guter Letzt geht er außerdem auf den prominentesten Fall dieser Art ein: den Fall Gisèle Pelicot.

Der Film bringt etwas Unglaubliches ans Tageslicht, das bisher in nicht gekanntem Ausmaß im Dunkel der vermeintlichen Anonymität existieren konnte.

„WTF is Jule?!“

Erstellt am: Freitag, 14. März 2025 von Selina
Titelbild von der ZDF-Doku über Jule Stinkesocke. Man sieht die Aufschrift "WTF is Jule?!" und dahinter ein Foto von der angeblichen Jule Stinkesocke. Moderiert wird die Doku von dem deutschen Schauspieler Maximilian Mundt.

GUCKEN

„WTF is Jule?!“

ZDF Mediathek

70.000 Follower auf Twitter (heute X), Millionen Menschen lesen ihren Blog. Kaum eine Person im Rollstuhl hat so viele Menschen erreicht wie Jule Stinkesocke. Schulzeit, Ausbildung und Sex, Jule Stinkesocke schrieb über ihr Leben.

Doch es stellt sich heraus: Stinkesocke existiert nicht. „WTF is Jule?!“ ist eine Doku-Serie des ZDF über eine Person, die jahrelang Tausende Menschen täuschte. Die Doku zeigt, wie junge Leute, vor allem aus besonders verletzlichen Gruppen wie Menschen mit Behinderungen, durch falsche Identitäten in den sozialen Medien manipuliert werden können. Besonders junge behinderte Frauen wurden Opfer, die dachten, sie würden mit einer ebenfalls jungen behinderten Frau chatten.

„Ich fühle mich benutzt, ich habe jemandem alles erzählt, was man über mich wissen kann. Das waren ganz intime Sachen, und wenn ich darüber nachdenke, wird mir schlecht“, sagt eines der Opfer, die in der Doku zu Wort kommen.

Der Schauspieler Maximilian Mundt, bekannt aus der Netflix-Serie „How to Sell Drugs Online (Fast)“, begleitet einen durch die Recherche nach der wahren Identität von Jule Stinkesocke.

zdf.de/dokumentation/wtf-is-jule

„Avignon – Der Prozess Pelicot“

Erstellt am: Freitag, 14. März 2025 von Selina
Cover des Spiegel-Podcats "Acht Milliarden", mit der aktuellen Folge über den Prozess Pelicot in Avignon. Dazu sieht man das Opfer Gisèle Pelicot mit ihrer Sonnenbrille auf.

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„Avignon – Der Prozess Pelicot“

Acht Milliarden/Der Spiegel

„Sie war immer noch ein Opfer, denn wie sie sagte, wusste sie von nichts. Also war sie immer noch ein Opfer. Aber sie war eine Frau mit einem Blick, mit einer Stimme. Zum ersten Mal erzählte sie ihre Version der Geschichte, und das war ehrlich gesagt ein unglaublicher Moment“, sagt Gerichtszeichnerin Marion Dubreuil über Gisèle Pelicot im „Spiegel“-Podcast von Britta Sandberg. In vier Folgen nimmt die Journalistin ihr Publikum mit in die „Innenansichten“ des Gerichtssaals.

Zu hören sind Auszüge aus Sandbergs Notizen, aus Wortprotokollen, Vernehmungen und der Anklageschrift. Zitiert werden Stellen aus dem Buch von Caroline Darian, der Tochter von Gisèle und Dominique Pelicot, das auch Briefe ihres Vaters enthält, die er aus dem Gefängnis an seine Familie geschrieben hat.

Neben der Heldin Gisèle Pelicot lernt der Hörer hier auch das Opfer Gisèle Pelicot kennen. Der Podcast zeigt hier außerdem, was so eine Tat für eine Familie bedeutet.

Es ist als Zuhörerin nicht immer leicht, all diese Details zu erfahren – ihnen zu folgen, ohne selbst betroffen zu werden. Aber wer sich für diese Geschichte interessiert, sollte diesen Podcast auf keinen Fall verpassen.

open.spotify.com

Auch Sprache ist ein Messer 

Erstellt am: Montag, 10. März 2025 von Selina
Salman Rushdie sein Buch "Knife".

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Auch Sprache ist ein Messer 

Salman Rushdie
„Knife – Gedanken nach einem Mordversuch“
Penguin Verlag, 256 Seiten, 25 Euro 

Am 14. Februar 1989 rief der iranische Revolutionsführer Chomeini die Muslime in aller Welt auf, den Schriftsteller Salman Rushdie zu töten, Autor des Buches „Die satanischen Verse“.

33 Jahre und 16 Bücher später, am 12. August 2022, stürmt im Amphitheater von Chautauqua ein junger Mann zur Bühne, wo Rushdie, mittlerweile 75 Jahre alt, spricht. Der Schriftsteller sieht den Mann im Augenwinkel kommen; es ist das Letzte, was sein rechtes Auge sehen wird. 15-mal sticht der Angreifer zu, sein Messer trifft Hand, Hals, Leber, Unterleib, Auge.

Rushdie überlebt – und sticht schon bald zurück, mit Worten: „Auch Sprache ist ein Messer“, schreibt er. „War ich unvermutet in einen Messerkampf geraten, war Sprache womöglich die Waffe, mit der ich mich wehren konnte.“ Sprache, so Rushdie, könne die Welt aufschneiden und ihre Bedeutung zeigen, und genau das tut der Schriftsteller in seinem Buch „Knife“, Messer. Er legt die Folgen des Verbrechens frei, zeigt seine Gefühle: den Schmerz, die Angst, die Scham.

18 Tage lang, „die längsten achtzehn Tage meines Lebens“, rang Rushdie auf der Intensivstation um sein Leben. Ihm wurde klar, dass er über das Attentat schreiben muss. Schreiben als Therapie, der Gedanke behagte ihm nicht, „Schreiben ist Schreiben und Therapie ist Therapie“, notiert er später. Aber da schreibt er längst, es geht nicht anders.

„Knife“ zeigt, schmerzhaft auch für den Leser, die „körperlichen Demütigungen“, die der Verletzte ertragen muss. Den Verlust der Autonomie. Die Zumutungen, denen ihn „Dr. Auge, Dr. Hand, Dr. Stich, Dr. Schnitt, Dr. Leber, Dr. Zunge“ aussetzen. Rushdie erinnert sich, sich „matt“ gefühlt zu haben, „erschöpft, deprimiert, fassungslos, krank, schwach“. Nur an ein Gefühl erinnert er sich nicht: Wut. „Wut kam mir wie ein sinnloser Luxus vor. Wut nutzte mir nichts; ich hatte mich um Wichtigeres zu kümmern.“

Wichtiger ist es für ihn, zu verstehen, und dafür nutzt er das Mittel, das ihn als Schriftsteller berühmt gemacht hat: die Fantasie. Er stellt sich einen Dialog mit seinem Attentäter vor. 27 Sekunden lang stach der Mann auf den hilflosen Schriftsteller ein, seitenlang kehrt der Schriftsteller nun das Machtverhältnis um und schlägt mit Worten auf den Attentäter ein, den er „A.“ nennt, „A. wie Arschloch“. Er spricht mit ihm über Gott und Glauben, über Liebe und Leben. „Untermotiviert“ kommt ihm die Tat seines „gescheiterten Mörders“ vor. Fast gelangweilt beendet er schließlich das Gespräch: „Ich habe nicht länger die Energie, ihn mir vorzustellen, so wie er nie in der Lage war, sich mich vorzustellen.“

Auf Gewalt habe er mit Kunst antworten wollen, so Rushdie. Am Ende seines nachdenklichen und klugen, deshalb so wertvollen Buches steht er wieder auf der Bühne in Chautauqua und fühlt sich: ganz. Das Verbrechen hat ihn nicht zerbrochen.

penguin.de/buecher/salman-rushdie-knife