Anlaufstelle für Opfer von Gewalt und Missbrauch im Sport

Erstellt am: Mittwoch, 22. Oktober 2025 von Selina
Kerstin Claus engagiert sich seit vielen Jahren für Menschen, die von Missbrauch betroffen sind. Foto: Christoph Soeder

Kerstin Claus engagiert sich seit vielen Jahren für Menschen, die von Missbrauch betroffen sind. Foto: Christoph Soeder

Datum: 22.10.2025

Anlaufstelle für Opfer von Gewalt und Missbrauch im Sport

Gewalt und Missbrauch im Sport bleiben ein großes Problem. Athletenvertreter Johannes Herber fordert die schnelle Umsetzung des Zentrums für „Safe Sport“, das Übergriffe unabhängig untersuchen soll. Auch Kerstin Claus, Unabhängige Bundesbeauftragte gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, fordert neue Lösungen.

Im Bundestagsausschuss für Sport und Ehrenamt hat Johannes Herber, Geschäftsführer der Athletenvertretung Athleten Deutschland e. V., auf das Ausmaß von Gewalt, Missbrauch und Machtmissbrauch im deutschen Sport aufmerksam gemacht. Herber erinnerte an mehrere Fälle, darunter die Berichte der Turnerin Tabea Alt über Essstörungen, Straftraining, Schmerzmittel und Demütigungen, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet. Ebenso sprach er über die 17 Ruderinnen und Ruderer, die schwere Vorwürfe gegen einen Trainer erhoben hatten. Diese Beispiele machten deutlich, wie groß das Problem sexualisierter, verbaler und struktureller Gewalt im Sport weiterhin sei. Viele Verfahren würden noch immer versanden, meint Herber.

Zentrales Thema der Sitzung war das geplante Zentrum für „Safe Sport“, das künftig Fälle von Gewalt und Übergriffen im Leistungssport unabhängig erfassen, untersuchen und sanktionieren soll. Die Umsetzung des Projekts zieht sich jedoch auch wegen juristischer Fragen seit Jahren hin. Herber forderte laut SZ, die staatliche Sportförderung künftig daran zu koppeln, dass Verbände dem Zentrum beitreten und dessen Verfahren akzeptieren. Nur so könne sichergestellt werden, dass alle Fälle konsequent verfolgt werden. Ein weiterer Punkt war die geplante Finanzierung von derzeit 2,8 Millionen Euro im Bundeshaushalt für das Jahr 2026 und fünf Millionen für 2027, die schrittweise ausgebaut werden soll.

Datenbank gegen übergriffige Trainer

„Correctiv“ sowie das Magazin „11 Freunde“ haben kürzlich über Manipulation, Mobbing und Missbrauch im Jugendfußball berichtet. Ein Problem hierbei: Übergriffige Trainer können einfach den Verein oder das Bundesland wechseln und dort weitermachen. Kerstin Claus, die Unabhängige Bundesbeauftragte gegen sexuellen Missbrauch, schlägt eine Trainerdatei vor, um das zu unterbinden. So können sich Vereine über Trainer im Vorfeld informieren. Bisher scheiterte es aber am Datenschutz und daran, dass es keine Stelle gebe, die ein solches Register führt. Eine mögliche Aufgabe für das Zentrum für Safe Sport, wenn der gesetzliche Rahmen geschaffen wird.

Auch Vertreterinnen des Deutschen Fußball-Bundes betonten den Handlungsbedarf. Viele Kinder und Jugendliche verstünden nicht, was ihnen widerfahre, erklärte Stefanie Schulte, Abteilungsleiterin Nachhaltigkeit des DFB. Die Politik müsse dem Sport helfen und Verbände sollten mehr Aufklärung leisten. Ein Grund: Das Zentrum für Safe Sport soll zunächst für den Leistungssport gegründet werden. Erst im zweiten Schritt komme der Nachwuchs-Leistungssport hinzu – nicht jedoch der Breitensport mit 86.000 Vereinen in Deutschland, wie „Sport 1“ berichtet.

Trotz eines bereits verabschiedeten Safe Sport Code des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) bleibt die Umsetzung somit schleppend. Erst Ende 2028 soll der Kodex in allen Verbänden verbindlich gelten. Dadurch soll es Verbänden ermöglicht werden, in nicht strafrechtlich relevanten Fällen zu sanktionieren, beispielsweise wenn ein übergriffiges Verhalten vorliegt, etwa unangemessener Körperkontakt oder verbale Demütigung. Laut Bundesregierung soll das Zentrum für Safe Sport im Frühjahr 2026 gegründet werden und 2027 seine Arbeit aufnehmen. Bis dahin, so Herber, fehle es weiter an Verbindlichkeit – und an Schutz für viele Betroffene.

Berufungsprozess: Gisèle Pelicot erneut im Gerichtssaal

Erstellt am: Donnerstag, 9. Oktober 2025 von Selina
Gisèle Pelicot beim Berufungsprozess in Nîmes im Gericht.

Auf eigenem Wunsch ist Gisèle Pelicot zum Prozess in Nîmes gekommen. Foto: Picture alliance / MAXPPPPicturesWire

Datum: 09.10.2025

Berufungsprozess: Gisèle Pelicot erneut im Gerichtssaal

Vor fast einem Jahr endete der berühmte Vergewaltigungsprozesses von Avignon. Nun saß Gisèle Pelicot erneut in einem französischen Gerichtssaal. Der Grund: Einer der 51 Verurteilten sieht sich als unschuldig an und legte Berufung ein – das Gericht sah dies jedoch anders und er bekam eine noch höhere Strafe.

Von den 51 verurteilten Vergewaltigern im öffentlichen Prozess um Gisèle Pelicot will einer seine Strafe nicht akzeptieren. Der 44-Jährige sehe sich nach eigenen Angaben nicht als Vergewaltiger, er sei in eine Falle gelaufen, wie die Frankreich-Korrespondentin des „SPIEGEL“ berichtet.

Die Falle soll der damalige Ehemann Dominique Pelicot gestellt haben. Fast zehn Jahre hatte Dominique im Internet nach Männern gesucht, die seine Frau vergewaltigten, wie der Prozess von Avignon damals zum Vorschein brachte. Auch wenn online von „einvernehmlichem Sex“ die Rede war, fanden alle später verurteilten Täter eine bewusstlose Gisèle Pelicot vor, woraufhin der Akt weder verweigert, noch die Polizei gerufen wurde. Einer von ihnen war der 44-jährige Angeklagte. Das beweisen Videoaufnahmen.

Der Berufungsprozess dauerte vom 6. bis zum 9. Oktober. Anwesend im Berufungsgericht von Nîmes war Gisèle Pelicot selbst, auf eigenen Wunsch. Ebenfalls war es ihr Wunsch, dass der Prozess wieder öffentlich stattfindet. Die einzige Bedingung war: Bei Sichtung der Videos im Gerichtssaal, die die Vergewaltigung zeigen, soll ihr Sohn Florian den Saal verlassen, heißt es im „SPIEGEL“-Bericht.

Neben der Videoaufnahmen als Beweismittel, war auch ihr Peiniger Dominique Pelicot, im Gericht anwesend. Er trat am zweiten Tag als Zeuge auf.

Im Prozess entschied ein Schöffengericht, bestehend aus fünf Männern und vier Frauen, die zuvor per Los ausgewählt wurden. Der 44-Jährige wollte den erneuten Prozess, obwohl seine aktuelle Strafe von neun Jahren dabei sogar zur Höchststrafe von 20 Jahren wegen „schwerer Vergewaltigung“ geändert werden kann. Der Generalstaatsanwalt hatte am letzten Prozesstag zwölf Jahre Haft beantragt. Nach über zwei Stunden Beratung, verurteilte das Schöffengericht den 44-Jährigen zu zehn Jahren Freiheitsstrafe wegen „schwerer Vergewaltigung“, wie die französische Zeitung „Midi Libre“ aus dem Gericht berichtet.

Gisèle Pelicot wird mit Frankreichs Verdienstorden der Ehrenlegion ausgezeichnet.

Höchste Auszeichnung Frankreichs für Gisèle Pelicot

Die Französin hat die jahrelangen Vergewaltigungen durch ihren damaligen Ehemann und Dutzende anderer Männer öffentlich gemacht. Jetzt wird sie geehrt.

„Hören Sie auf, sich hinter Ihrer Feigheit zu verstecken“

Gisèle Pelicot ertrug die dreieinhalb Prozesstage mit gewohnter Stärke. Die Frankreich-Korrespondentin des „SPIEGEL“ beschrieb sie als stoisch und aufrecht, während der Aussage des verurteilten Vergewaltigers. Sie habe sich seine Worte regungslos angehört.

Die „FAZ“-Korrespondentin wie auch die „SPIEGEL“-Korrespondentin berichteten, dass Gutachter den Angeklagten als urteilsfähig eingestuft haben. Er soll während der Tat kein beeinträchtigtes Urteilsvermögen gehabt haben. Auch stellten die Gutachten eine hohe sexuelle Aktivität fest: Trotz Ehefrau ging er zu Prostituierten und verabredete sich im Internet mit Paaren zum Sex zu dritt. Alle Gutachter seien zu dem Schluss gekommen, den Angeklagten habe kein intellektuelles Defizit oder Pathologie daran gehindert, die Vergewaltigung der bewusstlosen Pelicot zu erkennen. Die Verteidigung argumentierte: Dominique Pelicot habe den 44-Jährigen manipuliert.

Gegenüber den Gutachtern beschrieb der Angeklagte sie sei wie eine Tote auf dem Bett gelegen. Eine Aussage, die Gisèle Pelicot während des Prozesses aufgriff. „Sie haben erklärt, Sie hätten den Eindruck gehabt, es mit einer Toten zu tun zu haben. Ich persönlich verlasse den Raum, wenn ich eine Tote sehe. Oder ich rufe die Feuerwehr. Sie aber sind zwei Stunden lang geblieben. Stehen Sie endlich zu dem, was Sie getan haben. Hören Sie auf, sich hinter Ihrer Feigheit zu verstecken“, zitiert der „SPIEGEL“ die Französin.

Gesetzänderung und Auszeichnung

Gisèle Pelicot folgte mit ihrem wiederholten öffentlichen Auftreten im Gerichtssaal ihrem berühmten Satz „Die Scham muss die Seite wechseln“. Seit dem Ende des Vergewaltigungsprozesses von Avignon vor zehn Monaten hat sich in Frankreich wie auch im Leben von Pelicot manches geändert. Im Juni kam es in Frankreich unter anderem wegen ihres Falls zu einem Gesetzesentwurf: „Nur Ja heißt Ja“. Damit soll Vergewaltigung neu definiert werden, indem Schweigen oder fehlende Reaktion nicht als Zustimmung zu einem sexuellen Akt gelten sollen. Noch befindet sich das Gesetz im Vermittlungsausschuss zwischen Abgeordnetenhaus und Senat, wie der „Stern“ im Juni berichtete. Im Juli erhielt Gisèle Pelicot für ihren Mut eine der höchsten französischen Auszeichnungen, den Verdienstorden der Ehrenlegion.

Hilfe für Missbrauchsopfer: „Der Fonds muss endlich gesetzlich verankert werden“

Erstellt am: Dienstag, 30. September 2025 von Gregor
Kerstin Claus engagiert sich seit vielen Jahren für Menschen, die von Missbrauch betroffen sind. Foto: Christoph Soeder

Kerstin Claus engagiert sich seit vielen Jahren für Menschen, die von Missbrauch betroffen sind. Foto: Christoph Soeder

Datum: 30.09.2025

Hilfe für Missbrauchsopfer: „Der Fonds muss endlich gesetzlich verankert werden“

Die Unabhängige Bundesbeauftragte gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, Kerstin Claus, fordert in einem Gastkommentar im WEISSER RING Magazin die Politik auf, das endgültige Aus des Fonds Sexueller Missbrauch zu verhindern.

Nach dem Ende des Fonds Sexueller Missbrauch hat die Unabhängige Bundesbeauftragte gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, Kerstin Claus, den Bundestag in die Pflicht genommen, zeitnah für Ersatz zu sorgen. In einem Gastkommentar für das WEISSER RING Magazin schreibt Claus: „Selten gelingt es der Politik, so etwas wie nachholende Gerechtigkeit zu schaffen. Der Fonds Sexueller Missbrauch war eine solche Erfolgsgeschichte. Jetzt ist es an den Abgeordneten, das endgültige Aus dieses niedrigschwelligen Hilfesystems zu verhindern. Er hat Belastungen im Alltag verringert und Perspektiven möglich gemacht, wo vergangene Gewalt oft das Leben prägt.“

Rückwirkender Stopp

Darüber hinaus kritisiert Kerstin Claus, es sei ein „verheerendes Signal“ für Betroffene gewesen, als die Ampelregierung im vergangenen Jahr „stillschweigend“ das Aus des Fonds zum 31. August 2025 beschlossen und die aktuelle Bundesregierung später sogar einen rückwirkenden Antragsstopp ab dem 19. März zugelassen habe. „Das ist ein Akt der Entsolidarisierung. Eine Regierung, die sich dem Schutz von Kindern und Jugendlichen verschreibt, darf so nicht handeln“, so Claus. „All dies jetzt preiszugeben – nur weil eine Bundesregierung nach der anderen daran scheitert, dieses Hilfesystem verlässlich finanziell und strukturell abzusichern –, ist ein Armutszeugnis.“

Die Bemühungen der früheren Familienministerin Lisa Paus (Grüne), den Fonds über das neue „Gesetz zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“ abzusichern, seien kraftlos gewesen. Das Veto der FDP habe Paus stillschweigend akzeptiert und öffentliche Debatten vermieden. Ihre Nachfolgerin Karin Prien (CDU) habe zwar eine gesetzliche Verankerung des Hilfesystems gefordert, jedoch keinen konkreten Vorschlag eingebracht.

Jetzt liege die Verantwortung beim Bundestag und damit bei den Abgeordneten. Claus fordert: „Ab 2026 müssen die nötigen Mittel dauerhaft gesichert und perspektivisch der Fonds endlich gesetzlich verankert werden. Denn: Sexualisierte Gewalt ist ein Verbrechen mit lebenslangen Folgen. Wer das ignoriert, riskiert, dass Betroffene erneut verstummen.“

Ministerium prüft Ersatz

Ob und welchen Ersatz es für den Fonds gibt, ist weiter ungewiss. Auf Anfrage des WEISSER RING Magazins teilte das Bundesfamilienministerium mit, es setze sich dafür ein, dass Betroffene auch künftig wirksame Hilfen erhalten. Dies hatten Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart. Die „Möglichkeiten der Umsetzung“ würden weiterhin geprüft, sagte eine Sprecherin des Ministeriums von Karin Prien (CDU), die sich unter anderem mit dem Betroffenenrat austausche. Der Prozess werde noch „einige Zeit in Anspruch nehmen“, damit die Lösung den Vorgaben des Bundesrechnungshofs entspreche.

Der Fonds, der zum Ergänzenden Hilfesystem gehörte, war im Sommer – rückwirkend zum 19. März – eingestellt worden. Der WEISSE RING und weitere Fachorganisationen kritisierten das Ende des Fonds. Dieser konnte einspringen, wenn Behandlungen, etwa Physio- oder Ergotherapie, oder andere Leistungen nicht von Kranken- und Pflegekassen oder dem Sozialen Entschädigungsrecht abgedeckt werden. Nach jüngsten Angaben des zuständigen Bundesfamilienministeriums wurden bislang etwa 165,2 Millionen Euro ausgezahlt.

 

Der Kommentar

Erstellt am: Mittwoch, 24. September 2025 von Selina

Der Kommentar

„Sexualisierte Gewalt ist ein Verbrechen mit lebenslangen Folgen. Wer das ignoriert, riskiert, dass Betroffene erneut verstummen.“

Kerstin Claus

Kerstin Claus ist Unabhängige Bundesbeauftragte gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Die Journalistin und Systemische Organisationsberaterin engagiert sich seit vielen Jahren hauptund ehrenamtlich gegen sexualisierte Gewalt.

Selten gelingt es der Politik, so etwas wie nachholende Gerechtigkeit zu schaffen. Der Fonds Sexueller Missbrauch war eine solche Erfolgsgeschichte. Jetzt ist es an den Abgeordneten, das endgültige Aus dieses niedrigschwelligen Hilfesystems zu verhindern.

Seit 2013 ermöglicht der Fonds Betroffenen, die in Kindheit und Jugend sexualisierte Gewalt erlebt haben, unkompliziert Sachleistungen. Er hat Belastungen im Alltag verringert und Perspektiven möglich gemacht, wo vergangene Gewalt oft das Leben prägt. Damit war er ein starkes Zeichen staatlicher Verantwortungsübernahme und letztlich auch Anerkennung, auch das elementar für Betroffene.

Deswegen war es ein verheerendes Signal für Betroffene, als die Ampelregierung letztes Jahr stillschweigend das Aus des Fonds Sexueller Missbrauch zum 31. August 2025 beschloss. Doch selbst dieses knappe Zeitfenster kippte die aktuelle Bundesregierung mit einem rückwirkenden Antragsstopp ab dem 19. März. Selbst bereits eingereichte Anträge bleiben unbearbeitet. Das ist ein Akt der Entsolidarisierung. Eine Regierung, die sich dem Schutz von Kindern und Jugendlichen verschreibt, darf so nicht handeln.

Sexualisierte Gewalt zerstört Biografien. Viele Betroffene ringen ein Leben lang mit den Folgen: Schulabbrüche, psychische Erkrankungen, zerbrechende Beziehungen. Der Fonds Sexueller Missbrauch war für viele die einzige Option auf niedrigschwellige Hilfe. Hilfe, wo das staatliche Entschädigungsrecht versagt. Denn trotz Reform 2019 bleiben die Hürden dort unerreichbar hoch: Weil Zeugen fehlen, Taten nicht belegt oder gesundheitliche Schäden nicht nachgewiesen werden können.

Der Fonds Sexueller Missbrauch war 2013 eine gute Antwort auf diese Leerstelle. Und er hat funktioniert für die Betroffenen. Hilfe und Unterstützung wurden möglich. All dies jetzt preiszugeben – nur weil eine Bundesregierung nach der anderen daran scheitert, dieses Hilfesystem verlässlich finanziell und strukturell abzusichern –, ist ein Armutszeugnis.

Hilfesystem muss gesetzlich verankert werden

Kraftlos waren die Bemühungen der früheren Familienministerin Lisa Paus (Grüne), den Fonds über das neue „Gesetz zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“ abzusichern. Das Veto der FDP akzeptierte sie stillschweigend, vermied jede öffentliche Debatte. Ihre Nachfolgerin Karin Prien (CDU) forderte zwar unlängst eine gesetzliche Verankerung des Hilfesystems, ohne aber einen konkreten Vorschlag einzubringen. Und auch im Haushalt 2026 sind die nötigen Mittel bisher nicht hinterlegt.

Jetzt liegt die Verantwortung beim Bundestag und damit bei den Abgeordneten: Ab 2026 müssen die nötigen Mittel dauerhaft gesichert und perspektivisch der Fonds endlich gesetzlich verankert werden. Denn: Sexualisierte Gewalt ist ein Verbrechen mit lebenslangen Folgen. Wer das ignoriert, riskiert, dass Betroffene erneut verstummen. Nachholende Gerechtigkeit bedeutet: zuhören, unterstützen, handeln. Nur so erfahren Betroffene nachträglich ein Stück Gerechtigkeit – spät, aber eben nicht zu spät.

Karla

Erstellt am: Donnerstag, 31. Juli 2025 von Sabine
Karla ist ein Film über Kindesmissbrauch: Auf dem Bild blickt sie an der Kamera vorbei. Sie ist erst elf Jahre alt, hat kurzes Haar.

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Karla

Ab 2. Oktober 2025 im Kino

Karla schlägt die Stimmgabel auf den braunen kleinen Holztisch. Ein klarer und reiner Ton flutet das Büro des Richters. Er versteht das Zeichen, das sie ganz am Anfang vereinbart haben. Ein Schlag, ein Ton, bedeutet einen weiteren sexuellen Missbrauch durch ihren Vater.

Es ist 1962, eigentlich war die Familie auf dem Weg in den Sommerurlaub mit dem Auto. Während einer kurzen Toiletten-Pause in einem Feld rennt die Tochter Karla los – zum nächsten Polizeirevier. Sie verlangt, den Richter zu sprechen. Noch in der Nacht kommt er zum Revier. Sie ist erst zwölf Jahre alt und will ihren Vater anzeigen. Sie sagt, es geht um Paragraf 176 des Strafgesetzbuchs: sexueller Missbrauch von Kindern. „Es gibt den Artikel ‚Recht auf Leben‘ – Artikel zwei im Grundgesetz, gleich nach dem mit der ‚Würde des Menschen‘. Gilt das alles auch für Kinder?“, fragt Karla den Richter.

Karla kommt in ein Mädchenheim eines Klosters. Täglich trifft sie den Richter in seinem Büro, erzählt ihm von Situationen mit ihrem Vater, aber nicht über die einzelnen Taten; stattdessen schlägt sie die Stimmgabel auf den Tisch.

Karla ist ein sanfter und zugleich lauter Film nach einer wahren Begebenheit. Die Regisseurin Christina Tournatzés schafft es, allein durch Anspielungen und Symbolik, den Kindesmissbrauch darzustellen, ohne das Leid in Szene zu setzen. Zum Beispiel zeigt sie nur die Unterseite des Bettes, wenn es um Missbrauch geht, mehr bekommt das Publikum nicht zu sehen. Die Würde und die Stärke des Opfers stehen im Vordergrund. Gespielt wird die Protagonistin von Elise Krieps. Es ist die erste Filmrolle der noch jungen Schauspielerin.

Viele Opfer haben sich vergeblich überwunden und einen Antrag auf Unterstützung gestellt. Foto: dpa

„Die Betroffenen haben viele Ängste und Schamgefühle“

Die Empörung ist groß, nachdem bekannt geworden ist, dass der Fonds Sexueller Missbrauch auslaufen soll. Ein Papier aus den Koalitionsverhandlungen, das dem WEISSER RING Magazin vorliegt, lässt jetzt auf eine Fortsetzung hoffen. Doch ob und in welcher Form der Fonds bleibt, ist ungewiss.

Der Film thematisiert die Qual von Opfern, über das Erlebte sprechen zu müssen. Ob bei der Polizei für die Anzeige oder später vor Gericht: Betroffene werden immer aufgefordert, die Tat zu schildern, teilweise mit intimen Details. Und das möchte Karla nicht. Für den Richter eine große Herausforderung – wie verurteilt man jemanden, wenn das Opfer keine Angaben zur Tat machen möchte? Mit viel Feingefühl und Geschick schafft er es schließlich, an ausreichend Informationen zu gelangen, um ein Verfahren eröffnen zu können. Die Mutter als Zeugin, der Vater als Täter – und erst hier bekommt er ein Gesicht. Um Karla herum Männer, die darüber streiten, ob ein 12-jähriges Mädchen eventuell die Verführerin gespielt hat. Später stellt sich heraus: Es war nicht ihr erster Versuch, den Vater anzuzeigen.

Neben berührenden Dialogen bekommt der Zuschauer auch die Welt gezeigt, in die Karla flieht, wenn sie für kurze Zeit nicht das Mädchen sein möchte, dem all das Grausame angetan wurde. In ihrer Fantasiewelt rennt sie über Wiesen voller Mohnblumen. Ein bewusstes Stilmittel von Christina Tournatzés, da die Blume Frieden symbolisiert. Denn genau den möchte Karla endlich in ihrem Leben: Frieden.

Auch wenn der Film im Jahr 1962 spielt, ist er noch heute aktuell. Erst kürzlich erschien die nationale Dunkelfeldstudie, die bundesweit die Häufigkeit sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche untersucht sowie auch die Kontexte der Taten und deren Folgen beleuchtet. Das Ergebnis: Sexualisierte Gewalt im Kindes- und Jugendalter bleibt oft unentdeckt, weil Betroffene schweigen. Mehr als ein Drittel hat bisher nie über das Erlebte gesprochen.

Nach Aus für Missbrauchsfonds: „Stille und Entsetzen“ bei den Betroffenen

Erstellt am: Freitag, 11. Juli 2025 von Gregor
Viele Opfer haben sich vergeblich überwunden und einen Antrag auf Unterstützung gestellt. Foto: dpa

Viele Opfer haben sich vergeblich überwunden und einen Antrag auf Unterstützung gestellt. Foto: dpa

Datum: 11.07.2025

Nach Aus für Missbrauchsfonds: „Stille und Entsetzen“ bei den Betroffenen

Der rückwirkende Antragsstopp beim Fonds Sexueller Missbrauch hat bei Opfern und Beratenden Empörung ausgelöst.

Sabrina Lange* wurde mehrfach missbraucht und ist dadurch schwer traumatisiert. So schwer, dass sie unter anderem an Krampfanfällen leidet. Um ihren Alltag zu erleichtern und ihrer Belastungsstörung besser entgegenwirken zu können, wollte sie ihren dafür gut geeigneten Hund zum Assistenzhund ausbilden lassen. Sie hoffte dabei auf eine Finanzierung durch den Fonds Sexueller Missbrauch (FSM). Zusammen mit Ingeborg Altvater, die ehrenamtlich für den WEISSEN RING arbeitet, hatte sie in den vergangenen Wochen einen Antrag vorbereitet, gewissenhaft Informationen gesammelt und Formulare ausgefüllt.

Vor wenigen Tagen, kurz vor dem Fertigstellen des Antrags, rief Altvater Sabrina Lange an, um ihr eine schlechte Nachricht zu überbringen: Der Fonds wird zumindest vorerst kein Geld mehr auszahlen. Als Lange das hörte, schwieg sie. Nach einer langen Pause fragte sie: „Was mache ich jetzt?“ Altvater konnte ihr keine zufriedenstellende Antwort geben. Denn einen Assistenzhund etwa über das Soziale Entschädigungsrecht zu finanzieren, ist nur schwer möglich, und wenn, dann dauert es jahrelang.

Nach dem Stopp beim Fonds – rückwirkend zum 19. März – hat Altvater wiederholt Reaktionen wie die von Sabrina Lange erlebt, wie sie im Gespräch mit dem WEISSER RING Magazin erzählt. Sie berät zum Ergänzenden Hilfesystem (EHS), dessen Teil der Fonds ist, und begleitete Opfer hierbei in mehr als 100 Fällen. Altvater bezeichnet die aktuelle Entwicklung als „Katastrophe“. Dass sie die Betroffenen nach und nach anrufen und informieren musste, habe ihr „in der Seele wehgetan“. Am anderen Ende der Leitung habe „Stille und Entsetzen“ geherrscht. Alleine in Hessen, wo die ehrenamtliche Mitarbeiterin im Einsatz ist, hätten in acht bis zehn Fällen Beratungstermine kurzfristig abgesagt werden müssen. Und dass, obwohl bei denen der Antrag fast fertig gewesen sei. Andere Verfahren – bei denen die Betroffenen teils weite Wege und die erneute Konfrontation mit dem Missbrauch auf sich genommen hätten – liefen schon und nach jetzigem Stand vergeblich.

Fonds ist wichtige niedrigschwellige Hilfe

Die Sprachlosigkeit sei für einen Teil der Missbrauchsopfer typisch, sie gehörten zu den Schwerstbetroffenen, fühlten sich wehrlos und könnten nur schwer ihre Stimme erheben, um sich für ihre Belange einzusetzen. Umso schlimmer sei der Umgang mit ihnen – zumal es nicht um Milliardensummen gehe, kritisiert Altvater.

Vor zwei Wochen hatte die Geschäftsstelle des FSM auf ihrer Webseite mitgeteilt, dass sie Erstanträge, die ab dem 19. März dieses Jahres eingegangen sind, voraussichtlich nicht mehr annehmen könne. Die Mittel im Bundeshaushalt reichten nicht, hieß es.

Der Fonds ist für viele Betroffene eine niedrigschwellige Unterstützung, auf die sie nicht verzichten können. Er kann einspringen, wenn Behandlungen, etwa Physio- oder Ergotherapie, oder andere Leistungen nicht von Kranken- und Pflegekassen oder dem Sozialen Entschädigungsrecht abgedeckt werden. Nach Angaben des zuständigen Bundesfamilienministeriums haben bislang 36.000 Betroffene einen Antrag gestellt, ausgezahlt wurden 165,2 Millionen Euro.

Ministerin Prien kündigt an, sich für mehr Geld einzusetzen

Ministerin Karin Prien (CDU) kündigte an, sie werde sich im Bundestag für zusätzliche Haushaltsmittel für Opfer von Kindesmissbrauch engagieren und das System neu aufstellen. Doch ob und wann die Reform kommt, und wie viel Geld dafür zur Verfügung steht, ist ungewiss.

Bereits im Frühjahr war bekanntgeworden, dass der Fonds auslaufen soll. Das damals von Lisa Paus (Grüne) geführte Familienministerium führte haushaltsrechtliche Bedenken des Bundesrechnungshofes als Grund an und sah die künftige Regierung in der Pflicht, für Ersatz zu sorgen. In seinem Koalitionsvertrag versicherten Union und SPD zwar: „Den Fonds sexueller Missbrauch und das damit verbundene Ergänzende Hilfesystem führen wir unter Beteiligung des Betroffenenrats fort.“ Aber es kam anders.

Nach dem angekündigten Auslaufen des Fonds im März rief Ingeborg Altvater Betroffene, die bereits erste Kontakte wegen einer Antragstellung zu ihr aufgenommen hatten, an und klärte sie darüber auf. Daraufhin wurden einige von ihnen aktiv und stellten noch einen Antrag. Manche machten sich nun den Vorwurf, sie hätten zu lange gewartet. Zu Unrecht, sagt Altvater. Sie könnten nichts für den Stopp, der auch noch rückwirkend erfolgt sei. Manche Opfer kämpften jahrzehntelang mit den Folgen des Missbrauchs, sie bräuchten viel Kraft und Zeit, um sich zu einem Antrag auf Unterstützung durchzuringen.

Schlag ins Gesicht für traumatisierte Menschen

Susanne Seßler, die sich für den WEISSEN RING vor allem in Südbayern als EHS-Beraterin engagiert, macht derzeit ähnliche Erfahrungen wie Altvater und spricht von einem Schlag ins Gesicht. „Erschüttert“ seien die Betroffenen. Sie hätten sich überwunden und würden nun wieder „hinten herunterfallen“, was bei traumatisierten Menschen besonders schlimm sei. „Manche sagen bitter enttäuscht: ,Sehen Sie, ich wusste, dass ich nichts bekomme‘“, berichtet Seßler. In den vergangenen Monaten habe sie zusammen mit Betroffenen knapp 20 Anträge fertiggestellt, etwa fünf weitere seien geprüft und noch mehr vorbereitet worden.

Dass das Geld nicht reiche, kann Seßler nicht nachvollziehen: Zum einen hätten die Verantwortlichen nach ihrer Mitteilung im März damit rechnen müssen, dass aufgrund der Befristung mehr Anträge kommen. Zum anderen lägen diese geschätzt im vierstelligen Bereich, so dass sich die Ausgaben bei einer Unterstützung von in der Regel 10.000 Euro in Grenzen hielten.

Zwei Frauen, die Seßler beriet, wurde eine Reittherapie genehmigt, die allerdings von der Therapeutin verschoben werden musste. „Was jetzt? Wird das Geld noch ausgezahlt?“, fragen sich die Betroffenen.

Neuer Missbrauchsfonds gefordert

Seßler fordert, kurzfristig die entstandenen Lücken mit zusätzlichem Geld zu schließen und mittelfristig einen neuen Fonds aufzusetzen. Das neue Soziale Entschädigungsrecht, das seit 2024 gilt, sei nicht umfassend genug, um die „wichtigen Komplementärtherapien“ abzudecken.

Der WEISSE RING und vier weitere Fachorganisationen – die Deutsche Gesellschaft für Prävention und Intervention bei Kindesmisshandlung, der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe, die Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend sowie der Bundesarbeitsgemeinschaft Feministischer Organisationen gegen Sexuelle Gewalt an Mädchen und Frauen – haben den Stopp kürzlich in einer gemeinsamen Erklärung scharf kritisiert. Sie forderten, die Hilfen zu erhalten und das dafür nötige Geld im Etat des Bundes bereitzustellen.

Auch Ingeborg Altvater hofft noch. Sie hat die Opfer gebeten, ihre Unterlagen aufzuheben.

*Name geändert

 

 

Fonds sexueller Missbrauch: Antragsstopp und Aus

Erstellt am: Mittwoch, 25. Juni 2025 von Gregor
Betroffene leiden oft ein Leben lang unter den Folgen. Foto: Mohssen Assanimoghaddam

Betroffene leiden oft ein Leben lang unter den Folgen. Foto: Mohssen Assanimoghaddam

Datum: 25.06.2025

Fonds sexueller Missbrauch: Antragsstopp und Aus

Der Fonds sexueller Missbrauch, eine wichtige Hilfe für Opfer, ist schon länger in Gefahr. Jetzt spitzt sich die Situation zu. Ab dem 19. März 2025 eingegangene Erstanträge können vermutlich nicht mehr berücksichtigt werden.

Eine unverzichtbare, niedrigschwellige Unterstützung ist der Fonds sexueller Missbrauch (FSM) für Betroffene. Er ist Teil des Ergänzenden Hilfesystem (EHS), kann Folgen des Missbrauchs lindern und einspringen, wenn notwendige Leistungen nicht durch Kranken- und Pflegekassen oder das soziale Entschädigungsrecht abgedeckt werden, etwa Physiotherapie oder Ergotherapie.

Nun gibt es einen Antragsstopp. Außerdem steht der Fonds in seiner jetzigen Form vor dem Aus – trotz einer zuversichtlich stimmenden Ankündigung im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Die Parteien hielten darin fest: „Den Fonds sexueller Missbrauch und das damit verbundene Ergänzende Hilfesystem führen wir unter Beteiligung des Betroffenenbeirats fort.“

Alarmierende Mitteilung der Geschäftsstelle

Am Mittwoch veröffentlichte die Geschäftsstelle des Fonds eine Mitteilung, die deutlich macht, wie sich die Situation zugespitzt hat: In den vergangenen Wochen seien mehr Anträge auf Unterstützung eingegangen als erwartet. „Zu unserem Bedauern werden die im Bundeshaushalt vorgesehenen Mittel zur Gewährung von Billigkeitsleistungen für Betroffene nicht ausreichen, um alle bisher eingegangenen Anträge zu bewilligen“, so die Geschäftsstelle. Derzeit sei davon auszugehen, dass ab dem 19. März 2025 eingegangene Erstanträge nicht mehr berücksichtigt werden. Darüber hinaus könnten nur vollständige Anträge bis 31. Dezember 2025 beschieden werden. Die Geschäftsstelle bittet Antragstellende, bereits eingereichte Anträge selbstständig zu vervollständigen.

Weiter heißt es in der Mitteilung, dem Bundesfamilienministerium sei bewusst, dass die Fristen und Kürzungen viele Betroffene von sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend enttäuschen und vor große Herausforderungen stellen. In der bisherigen Form könne das System – auch weil in den Haushaltsverhandlungen keine Mittel vorgesehen seien – aber nicht fortbestehen. Unbürokratische Hilfen seien aber nach wie vor wichtig. Deshalb setze sich das Ministerium in Gesprächen dafür ein, dass Opfer weiterhin Hilfen bekommen – in welcher Form werde geprüft und brauche noch Zeit.

Kritische Stimmen sprechen von Abwicklung

Aus Fachverbänden sind Stimmen zu hören, die von einer Abwicklung des Fonds sprechen. Kürzlich hatte das von Karin Prien (CDU) geführte Bundesfamilienministerium auf Anfrage des WEISSER RING Magazins noch mitgeteilt: Die Koalitionsfraktionen hätten in ihrem Vertrag die politische Grundlage für den Erhalt des EHS gelegt. Derzeit prüfe das Ministerium, auch vorbehaltlich der Ergebnisse der laufenden Haushaltsverhandlungen, die „Möglichkeiten der Umsetzung“.

Der Fonds ist schon länger in Gefahr: Unter Priens Vorgängerin Lisa Paus (Grüne) rechtfertigte das Ministerium das geplante Aus mit einer Prüfung des Bundesrechnungshofs, der im April 2024 moniert hatte, der Fonds verstoße gegen das Haushaltsrecht. Ein Ministeriumssprecher teilte damals mit, die Ampel-Koalition habe sich nicht auf eine Reform des EHS einigen können. Das müsse die neue Bundesregierung übernehmen.

Der „Rheinischen Post“ sagte Prien nun, sie wolle sich im Bundestag für zusätzliche Haushaltsmittel für Opfer von Kindesmissbrauch einsetzen. Auch werde sie gezielt das Gespräch mit der Unabhängigen Beauftragten Kerstin Claus und dem Betroffenenrat suchen, um eine „tragfähige Lösung“ zu finden. Das System könne nicht wie bisher weitergeführt werden, räumte die Ministerin ein. Die Neuaufstellung sei für Anfang 2026 geplant.

Claus hat die aktuelle Entwicklung mit deutlichen Worten kritisiert: „Einfach rückwirkend bereits vorliegende fristgerechte Anträge auszuschließen und die Annahme von weiteren Anträgen bis zum kommunizierten Antragsende am 31. August 2025 zu verweigern, kommt einem neuerlichen Verrat an Betroffenen gleich“, sagte Claus. Sie appellierte an die Bundesregierung, „sicherzustellen, dass eine kurzfristige Nachsteuerung noch in diesem Jahr erfolgt, um Versorgungslücken zu verhindern“.

Rund 27.500 Menschen wurden unterstützt

Im Jahr 2023 wurden Hilfen in Höhe von 27,6 Millionen Euro (plus 17 Prozent) gezahlt, aus Bundesmitteln flossen in dem Jahr 32 Millionen Euro in den Fonds. Laut dem zuständigen Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben bekamen seit 2013 rund 27.500 Menschen Unterstützung durch den Fonds.

Wenn Liebe blind macht

Erstellt am: Montag, 23. Juni 2025 von Sabine

Wenn Liebe blind macht

Ein Fan zu sein kann Trost spenden – aber auch dazu führen, dass man bei Gewalt und anderen Taten seines Idols wegsieht oder es sogar verteidigt, wie im Fall des mehrfach verurteilten Künstlers Chris Brown. Ein Blick auf ein opferschädigendes Phänomen.

Der Musiker Chris Brown wurde im Mai erneut verhaftet.

Der Musiker Chris Brown wurde im Mai erneut verhaftet. Fotos: chrisbrownofficial/Instagram, Collage: twotype design

Mitte Mai 2025: Der Musiker Chris Brown wird in Manchester von britischen Polizisten festgenommen. Er kommt wegen Verdachts auf schwere Körperverletzung in Untersuchungshaft. Brown soll 2023 in einem Londoner Club auf einen Musikproduzenten eingeprügelt haben. Viele Fans sind außer sich – aber nicht wegen der Vorwürfe gegen Brown, sondern weil sie Tickets für seine aktuelle Tournee gekauft haben. Social-Media-Plattformen wie TikTok oder Instagram sind voll von Videos, in denen Anhängerinnen und Anhänger bitten, Chris Brown freizulassen. Auch unter einem Instagram-Post der „Tagesschau“ über die Verhaftung finden sich viele Kommentare, die die Vorwürfe ausblenden, etwa: „Die Tour wird sicherlich verschoben, und dann gehe ich eben nächstes Jahr.“

Fans kommentieren auf Browns Profil: „UK macht einen großen Fehler.“ Kritische Stimmen? Vor allem außerhalb seiner Fangemeinde, und sie werden sofort von einer Hasswelle seiner Gefolgschaft überrollt. Nach Zahlung einer Millionen-Kaution kommt der Musiker Ende Mai schließlich wieder frei. Ende Juni sowie Mitte Juli plädierte er vor Gericht auf nicht schuldig. Die Hauptverhandlung soll am 26. Oktober beginnen.

Wenn Liebe blind macht

Die Loyalität von Fans kann gefährlich werden, wenn sie Gewalt ihres Idols verharmlosen oder online verteidigen. Ein Beispiel: Chris Brown

Gesteigerter Selbstwert durch Idol-Liebe

Chris Brown fällt seit Jahren immer wieder mit gewalttätigem Verhalten auf: 2009 verprügelte er seine Ex-Freundin Rihanna und bekannte sich vor Gericht schuldig, 2013 griff er einen Fan körperlich an und bekannte sich erneut für schuldig. 2017 bis 2022 durfte er sich laut Gerichtsurteil seiner Ex-Freundin Karrueche Tran nicht mehr nähern. Chris Brown sah sich in dem Fall als Opfer von Verleumdung. 2019 wurde er in Paris vorübergehend festgenommen, wegen Vergewaltigungsvorwürfen. Bis heute gab es aber keine Anklage, und Brown dementierte die Vorwürfe und reichte eine Verleumdungsklage ein. Und 2022 kam es zu einer zivilrechtlichen Klage wegen sexueller Nötigung und Missbrauch, er soll eine Frau auf einer Yacht des Musikers Sean Combs (P. Diddy) vergewaltigt haben. Der Richter ließ die Anklage fallen, wegen fehlenden Beweisen.

Das waren nur einige von vielen Kontroversen. Seine Konzerte sind trotz allem weiterhin ausverkauft.

 

Chris Brown erfährt trotz den vielen Straftaten viel Unterstützung von seinen Fans. Auf dem Foto ist eine Menschenmenge auf einem Konzert, Konfetti fliegt durch die Luft.

Ausverkaufte Konzerte trotz Anzeige wegen Körperverletzung: Chris Brown war während seiner Tour auch in Deutschland. Foto: Pixabay, StockSnap

Die Gemeinschaft, die sich im Laufe von Browns Karriere um ihn entwickelt hat, ist groß. Im Internet schreiben viele, sie seien Teil von „Team Breezy“, benannt nach dem Spitznamen des Musikers. Sie nennen seine Musik „Therapie“ und zeigen auf Fotos stolz ihre Chris-Brown-Tattoos. An die Opfer wird dabei kaum gedacht. Manche kommentieren sinngemäß: „Er hat ja mich nicht geschlagen.“

Dieses Verhalten von Fans ist ein Phänomen, das immer wieder rund um Prominente auftaucht und sich „Promi-Anbetungssyndrom“ nennt. Florian Wedell ist Psychologe beim WEISSEN RING in Mainz und erklärt das teils extreme Verhalten von Fans so: „Es wird eine parasoziale Beziehung zu der prominenten Person aufgebaut, also eine Beziehung auf Distanz. Die Fans identifizieren sich durch einen Star oder eine Sportmannschaft und werten dadurch auch ihren Selbstwert auf.“

„Zum einen besteht ja eine emotionale Bindung zum Idol. Um diese zu schützen, wird die Verantwortung für die Tat dem Opfer zugeschrieben anstatt dem Täter.“

Psychologe Florian Wedell

Der Psychologe nennt drei mögliche Gründe für das fast schon kämpferische Verhalten von Fans auf Social Media: „Zum einen besteht ja eine emotionale Bindung zum Idol. Um diese zu schützen, wird die Verantwortung für die Tat dem Opfer zugeschrieben anstatt dem Täter.“ So bleibe der Star moralisch einwandfrei, und die emotionale Bindung könne erhalten bleiben.

Der zweite Aspekt sei, dass man sich durch die Identifikation und den gestiegenen Selbstwert bei einem Angriff auf sein Idol selbst angegriffen fühlt. „Und dann entsteht das Bedürfnis, sich selbst schützen zu müssen“, sagt Wedell.

Der dritte Aspekt sei die Attraktivität einer Person, das sogenannte „Pretty Privilege“. „Eine Person wie Chris Brown hat eine ansprechende Optik. Attraktiven Menschen werden weniger Straftaten oder moralisch verwerfliches Verhalten zugetraut. Und wenn die Person angegriffen wird, entsteht das Gefühl, dass die eigene Urteilsfähigkeit angezweifelt wird und etwas dagegen unternommen werden muss“, sagt Wedell.

Moralische Blindheit

Es entstehe eine moralische Blindheit. Das zeigen auch Untersuchungen. Eine Studie von 2020 („Consumer Response to Negative Celebrity Publicity“) untersucht im Zusammenhang mit Promi-Werbung, wie Konsumenten moralische Strategien anwenden, um mit negativem Verhalten von Idolen umzugehen. In der Online-Studie wurden 144 Teilnehmenden Vergehen von Prominenten mit hoher oder niedriger Schwere gezeigt und das von ihnen beworbene Produkt. Das Ergebnis: Je nach Identifizierung mit dem Star haben die Teilnehmenden das Verhalten gerechtfertigt oder die Leistung vom Verhalten getrennt, um ihren Konsum zu legitimieren.

Auch im Sport lassen sich diese Beobachtungen machen, wie eine US-Studie aus dem Jahr 2016 zum Umgang mit unmoralischem Verhalten von Sportstars („Coping With Athlete Endorsers’ Immoral Behavior“) zeigt. Die Studie untersucht, wie Fans mit dem Fehlverhalten von Spitzensportlern umgehen, zu denen sie eine starke emotionale Bindung aufgebaut haben. Die Forscher nutzten dafür einen damals aktuellen Skandal um den damaligen NFL-Spieler Ray Rice. Ein Überwachungsvideo zeigte, wie er seine Verlobte 2014 bewusstlos schlug. Rice wurde in der Folge von seiner Mannschaft entlassen und von der NFL zeitweise gesperrt. Die Studie ergab: Emotionale Bindung von Fans verändert ihre moralische Bewertung von Fehlverhalten.

Bekannte deutsche Fälle

Einer der bekanntesten Fälle aus dem deutschen Sport ist jener des früheren Nationalspielers Jérôme Boateng. 2018 zeigte seine Ex-Partnerin den Fußballer wegen vorsätzlicher Körperverletzung an. Der Fall erstreckte sich über Jahre und endete 2024 in München mit einem Urteil: Das Gericht verhängte eine Geldstrafe von 200.000 Euro gegen Boateng, die er allerdings nur zahlen muss, wenn er innerhalb eines Jahres erneut straffällig wird – er ist damit nicht vorbestraft. Der Sportler dementierte die Vorwürfe und gab an, seine ehemalige Partnerin nicht geschlagen zu haben.

2019 gab es ein weiteres Verfahren wegen vorsätzlicher Körperverletzung an seiner Ex-Freundin Kasia Lenhardt. 2025 wurde das Verfahren wegen des Grundsatzes „im Zweifel für den Angeklagten“ eingestellt. Boatengs Anwälte haben auf Spiegel-Anfrage gesagt, er habe sie „zu keinem Zeitpunkt körperlich angegriffen“. Lenhardt konnte vor Gericht nicht mehr aussagen, da sie sich 2021 das Leben genommen hat.

Jérôme Boateng war in dieser Zeit weiterhin als Fußballer aktiv, und auf Social Media wurde er von seinen Fans verteidigt. Er spielte zwar nicht mehr für den FC Bayern München, aber er bekam Verträge bei ausländischen Fußballvereinen.

Chris Brown oder Rammstein: Immer wieder wirft man Stars sexualisierte Gewalt vor.

Rammstein füllt viele Konzerthallen. Foto: Pixabay, Tashhhha

Boateng sieht sich offenbar selbst als Opfer, nämlich der Medien. Das lässt zumindest eine Aktion an Ostern vermuten: Auf einem Foto posiert er fröhlich neben Till Lindemann, dem Sänger der Band Rammstein. Auf dem Tisch vor ihnen liegt eine Zeitung mit der Überschrift: „Von Lindemann bis Boateng ‚Schuldig!‘“. Eine Anspielung auf die mediale Berichterstattung über Boateng, aber auch über Lindemann, dem mehrere Frauen vorgeworfen haben, sie zu sexuellen Handlungen gedrängt zu haben. Ermittlungen gegen den Sänger wurden 2023 wegen Mangels an Beweisen eingestellt. Till Lindemann als auch andere Bandmitglieder weisen alle Vorwürfe zurück. Die Band erfuhr in der Zeit viel Unterstützung von ihren Fans. Diese attackierten mutmaßlich betroffene Frauen und schrieben auf Social Media Kommentare wie: „Was erwarten die Frauen auch, wenn sie auf eine Party von Rammstein gehen? Die wollten das doch.“

Die Konzerte von Rammstein sind bis heute gut besucht. Gegenwind erfuhr Lindemann hauptsächlich von außerhalb. Da das Oster-Foto als Story auf Instagram gepostet wurde, war es nur 24 Stunden öffentlich sichtbar – etwa genauso lange hielt auch die Empörung darüber an. Diese kam vor allem von Menschen außerhalb der jeweiligen Fan-Blase sowie von einigen Medienvertretern.

Die Mission von Gisèle Pelicot

„Die Scham muss die Seite wechseln“ sagt Vergewaltigungsopfer Gisèle Pelicot. Aber geht das überhaupt?

Ein schlimmes Signal an Opfer

Der Psychologe Florian Wedell weiß: für direkt Betroffene oder Menschen, die Ähnliches erlebt haben, könnten diese öffentlichen Reaktionen schwerwiegende Folgen haben. „Das Gefühl entsteht, dass ihr Erleben in der Gesellschaft nicht gewollt ist“, sagt Wedell. Ihr Leid werde bagatellisiert, und die häufige Täter-Opfer-Umkehr führe zu einem Strudel aus Scham und Selbstvorwürfen. „Dadurch wird die psychische Belastung verstärkt, und es kann zu einer Traumafolgestörung kommen“, sagt er.

Laut Wedell könnten öffentliche Debatten um Personen wie Chris Brown bei Menschen, die ebenfalls Opfer von Gewalt wurden, eine Retraumatisierung auslösen: „Solche Diskussionen könnten dazu führen, dass sich Betroffene gar nicht erst trauen, in die Öffentlichkeit zu gehen.“ Aber was kann man dagegen tun?

Digitale Zivilcourage

Opferschutz sei nur begrenzt möglich, sagt Florian Wedell. Es bestehe die Möglichkeit, sich für eine betroffene Person online einzusetzen. „Zivilcourage funktioniert auch im virtuellen Raum“, sagt der Psychologe. In den Kommentarspalten könnten Mitlesende beispielsweise Betroffene verteidigen und gegenhalten. Häufig komme Zivilcourage im digitalen Raum aber nicht vor: „Dort neigen die Menschen eher dazu, einfache Zuschauer zu sein.“ Zudem bestehe die Gefahr, durch die Gegenrede selbst Opfer von Hass und Hetze zu werden.

Im persönlichen Raum solle man Betroffenen Hilfe anbieten. „Es ist wichtig zu zeigen: Ich höre dich, ich glaube dir und ich kann dich unterstützen“, sagt Wedell. Wichtig seien konkrete Unterstützungsangebote, etwa bei der Suche nach einem Therapieplatz oder die Begleitung zur Polizei.

„In dem Moment, in dem ich Strukturen erhalte, bei denen eine Personengruppe Macht über eine andere hat, ist das fatal.“

Psychologe Florian Wedell

Das Verhalten von kämpferischen Fans bei problematischen Prominenten habe nicht nur direkte Auswirkungen auf Opfer, sondern beeinflusse die gesamte Gesellschaft, wie Wedell erklärt. Die Unterstützung von mutmaßlich gewalttätigen Stars führe zu einem Erhalt von problematischen Machtstrukturen: „In dem Moment, in dem ich Strukturen erhalte, bei denen eine Personengruppe Macht über eine andere hat, ist das fatal.“

Wedell ist der Ansicht, Menschen sollten ihren Selbstwert nicht abhängig von Idolen machen, und Stars sollten generell mehr hinterfragt werden, anstatt ihnen so viel Macht zu geben. Ein Beispiel, wie Prominente gefühlt über allem stehen, zeigen Argumente wie: „Die Musik ist halt gut. Wenn man auf Korrektheit achten müsste, würde man niemanden mehr konsumieren.“ Das schrieben Fans von Chris Brown in Kommentarspalten.

Für den Psychologen zeigen Fälle wie die um Jérôme Boateng und Chris Brown den Erhalt eines Rollenbildes: Die meisten Täter seien männlich und die Opfer oft weiblich. „Auch heute noch finden wir vielfach Strukturen, die einen Mann mehr begünstigen als eine Frau“, sagt Wedell. Und dieses Problem könne nur gesamtgesellschaftlich gelöst werden.

Transparenzhinweis:
Das WEISSE RING Magazin wurde durch ein Vereinsmitglied auf das Phänomen aufmerksam. In einer E-Mail berichtete das Mitglied über aktuelle problematische Social-Media-Beiträge über Chris Brown und schickte dazu eine Liste an Screenshots von Kommentaren und Beiträgen.

Der Kinderpsychiater – Die Macht des Dr. Winterhoff

Erstellt am: Montag, 16. Juni 2025 von Sabine
Der Kinderpsychiater - die Macht des Dr. Winterhoff

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Der Kinderpsychiater – Die Macht des Dr. Winterhoff

Der Kinderpsychiater – Die Macht des Dr. Winterhoff / ARD Mediathek

Februar 2025. Der bekannte Kinderpsychiater Michael Winterhoff steht in 36 Fällen wegen gefährlicher Körperverletzung vor Gericht. Er soll über Jahre hinweg Mädchen und Jungen, teils ohne ausreichende Diagnostik oder Aufklärung, sedierende Medikamente wie Pipamperon verabreicht haben. Der Fall gilt als einer der größten Skandale der deutschen Kinderpsychiatrie. In der dreiteiligen ARD-Doku „Der Kinderpsychiater – Die Macht des Dr. Winterhoff“ berichten zahlreiche Betroffene von ihrer Zeit als Patientinnen und Patienten des Mediziners. Sie geben dabei einen Einblick in ihr Leben, das noch heute durch die Nebenwirkungen der Medikamente bestimmt wird.

Die Doku stellt dadurch nicht den mutmaßlichen Täter in den Mittelpunkt, sondern konzentriert sich allein auf die Opfer. Das Publikum sieht unter anderem, wie ein betroffener Familienvater um ein besseres Leben für seine Kinder kämpft und wie eine Schülerin, trotz ihrer Einschränkungen durch den damaligen Medikamentenmissbrauch, eine berufliche Zukunft plant.

ardmediathek.de/serie/der-kinderpsychiater-die-macht-des-dr-winterhoff/staffel-1

“Das Kind des Opfers und des Täters zu sein, ist eine schreckliche Last“

Erstellt am: Freitag, 13. Juni 2025 von Sabine
Gisele Pelicot Tochter Buch

Lesen

“Das Kind des Opfers und des Täters zu sein, ist eine schreckliche Last“

Caroline Darian
“Und ich werde dich nie wieder Papa nennen“
Kiwi Verlag, 222 Seiten, 22 Euro

„Das Kind des Opfers und des Täters zu sein, ist eine schreckliche Last“, schreibt Caroline Darian in ihrem Buch „Und ich werde dich nie wieder Papa nennen“. „Die Vergangenheit wurde ausradiert, aber welche Zukunft folgt darauf?“

Caroline Darian ist die Tochter von Gisèle Pelicot. Der Fall erschütterte die ganze Welt: Pelicot wurde  von ihrem Ehemann über Jahre hinweg unter Medikamente gesetzt und von ihm und Dutzenden anderer Männer vergewaltigt. Im Buch nimmt Caroline Darian die Leserschaft mit in die Zeit, als die Taten ihres Vaters auffliegen und die  ganze Familie zerreißen. Auf einen Schlag ist „dieses Leben, das wir vor wenigen Jahren noch ‚banal‘ genannt hätten“, vorbei. Sie berichtet von ihrem eigenen Zusammenbruch, ihrem Umgang mit dieser Situation und ihrem zu dieser Zeit auch angespannten Verhältnis zu ihrer Mutter. In einigen Passagen spricht sie ihren Vater  direkt an: „Ich habe dich geliebt, respektiert und unterstützt, wie eine dankbare Tochter es ihrem Vater gegenüber tut. Du hast deinen Teil der Vereinbarung nicht  eingehalten. […] Ich werde dir das wohl nie verzeihen können. Jetzt muss ich lernen, damit zu leben.“ Darian lässt den Leser ganz nah an sich ran, zwischendurch hat man sogar fast das Gefühl, Teil der Familie zu sein, die gerade durch die schlimmste Zeit ihres Lebens geht.

kiwi-verlag.de/buch/caroline-darian-und-ich-werde-dich-nie-wieder-papa-nennen