Fonds sexueller Missbrauch: Antragsstopp und Aus

Erstellt am: Mittwoch, 25. Juni 2025 von Gregor
Betroffene leiden oft ein Leben lang unter den Folgen. Foto: Mohssen Assanimoghaddam

Betroffene leiden oft ein Leben lang unter den Folgen. Foto: Mohssen Assanimoghaddam

Datum: 25.06.2025

Fonds sexueller Missbrauch: Antragsstopp und Aus

Der Fonds sexueller Missbrauch, eine wichtige Hilfe für Opfer, ist schon länger in Gefahr. Jetzt spitzt sich die Situation zu. Ab dem 19. März 2025 eingegangene Erstanträge können vermutlich nicht mehr berücksichtigt werden.

Eine unverzichtbare, niedrigschwellige Unterstützung ist der Fonds sexueller Missbrauch (FSM) für Betroffene. Er ist Teil des Ergänzenden Hilfesystem (EHS), kann Folgen des Missbrauchs lindern und einspringen, wenn notwendige Leistungen nicht durch Kranken- und Pflegekassen oder das soziale Entschädigungsrecht abgedeckt werden, etwa Physiotherapie oder Ergotherapie.

Nun gibt es einen Antragsstopp. Außerdem steht der Fonds in seiner jetzigen Form vor dem Aus – trotz einer zuversichtlich stimmenden Ankündigung im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Die Parteien hielten darin fest: „Den Fonds sexueller Missbrauch und das damit verbundene Ergänzende Hilfesystem führen wir unter Beteiligung des Betroffenenbeirats fort.“

Alarmierende Mitteilung der Geschäftsstelle

Am Mittwoch veröffentlichte die Geschäftsstelle des Fonds eine Mitteilung, die deutlich macht, wie sich die Situation zugespitzt hat: In den vergangenen Wochen seien mehr Anträge auf Unterstützung eingegangen als erwartet. „Zu unserem Bedauern werden die im Bundeshaushalt vorgesehenen Mittel zur Gewährung von Billigkeitsleistungen für Betroffene nicht ausreichen, um alle bisher eingegangenen Anträge zu bewilligen“, so die Geschäftsstelle. Derzeit sei davon auszugehen, dass ab dem 19. März 2025 eingegangene Erstanträge nicht mehr berücksichtigt werden. Darüber hinaus könnten nur vollständige Anträge bis 31. Dezember 2025 beschieden werden. Die Geschäftsstelle bittet Antragstellende, bereits eingereichte Anträge selbstständig zu vervollständigen.

Weiter heißt es in der Mitteilung, dem Bundesfamilienministerium sei bewusst, dass die Fristen und Kürzungen viele Betroffene von sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend enttäuschen und vor große Herausforderungen stellen. In der bisherigen Form könne das System – auch weil in den Haushaltsverhandlungen keine Mittel vorgesehen seien – aber nicht fortbestehen. Unbürokratische Hilfen seien aber nach wie vor wichtig. Deshalb setze sich das Ministerium in Gesprächen dafür ein, dass Opfer weiterhin Hilfen bekommen – in welcher Form werde geprüft und brauche noch Zeit.

Kritische Stimmen sprechen von Abwicklung

Aus Fachverbänden sind Stimmen zu hören, die von einer Abwicklung des Fonds sprechen. Kürzlich hatte das von Karin Prien (CDU) geführte Bundesfamilienministerium auf Anfrage des WEISSER RING Magazins noch mitgeteilt: Die Koalitionsfraktionen hätten in ihrem Vertrag die politische Grundlage für den Erhalt des EHS gelegt. Derzeit prüfe das Ministerium, auch vorbehaltlich der Ergebnisse der laufenden Haushaltsverhandlungen, die „Möglichkeiten der Umsetzung“.

Der Fonds ist schon länger in Gefahr: Unter Priens Vorgängerin Lisa Paus (Grüne) rechtfertigte das Ministerium das geplante Aus mit einer Prüfung des Bundesrechnungshofs, der im April 2024 moniert hatte, der Fonds verstoße gegen das Haushaltsrecht. Ein Ministeriumssprecher teilte damals mit, die Ampel-Koalition habe sich nicht auf eine Reform des EHS einigen können. Das müsse die neue Bundesregierung übernehmen.

Der „Rheinischen Post“ sagte Prien nun, sie wolle sich im Bundestag für zusätzliche Haushaltsmittel für Opfer von Kindesmissbrauch einsetzen. Auch werde sie gezielt das Gespräch mit der Unabhängigen Beauftragten Kerstin Claus und dem Betroffenenrat suchen, um eine „tragfähige Lösung“ zu finden. Das System könne nicht wie bisher weitergeführt werden, räumte die Ministerin ein. Die Neuaufstellung sei für Anfang 2026 geplant.

Claus hat die aktuelle Entwicklung mit deutlichen Worten kritisiert: „Einfach rückwirkend bereits vorliegende fristgerechte Anträge auszuschließen und die Annahme von weiteren Anträgen bis zum kommunizierten Antragsende am 31. August 2025 zu verweigern, kommt einem neuerlichen Verrat an Betroffenen gleich“, sagte Claus. Sie appellierte an die Bundesregierung, „sicherzustellen, dass eine kurzfristige Nachsteuerung noch in diesem Jahr erfolgt, um Versorgungslücken zu verhindern“.

Rund 27.500 Menschen wurden unterstützt

Im Jahr 2023 wurden Hilfen in Höhe von 27,6 Millionen Euro (plus 17 Prozent) gezahlt, aus Bundesmitteln flossen in dem Jahr 32 Millionen Euro in den Fonds. Laut dem zuständigen Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben bekamen seit 2013 rund 27.500 Menschen Unterstützung durch den Fonds.

Wenn Liebe blind macht

Erstellt am: Montag, 23. Juni 2025 von Selina

Wenn Liebe blind macht

Ein Fan zu sein kann Trost spenden – aber auch dazu führen, dass man bei Gewalt und anderen Taten seines Idols wegsieht oder es sogar verteidigt, wie im Fall des mehrfach verurteilten Künstlers Chris Brown. Ein Blick auf ein opferschädigendes Phänomen.

Chris Brown wurde in England erneut verhaftet. Wieder geht es um Körperverletzung. Chris Brown steht auf der Bühne, in der rechten Hand hält er ein Mikrofon.

Der Musiker Chris Brown wurde im Mai erneut verhaftet. Foto: Picture Alliance, Leco Viana

Mitte Mai 2025: Der Musiker Chris Brown wird in Manchester von britischen Polizisten festgenommen. Er kommt wegen Verdachts auf schwere Körperverletzung in Untersuchungshaft. Brown soll 2023 in einem Londoner Club auf einen Musikproduzenten eingeprügelt haben. Viele Fans sind außer sich – aber nicht wegen der Vorwürfe gegen Brown, sondern weil sie Tickets für seine aktuelle Tournee gekauft haben. Social-Media-Plattformen wie TikTok oder Instagram sind voll von Videos, in denen Anhängerinnen und Anhänger bitten, Chris Brown freizulassen. Auch unter einem Instagram-Post der „Tagesschau“ über die Verhaftung finden sich viele Kommentare, die die Vorwürfe ausblenden, etwa: „Die Tour wird sicherlich verschoben, und dann gehe ich eben nächstes Jahr.“

Fans kommentieren auf Browns Profil: „UK macht einen großen Fehler.“ Kritische Stimmen? Vor allem außerhalb seiner Fangemeinde, und sie werden sofort von einer Hasswelle seiner Gefolgschaft überrollt. Nach Zahlung einer Millionen-Kaution kommt der Musiker Ende Mai schließlich wieder frei. Ende Juni plädierte er vor Gericht auf nicht schuldig.

Chris Brown fällt seit Jahren immer wieder mit gewalttätigem Verhalten auf: 2009 verprügelte er seine Ex-Freundin Rihanna und bekannte sich vor Gericht schuldig, 2013 griff er einen Fan körperlich an und bekannte sich erneut für schuldig. 2017 bis 2022 durfte er sich laut Gerichtsurteil seiner Ex-Freundin Karrueche Tran nicht mehr nähern. Chris Brown sah sich in dem Fall als Opfer von Verleumdung. 2019 wurde er in Paris vorübergehend festgenommen, wegen Vergewaltigungsvorwürfen. Bis heute gab es aber keine Anklage und Brown dementierte die Vorwürfe und reichte eine Verleumdungsklage ein. Und 2022 kam es zu einer zivilrechtlichen Klage wegen sexueller Nötigung und Missbrauch, er soll eine Frau auf einer Yacht des Musikers Sean Combs (P. Diddy) vergewaltigt haben. Der Richter ließ die Anklage fallen, wegen fehlenden Beweisen.

Das waren nur einige von vielen Kontroversen. Seine Konzerte sind trotz allem weiterhin ausverkauft.

Gesteigerter Selbstwert durch Idol-Liebe

Chris Brown erfährt trotz den vielen Straftaten viel Unterstützung von seinen Fans. Auf dem Foto ist eine Menschenmenge auf einem Konzert, Konfetti fliegt durch die Luft.

Ausverkaufte Konzerte trotz Anzeige wegen Körperverletzung: Chris Brown war während seiner Tour auch in Deutschland. Foto: Pixabay, StockSnap

Die Gemeinschaft, die sich im Laufe von Browns Karriere um ihn entwickelt hat, ist groß. Im Internet schreiben viele, sie seien Teil von „Team Breezy“, benannt nach dem Spitznamen des Musikers. Sie nennen seine Musik „Therapie“ und zeigen auf Fotos stolz ihre Chris-Brown-Tattoos. An die Opfer wird dabei kaum gedacht. Manche kommentieren sinngemäß: „Er hat ja mich nicht geschlagen.“

Dieses Verhalten von Fans ist ein Phänomen, das immer wieder rund um Prominente auftaucht und sich „Promi-Anbetungssyndrom“ nennt. Florian Wedell ist Psychologe beim WEISSEN RING in Mainz und erklärt das teils extreme Verhalten von Fans so: „Es wird eine parasoziale Beziehung zu der prominenten Person aufgebaut, also eine Beziehung auf Distanz. Die Fans identifizieren sich durch einen Star oder eine Sportmannschaft und werten dadurch auch ihren Selbstwert auf.“

„Zum einen besteht ja eine emotionale Bindung zum Idol. Um diese zu schützen, wird die Verantwortung für die Tat dem Opfer zugeschrieben anstatt dem Täter.“

Psychologe Florian Wedell

Der Psychologe nennt drei mögliche Gründe für das fast schon kämpferische Verhalten von Fans auf Social Media: „Zum einen besteht ja eine emotionale Bindung zum Idol. Um diese zu schützen, wird die Verantwortung für die Tat dem Opfer zugeschrieben anstatt dem Täter.“ So bleibe der Star moralisch einwandfrei, und die emotionale Bindung könne erhalten bleiben.

Der zweite Aspekt sei, dass man sich durch die Identifikation und den gestiegenen Selbstwert bei einem Angriff auf sein Idol selbst angegriffen fühlt. „Und dann entsteht das Bedürfnis, sich selbst schützen zu müssen“, sagt Wedell.

Der dritte Aspekt sei die Attraktivität einer Person, das sogenannte „Pretty Privilege“. „Eine Person wie Chris Brown hat eine ansprechende Optik. Attraktiven Menschen werden weniger Straftaten oder moralisch verwerfliches Verhalten zugetraut. Und wenn die Person angegriffen wird, entsteht das Gefühl, dass die eigene Urteilsfähigkeit angezweifelt wird und etwas dagegen unternommen werden muss“, sagt Wedell.

Moralische Blindheit

Es entstehe eine moralische Blindheit. Das zeigen auch Untersuchungen. Eine Studie von 2020 („Consumer Response to Negative Celebrity Publicity“) untersucht im Zusammenhang mit Promi-Werbung, wie Konsumenten moralische Strategien anwenden, um mit negativem Verhalten von Idolen umzugehen. In der Online-Studie wurden 144 Teilnehmenden Vergehen von Prominenten mit hoher oder niedriger Schwere gezeigt und das von ihnen beworbene Produkt. Das Ergebnis: Je nach Identifizierung mit dem Star haben die Teilnehmenden das Verhalten gerechtfertigt oder die Leistung vom Verhalten getrennt, um ihren Konsum zu legitimieren.

Auch im Sport lassen sich diese Beobachtungen machen, wie eine US-Studie aus dem Jahr 2016 zum Umgang mit unmoralischem Verhalten von Sportstars („Coping With Athlete Endorsers’ Immoral Behavior“) zeigt. Die Studie untersucht, wie Fans mit dem Fehlverhalten von Spitzensportlern umgehen, zu denen sie eine starke emotionale Bindung aufgebaut haben. Die Forscher nutzten dafür einen damals aktuellen Skandal um den damaligen NFL-Spieler Ray Rice. Ein Überwachungsvideo zeigte, wie er seine Verlobte 2014 bewusstlos schlug. Rice wurde damals von seiner Mannschaft entlassen und von der NFL zeitweise gesperrt. Die Studie ergab: Emotionale Bindung von Fans verändert ihre moralische Bewertung von Fehlverhalten.

Bekannte deutsche Fälle

Einer der bekanntesten Fälle aus dem deutschen Sport ist jener des früheren Nationalspielers Jérôme Boateng. 2018 zeigte seine Ex-Partnerin den Fußballer wegen vorsätzlicher Körperverletzung an. Der Fall erstreckte sich über Jahre und endete 2024 in München mit einem Urteil: Das Gericht verhängte eine Geldstrafe von 200.000 Euro gegen Boateng, die er allerdings nur zahlen muss, wenn er innerhalb eines Jahres erneut straffällig wird – er ist damit nicht vorbestraft. Der Sportler dementierte die Vorwürfe und gab an, seine ehemalige Partnerin nicht geschlagen zu haben.

2019 gab es ein weiteres Verfahren wegen vorsätzlicher Körperverletzung an seiner Ex-Freundin Kasia Lenhardt. 2025 wurde das Verfahren wegen des Grundsatzes „im Zweifel für den Angeklagten“ eingestellt. Boatengs Anwälte haben auf Spiegel-Anfrage gesagt er habe sie „zu keinem Zeitpunkt körperlich angegriffen“. Lenhardt konnte vor Gericht nicht mehr aussagen, da sie sich 2021 das Leben genommen hat.

Jérôme Boateng war in dieser Zeit weiterhin als Fußballer aktiv und auf Social Media wurde er von seinen Fans verteidigt. Er spielte zwar nicht mehr für FC Bayern München, aber er bekam Verträge bei ausländischen Fußballvereinen.

Chris Brown oder Rammstein: Immer wieder wirft man Stars sexualisierte Gewalt vor.

Rammstein füllt viele Konzerthallen. Foto: Pixabay, Tashhhha

Boateng sieht sich offenbar selbst als Opfer, nämlich der Medien. Das lässt zumindest eine Aktion an Ostern vermuten: Auf einem Foto posiert er fröhlich neben Till Lindemann, dem Sänger der Band Rammstein. Auf dem Tisch vor ihnen liegt eine Zeitung mit der Überschrift: „Von Lindemann bis Boateng ‚Schuldig!‘“. Eine Anspielung auf die mediale Berichterstattung über Boateng, aber auch über Lindemann, dem mehrere Frauen vorgeworfen haben, sie zu sexuellen Handlungen gedrängt zu haben. Ermittlungen gegen den Sänger wurden 2023 wegen Mangels an Beweisen eingestellt. Till Lindemann als auch andere Bandmitglieder weisen alle Vorwürfe zurück. Die Band erfuhr in der Zeit viel Unterstützung von ihren Fans. Diese attackierten mutmaßliche betroffene Frauen und schrieben auf Social Media Kommentare wie: „Was erwarten die Frauen auch, wenn sie auf eine Party von Rammstein gehen? Die wollten das doch.“

Die Konzerte von Rammstein sind bis heute gut besucht. Gegenwind erfuhr Lindemann hauptsächlich von außerhalb. Da das Oster-Foto als Story auf Instagram gepostet wurde, war es nur 24 Stunden öffentlich sichtbar – etwa genauso lange hielt auch die Empörung darüber an. Diese kam vor allem von Menschen außerhalb der jeweiligen Fan-Blase sowie von einigen Medienvertretern.

Die Mission von Gisèle Pelicot

„Die Scham muss die Seite wechseln“ sagt Vergewaltigungsopfer Gisèle Pelicot. Aber geht das überhaupt?

Ein schlimmes Signal an Opfer

Der Psychologe Florian Wedell weiß, für direkt Betroffene oder Menschen, die Ähnliches erlebt haben, können diese öffentlichen Reaktionen schwerwiegende Folgen haben. „Das Gefühl entsteht, dass ihr Erleben in der Gesellschaft nicht gewollt ist“, sagt Wedell. Ihr Leid werde bagatellisiert, und die häufige Täter-Opfer-Umkehr führe zu einem Strudel aus Scham und Selbstvorwürfen. „Dadurch wird die psychische Belastung verstärkt, und es kann zu einer Traumafolgestörung kommen“, sagt er.

Laut Wedell könnten öffentliche Debatten um Personen wie Chris Brown bei Menschen, die ebenfalls Opfer von Gewalt wurden, eine Retraumatisierung auslösen: „Solche Diskussionen könnten dazu führen, dass sich Betroffene gar nicht erst trauen, in die Öffentlichkeit zu gehen.“ Aber was kann man dagegen tun?

Digitale Zivilcourage

Opferschutz sei nur begrenzt möglich, sagt Florian Wedell. Es bestehe die Möglichkeit, sich für eine betroffene Person online einzusetzen. „Zivilcourage funktioniert auch im virtuellen Raum“, sagt der Psychologe. In den Kommentarspalten könnten Mitlesende beispielsweise Betroffene verteidigen und gegenhalten. Häufig komme Zivilcourage im digitalen Raum aber nicht vor: „Dort neigen die Menschen eher dazu, einfache Zuschauer zu sein.“ Zudem bestehe die Gefahr, durch die Gegenrede selbst Opfer von Hass und Hetze zu werden.

Im persönlichen Raum solle man Betroffenen Hilfe anbieten. „Es ist wichtig zu zeigen: Ich höre dich, ich glaube dir und ich kann dich unterstützen“, sagt Wedell. Wichtig seien konkrete Unterstützungsangebote, etwa bei der Suche nach einem Therapieplatz oder die Begleitung zur Polizei.

„In dem Moment, in dem ich Strukturen erhalte, bei denen eine Personengruppe Macht über eine andere hat, ist das fatal.“

Psychologe Florian Wedell

Das Verhalten von kämpferischen Fans bei problematischen Prominenten habe nicht nur direkte Auswirkungen auf Opfer, sondern beeinflusse die gesamte Gesellschaft, wie Wedell erklärt. Die Unterstützung von mutmaßlich gewalttätigen Stars führe zu einem Erhalt von problematischen Machtstrukturen: „In dem Moment, in dem ich Strukturen erhalte, bei denen eine Personengruppe Macht über eine andere hat, ist das fatal.“

Wedell ist der Ansicht, Menschen sollten ihren Selbstwert nicht abhängig von Idolen machen, und Stars sollten generell mehr hinterfragt werden, anstatt ihnen so viel Macht zu geben. Ein Beispiel, wie Prominente gefühlt über allem stehen, zeigen Argumente wie: „Die Musik ist halt gut. Wenn man auf Korrektheit achten müsste, würde man niemanden mehr konsumieren.“ Das schrieben Fans von Chris Brown in Kommentarspalten.

Für den Psychologen zeigen Fälle wie die um Jérôme Boateng und Chris Brown den Erhalt eines Rollenbildes: Die meisten Täter seien männlich und die Opfer oft weiblich. „Auch heute noch finden wir vielfach Strukturen, die einen Mann mehr begünstigen als eine Frau“, sagt Wedell. Und dieses Problem könne nur gesamtgesellschaftlich gelöst werden.

Transparenzhinweis:
Das WEISSE RING Magazin wurde durch ein Vereinsmitglied auf das Phänomen aufmerksam. In einer E-Mail berichtete das Mitglied über aktuelle problematische Social-Media-Beiträge über Chris Brown und schickte dazu eine Liste an Screenshots von Kommentaren und Beiträgen.

Der Kinderpsychiater – Die Macht des Dr. Winterhoff

Erstellt am: Montag, 16. Juni 2025 von Sabine
Der Kinderpsychiater - die Macht des Dr. Winterhoff

Gucken

Der Kinderpsychiater – Die Macht des Dr. Winterhoff

Der Kinderpsychiater – Die Macht des Dr. Winterhoff / ARD Mediathek

Februar 2025. Der bekannte Kinderpsychiater Michael Winterhoff steht in 36 Fällen wegen gefährlicher Körperverletzung vor Gericht. Er soll über Jahre hinweg Mädchen und Jungen, teils ohne ausreichende Diagnostik oder Aufklärung, sedierende Medikamente wie Pipamperon verabreicht haben. Der Fall gilt als einer der größten Skandale der deutschen Kinderpsychiatrie. In der dreiteiligen ARD-Doku „Der Kinderpsychiater – Die Macht des Dr. Winterhoff“ berichten zahlreiche Betroffene von ihrer Zeit als Patientinnen und Patienten des Mediziners. Sie geben dabei einen Einblick in ihr Leben, das noch heute durch die Nebenwirkungen der Medikamente bestimmt wird.

Die Doku stellt dadurch nicht den mutmaßlichen Täter in den Mittelpunkt, sondern konzentriert sich allein auf die Opfer. Das Publikum sieht unter anderem, wie ein betroffener Familienvater um ein besseres Leben für seine Kinder kämpft und wie eine Schülerin, trotz ihrer Einschränkungen durch den damaligen Medikamentenmissbrauch, eine berufliche Zukunft plant.

ardmediathek.de/serie/der-kinderpsychiater-die-macht-des-dr-winterhoff/staffel-1

“Das Kind des Opfers und des Täters zu sein, ist eine schreckliche Last“

Erstellt am: Freitag, 13. Juni 2025 von Sabine
Gisele Pelicot Tochter Buch

Lesen

“Das Kind des Opfers und des Täters zu sein, ist eine schreckliche Last“

Caroline Darian
“Und ich werde dich nie wieder Papa nennen“
Kiwi Verlag, 222 Seiten, 22 Euro

„Das Kind des Opfers und des Täters zu sein, ist eine schreckliche Last“, schreibt Caroline Darian in ihrem Buch „Und ich werde dich nie wieder Papa nennen“. „Die Vergangenheit wurde ausradiert, aber welche Zukunft folgt darauf?“

Caroline Darian ist die Tochter von Gisèle Pelicot. Der Fall erschütterte die ganze Welt: Pelicot wurde  von ihrem Ehemann über Jahre hinweg unter Medikamente gesetzt und von ihm und Dutzenden anderer Männer vergewaltigt. Im Buch nimmt Caroline Darian die Leserschaft mit in die Zeit, als die Taten ihres Vaters auffliegen und die  ganze Familie zerreißen. Auf einen Schlag ist „dieses Leben, das wir vor wenigen Jahren noch ‚banal‘ genannt hätten“, vorbei. Sie berichtet von ihrem eigenen Zusammenbruch, ihrem Umgang mit dieser Situation und ihrem zu dieser Zeit auch angespannten Verhältnis zu ihrer Mutter. In einigen Passagen spricht sie ihren Vater  direkt an: „Ich habe dich geliebt, respektiert und unterstützt, wie eine dankbare Tochter es ihrem Vater gegenüber tut. Du hast deinen Teil der Vereinbarung nicht  eingehalten. […] Ich werde dir das wohl nie verzeihen können. Jetzt muss ich lernen, damit zu leben.“ Darian lässt den Leser ganz nah an sich ran, zwischendurch hat man sogar fast das Gefühl, Teil der Familie zu sein, die gerade durch die schlimmste Zeit ihres Lebens geht.

kiwi-verlag.de/buch/caroline-darian-und-ich-werde-dich-nie-wieder-papa-nennen

Repräsentative Studie: 12,7 Prozent der Befragten von sexualisierter Gewalt betroffen

Erstellt am: Montag, 2. Juni 2025 von Gregor
Viele Opfer vertrauen sich niemandem an, aus Scham und Angst. Foto: dpa

Viele Opfer vertrauen sich niemandem an, aus Scham und Angst. Foto: dpa

Datum: 02.06.2025

Repräsentative Studie: 12,7 Prozent der Befragten von sexualisierter Gewalt betroffen

Eine neue Studie hat die Häufigkeit, den Kontext und die Folgen sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche untersucht. Die Ergebnisse sind alarmierend.

Etwa jeder Achte in Deutschland zwischen 18 und 59 Jahren ist als Kind oder Jugendlicher mindestens einmal Opfer sexualisierter Gewalt geworden – hochgerechnet sind das 5,7 Millionen Menschen. Mit 20,6 Prozent ist bei Frauen ein deutlich höherer Anteil betroffen als bei Männern mit 4,8 Prozent. Die Täter sind überwiegend männlich und lediglich in 4,5 Prozent der Fälle weiblich.

Repräsentative Studie mit 3000 Teilnehmenden

Das geht aus einer repräsentativen, am Montag veröffentlichten Studie des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI), der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Ulm und des Instituts für Kriminologie der Universität Heidelberg hervor. Die Forschenden haben in Kooperation mit dem Umfrageinstitut infratest dimap eine repräsentative Stichprobe von Menschen im Alter zwischen 18 und 59 Jahren angeschrieben. Rund 3000 Personen nahmen teil. Die Institute untersuchten sowohl die Häufigkeit sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche als auch den Kontext und die Folgen der Taten. Es handelt sich um die erste bundesweite und repräsentative Studie zu diesem Thema.

„Die Ergebnisse weisen auf ein erhebliches Dunkelfeld hin, das im Vergleich zu früheren Untersuchungen nicht abgenommen hat, obwohl das Bewusstsein um die Problematik gewachsen ist und Präventionsmaßnahmen in Deutschland ausgeweitet wurden“, erklärt Prof. Dr. Harald Dreßing, der die Studie koordiniert hat und die Forensischen Psychiatrie am ZI leitet. Dieses gehört zum Deutschen Zentrum für Psychische Gesundheit (DZPG).

Tatorte Familie und digitale Kanäle

Bei jüngeren Frauen, den 18-29-Jährigen, war die Betroffenenrate am höchsten: 27,4 Prozent. Unter allen Befragten gaben die meisten an, in der Familie oder durch Verwandte sexualisierte Gewalt erlebt zu haben. Wobei Männer laut der Studie viel öfter in Sport- und Freizeiteinrichtungen, im kirchlichen Zusammenhängen und in der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe betroffen waren. Dies zeige, wie wichtig „differenzierte Schutzkonzepte“ für Kinder und Jugendliche seien, mahnen die Forschungsinstitute.

Gut 37 Prozent der Opfer hatten demnach bislang nicht mit anderen Menschen über die sexuellen Angriffe gesprochen, aus Scham und aus Angst, dass ihnen niemand glaube.

31,7 Prozent der Fälle betrafen digitale Kanäle. Dabei erhielten die Betroffenen beispielsweise ungewollt pornographisches Material, wurden zu sexuellen Handlungen aufgefordert oder gezwungen, sexuelle Bilder zu teilen.

Betroffene haben psychische Schwierigkeiten

Ein weiterer wichtiger Befund: Den von sexualisierter Gewalt Betroffenen gehe es psychisch deutlich schlechter als Nichtbetroffenen. „Es ist wichtig, dass wir die Forschung zum Ausmaß und den Kontexten von sexualisierter Gewalt verstetigen und weiter voranbringen. Nur so können wir Präventionskonzepte und die gezielte medizinische Versorgung von Betroffenen wirklich verbessern“, fordert Prof. Dr. Andreas Meyer-Lindenberg. Er ist Direktor des ZI und Sprecher des DZPG-Standorts Mannheim-Heidelberg-Ulm.

Die Untersuchung wurde mit Eigenmitteln der Institute finanziert sowie mit Hilfe der WEISSER RING Stiftung, des Vereins Eckiger Tisch und des Kinderschutzbundes.

Vier Prozent mehr Opfer von häuslicher Gewalt

Erstellt am: Montag, 12. Mai 2025 von Gregor
Auf dem Foto präsentiert eine Person eine elektronische Fußfessel am Fußgelenk.

Die Fußfessel ist in Spanien längst gängige Praxis. Foto: Christian Ahlers

Datum: 12.05.2025

Vier Prozent mehr Opfer von häuslicher Gewalt

Rund 266.000 Menschen sind im vergangenen Jahr Opfer häuslicher Gewalt geworden, zwei Drittel davon waren Frauen. Insgesamt ein deutlicher Anstieg, doch zwischen den Bundesländern gibt es große Unterschiede.

Die Zahl der registrierten Opfer von häuslicher Gewalt hat 2024 offenbar deutlich zugenommen, um vier Prozent gegenüber dem Vorjahr. Laut einem Bericht der „Welt am Sonntag“ wurden im vergangenen Jahr bundesweit 266.000 Opfer erfasst, zwei Drittel davon sind Frauen. Das geht aus Statistiken hervor, die die Innenministerien und Polizeibehörden der Länder gemeldet haben. Sie fließen in ein „Lagebild Häusliche Gewalt“ des Bundeskriminalamtes ein, das das BKA mit Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) und Familienministerin Karin Prien (CDU) wohl im Sommer vorstellt. Die Zahlen umfassen Angriffe von Partnern, früheren Partnern und Familienangehörigen. Fachleute gehen von einer hohen Dunkelziffer aus. Ein Grund: Viele Betroffene zeigen die Gewalt nicht an, etwa aus Angst vor dem Täter.

Stärkster Anstieg in Niedersachsen

Die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern sind teils enorm: So stieg die Zahl der registrierten Opfer in Niedersachen (plus 12,3 Prozent auf 30.209), Schleswig-Holstein (plus 8,8 Prozent auf 9342) und Baden-Württemberg (plus 8,7 Prozent auf 27.841) besonders stark, während sie in Mecklenburg-Vorpommern (minus 1,6 Prozent auf 5249), im Saarland (minus 2,7 Prozent auf 3890) und Bremen/Bremerhaven (minus 3,7 Prozent auf 3514) sank.

In ihrem Koalitionsvertrag hat die neue, schwarz-rote Koalition verschiedene Maßnahmen angekündigt, um der Gewalt entgegenzuwirken. So will sie die elektronische Fußfessel nach spanischem Vorbild einführen. Dafür plant die Regierung deutschlandweit einheitliche Rechtsgrundlagen im Gewaltschutzgesetz.

Fußfessel als ein Gegenmittel

Der WEISSE RING hatte sich zuvor jahrelang für die Fußfessel engagiert, auch in Brandbriefen an die Politik und mit einer Online-Petition. Die Redaktion wies in einer umfangreichen Recherche unter anderem nach, wie erfolgreich das Modell in Spanien ist. Bei der modernen Variante der „Aufenthaltsüberwachung“ kann die Fußfessel des Täters mit einer GPS-Einheit kommunizieren, die das Opfer trägt. Der Alarm ertönt, wenn sich der Überwachte und die Betroffene einander nähern.

Union und SPD versprechen zudem, das Gewalthilfegesetz – das ab 2032 einen Rechtsanspruch auf kostenlosen Schutz und Beratung für Frauen und Kinder festschreibt – umzusetzen und die Gewaltschutzstrategie des Bundes zu einem „Nationalen Aktionsplan“ auszubauen. Auch sei eine intensivere Präventions-, Aufklärungs- und Täterarbeit geplant. Wie dies konkret geschehen soll, schreibt das Bündnis nicht.

Den Stalking-Paragraphen möchte die Koalition um das Verwenden von GPS-Trackern erweitern. Diese benutzen Männer mitunter, um Frauen zu belästigen und zu kontrollieren.

 

Ein Anruf bei … Klaus Püschel

Erstellt am: Donnerstag, 24. April 2025 von Selina

Ein Anruf bei … Klaus Püschel

Professor Dr. Klaus Püschel ist einer der bekanntesten deutschen Rechtsmediziner und weltweit als Gutachter im Einsatz. Der Hamburger Forensiker hat die Titelgeschichte „Die Scham muss die Seite wechseln!“ zum Fall Pelicot im aktuellen WEISSER RING Magazin gelesen und fordert: Wir müssen beim Thema Sexualstraftaten mehr über die Möglichkeiten der medizinischen Beweissicherung reden. Betroffene, Ärzte und Öffentlichkeit bräuchten Informationen.

Der Rechtsmediziner Klaus Püschel sitzt vor einem Mikroskop und hält im ausgestreckten Arm eine Probe in der Hand.

Spurensuche: Rechtsmediziner Klaus Püschel bei der Untersuchung einer Gewebeprobe im Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Foto: Christian Charisius/dpa

Herr Professor Dr. Püschel, Sie haben auf unsere Titelgeschichte zum Vergewaltigungsfall Gisèle Pelicot reagiert und sinngemäß gesagt: Es sei ja wichtig, über das Thema Scham zu sprechen – wichtiger aber sei es, über die Möglichkeiten der Medizin zu sprechen, damit nach einer Sexualstraftat frühestmöglich Beweise gesammelt werden können. Fasse ich Ihre Kritik korrekt zusammen?

Ich will keine Wertung vornehmen, was wichtiger ist oder unwichtiger ist. Ich sage bloß: Wichtig ist auch die Medizin. Es gibt die Möglichkeit der Beweismittelsicherung. In Ihrer Titelgeschichte wird wiederholt darauf hingewiesen, dass die Beweislage im Fall Pelicot klar gewesen sei. Das war sie aber nur, weil der Ehemann die Taten mit Filmaufnahmen dokumentiert hat. In dem Text wird an keiner Stelle erwähnt, dass man eine Beweissicherung auch durch medizinische Diagnostik hätte bekommen können.

Hätte man das tatsächlich in diesem Fall, in dem es um eine Frau geht, die betäubt wurde und nach eigenen Angaben nichts von den Gewalttaten mitbekommen hat?

Ich kenne nicht die Details aus der Akte. Aber ich habe das Buch gelesen von Caroline Darian, der Tochter von Gisèle Pelicot. Darian schreibt ausdrücklich, dass ihre Mutter bei verschiedenen Ärzten gewesen sei. Die Rede ist von Neurologen, Gynäkologen und Allgemeinmedizinern und davon, dass sie dort ihre Beschwerden geschildert habe. Da wäre eine Beweismittelsicherung möglich gewesen, wenn die Ärzte daran gedacht hätten, dass die Beschwerden auch mit sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung zusammenhängen könnten. Es gab viele Täter, die haben Spuren als mögliche Beweismittel hinterlassen.

Die Mission von Gisèle Pelicot

„Die Scham muss die Seite wechseln“ sagt Vergewaltigungsopfer Gisèle Pelicot. Aber geht das überhaupt?

Sie nehmen die Ärzte in die Pflicht. Wenn wir aufs deutsche Gesundheitssystem schauen: Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Arzt in einem Fall wie dem der betäubten Gisèle Pelicot Verdacht schöpft und durch weitergehende Untersuchungen ein Verbrechen aufdeckt?

Die Wahrscheinlichkeit ist sehr gering. Das liegt daran, dass wir es versäumen, in der Ärzte-Fortbildung darauf hinzuweisen. Und dass es dafür im kassenärztlichen System keine Finanzierung gibt. Als Rechtsmediziner weisen wir seit Jahrzehnten auf dieses Problem hin. Wir haben mit den kassenärztlichen Vereinigungen darüber gesprochen, und die haben sich nicht für zuständig erklärt. Ich wundere mich sehr darüber, weil die AOK selbst Merkblätter herausgibt zum Problem von K.-o.-Tropfen oder Vergewaltigungsdrogen. Aber sie schreibt nur, dass die Untersuchungen stattfinden sollen, und nichts zur Finanzierung. Wir haben hier in Hamburg deshalb einen anderen Weg eingeschlagen.

Welcher Weg ist das?

Wir haben über die zuständigen Behörden erreicht, dass eine auskömmliche Pauschale gezahlt wird für die Untersuchung und Beratung von Opfern von Gewalt. Das gilt bei möglicher Kindesmisshandlung, bei Vernachlässigung alter Menschen und eben bei Gewalt gegen Frauen. Es greift aber nur, wenn die Frauen in die Rechtsmedizin kommen.

Das Opfer muss selbst aktiv werden – damit sind wir wieder beim Thema Scham.

Ja, die Frauen müssen in das System kommen, aber das System ist in Deutschland immer besser geworden. Die Betroffenen können sich mit Ärzten besprechen. Ärzte haben einen Vertrauensvorschuss, es gilt die ärztliche Schweigepflicht. Es gibt überall in Deutschland das System der anonymen Spurensicherung, auch in Kliniken, also nicht nur in der Rechtsmedizin. Da können die Frauen beraten werden. Und da können dann auch chemisch-toxikologische Untersuchungen durchgeführt werden, um die Frage der chemischen Unterwerfung – den Ausdruck finde ich ganz passend – durch Vergewaltigungsdrogen oder K.-o.-Tropfen abzuklären.

Professor Dr. Klaus Püschel, Jahrgang 1952, leitete bis 2020 das Institut für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Er klärt die Ursachen von Todesfällen auf und dokumentiert für Gerichtsprozesse Verletzungen von Gewaltopfern. Püschel ist Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.

Welche medizinischen Möglichkeiten der Beweiserhebung gibt es?

Wenn wir den Fall Pelicot nehmen, dann könnten wir nachweisen, dass die Frau unter einer Drogeneinwirkung gestanden hat, von der sie nichts weiß. Dafür muss man chemisch-toxikologische Laboruntersuchungen in Auftrag geben, die Ärzte müssen die Signale zuvor also auch wahrnehmen. Bei einer körperlichen Untersuchung muss eine Ganzkörperuntersuchung gemacht werden, die Frau muss dafür vollständig entkleidet sein. Da muss geguckt werden, ob sie Verletzungen hat. Das können unter Umständen auch kleine Verletzungsspuren sein: Abschürfungen oder Unterblutungen, die auf Gewalt von fremder Hand hinweisen, auf Festhalten oder Niederdrücken. Dann muss eine Spurensicherung betrieben werden. Da geht es vor allen Dingen darum, Abstriche anzufertigen. Das macht man mit kleinen Tupfern. Dann kann man sagen, da ist DNA nachweisbar von fremden Personen. Und diese Personen kann man dann auch identifizieren. Die Frau bleibt anonym und kann sich überlegen, ob und wann sie das Ganze öffentlich machen will.

Wie viel Zeit darf zwischen Tat und Untersuchung vergehen?

Die Untersuchung muss zeitnah stattfinden, wenn man die aktuelle chemische Beeinflussung nachweisen will. Wenn eine Frau in der Nacht oder am nächsten Morgen aufwacht und nicht weiß, was passiert ist, dann ist es falsch, nach Hause zu gehen, sich ins Bett zu legen oder zu duschen.

Wir haben es mit Betroffenen zu tun, die womöglich schockiert sind, ängstlich, aufgelöst, verzweifelt …

… ja, ich weiß, das ist sehr theoretisch, was ich sage. Aber es ist extrem wichtig, kurzfristig zu einer Stelle zu gehen, die sich gedanklich mit dem Thema schon mal befasst hat und dafür sorgt, dass Blut, Urin und Haare für chemisch-toxikologische Untersuchungen sowie Abstriche für spurenkundliche DNA-Untersuchungen gesichert werden. Auch sollten Kleidungsstücke wie zum Beispiel der Slip gesichert und untersucht werden. Alle Verletzungsbefunde sind schriftlich und fotografisch mit Maßstab zu dokumentieren. Das ist alles kein Hexenwerk. Deshalb muss da mehr Aufklärung geleistet werden.

Wen sehen Sie als Aufklärer in der Pflicht?

Zum Beispiel uns beim WEISSEN RING. In Ihrer Titelgeschichte kommen viele Experten aus verschiedenen Fachbereichen zu Wort, aber ich habe nirgendwo etwas zu den medizinischen Aspekten gelesen.

Transparenzhinweis:
Klaus Püschel ist seit mehr als 45 Jahren Mitglied im WEISSEN RING e.V.

„Pädokriminelle Foren im Darknet: Jetzt löschen wir richtig“

Erstellt am: Mittwoch, 16. April 2025 von Selina

GUCKEN

„Pädokriminelle Foren im Darknet: Jetzt löschen wir richtig“

STRG_F/Panorama auf YouTube

„Ich glaube, kein Mensch fände es gut, wenn von ihm irgendwelche Nacktfotos […] öffentlich am nächsten Marktplatz ausgehangen werden auf Plakaten. Die meisten Menschen würden sich zu Tode schämen. Ich lebe jetzt seit über 20 Jahren damit, dass von mir solche Fotos auf dem nächsten Marktplatz hängen und ich nie weiß, wer von meinen Nachbarn die alle gesehen hat.“ Der Betroffene, von dem diese Sätze stammen, heißt nur im Film Lukas Jansen. Für die Reportage „Pädokriminelle Foren im Darknet: Jetzt löschen wir richtig“ wurde sein Name geändert. Als Kind wurde er jahrelang schwer sexuell missbraucht, immer wieder wurden davon Fotos und Videos gemacht. Er ist sich sicher, dass diese auch im Netz gelandet und somit öffentlich zugänglich sind. Fälle wie die von „Lukas“ sind es, die dem Film seine emotionale Wucht und politische Relevanz geben.

Journalist Daniel Moßbrucker und Informatiker Tobias Hübers haben es sich zur Aufgabe gemacht, pädokriminelle Inhalte im Darknet löschen zu lassen. Der aktuelle Film ist die Fortsetzung der Reportage „Pädokriminelle Foren: Warum löscht niemand die Aufnahmen?“, in deren Verlauf die Macher das größte Pädokriminellen-Forum des Darknets lahmlegten. Das jetzige Ziel der Filmemacher: Löschen im großen Stil. Dafür haben sie Foren durchforstet und eine KI trainiert, um nicht alle Abbildungen von Missbrauch selbst ansehen zu müssen. „Ich hoffe, dass der Teil des Projektes schnell vorbeigeht“, sagt Moßbrucker im Film. „Diese Bilder vergessen, das geht nicht mehr. Sie aus dem Netz zu löschen schon. Umso bedrückender zu sehen, was alles verfügbar ist und wie lange schon.“

Nach einem halben Jahr hatten Hübers und Moßbrucker den verantwortlichen Internetunternehmern 310.199 Links gemeldet, die diese dann gelöscht haben. Insgesamt sind so 21,6 Terabyte an pädokriminellen Inhalten aus dem Netz gelöscht worden. Um die Dimension zu verdeutlichen, rechnen die Filmemacher die Größe um: Das ist „so viel, als würde man sich anderthalb Jahre lang Videos anschauen, rund um die Uhr, in hochauflösender Qualität“. Diese Aufnahmen sind nun alle weg, innerhalb von sechs Monaten, dank eines zweiköpfigen Teams.

Die Reaktionen der Foren-Nutzer bestärken den Erfolg des Projekts. User schreiben, nachdem immer mehr Inhalte gelöscht sind: „Diese Website ist Müll“; „Nichts funktioniert mehr“; „Es macht keinen Spaß mehr auf diese Seiten zu gehen. Alle Links sind zu 99,5 Prozent down“; „Die Frustration versaut mir echt die Stimmung, und ich wende mich anderen Hobbys oder Interessen zu“; „Vielleicht ist es an der Zeit, aufzugeben“; „Ich verabschiede mich aus der Pädo-Szene, weil es keinen Sinn mehr ergibt“.

Die Politik hatte schon nach dem ersten Film versprochen, pädokriminelle Inhalte konsequent zu löschen. Warum das nicht passiert ist? Auch darauf geht der Film ein. Die Filmemacher sprechen etwa mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU), der erstaunlich ehrliche Worte findet: „Es wird nicht gelöscht, zumindest nicht so, wie ich es mir wünsche.“. Auf die Frage, wann das Löschen beginnt, antwortet Reul: „So schnell wie möglich.“ Es wäre wünschenswert, wenn die Aussage diesmal stimmen würde, denn das Löschen von pädokriminellen Inhalten würde Betroffenen wie Lukas helfen.

STRG_F ist das Recherche-Format von funk, dem jungen Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, produziert von PANORAMA (NDR).

Ein Film von Daniel Moßbrucker, Robert Bongen, Lisa Hagen,
Tobias Hübers
Kamera: Henning Wirtz, Lisa Hagen, David Diwiak
Schnitt: Jan Littelmann

Was die Koalition bei Opferhilfe und Prävention plant

Erstellt am: Freitag, 11. April 2025 von Gregor
Im Kampf gegen Gewalt an Frauen setzt die Koalition unter anderem auf die Einführung der Fußfessel nach dem Vorbild Spaniens. Foto: dpa

Im Kampf gegen Gewalt an Frauen setzt die Koalition unter anderem auf die „spanische Fußfessel“. Foto: dpa

Datum: 11.04.2025

Was die Koalition bei Opferhilfe und Prävention plant

Mit „Verantwortung für Deutschland“ haben Union und SPD ihren jetzt vorgestellten Koalitionsvertrag überschrieben. Die Pläne in dem 144 Seiten umfassenden Papier stehen „unter Finanzierungsvorbehalt“. Doch der Vertrag gibt die Leitlinien für die voraussichtliche Regierung vor, auch bei Themen wie Gewaltschutz. Was kündigen die Parteien an – und wie steht der WEISSE RING zu den Plänen?

Gewalt gegen Frauen

Das Bündnis verspricht, das Gewalthilfegesetz – das ab 2032 einen Rechtsanspruch auf kostenlosen Schutz und Beratung für Frauen und Kinder vorsieht – umzusetzen und die Gewaltschutzstrategie des Bundes zu einem „Nationalen Aktionsplan“ zu erweitern. Die Präventions-, Aufklärungs- und Täterarbeit solle verstärkt werden.

Weiter heißt es im Koalitionsvertrag: „Wir verschärfen den Tatbestand der Nachstellung und den Strafrahmen für Zuwiderhandlungen nach dem Gewaltschutzgesetz und schaffen bundeseinheitliche Rechtsgrundlagen im Gewaltschutzgesetz für die gerichtliche Anordnung der elektronischen Fußfessel nach dem sogenannten Spanischen Modell und für verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings für Täter.“ Den Stalking-Paragraphen will die Koalition um das Verwenden von GPS-Trackern erweitern. Diese werden häufig missbraucht, um Frauen zu belästigen und zu kontrollieren.

Laut den jüngsten Zahlen für häusliche Gewalt waren im Jahr 2023 mehr als 70 Prozent der Betroffenen Frauen und Mädchen. Im Vergleich zum Vorjahr stieg der Wert um 5,6 Prozent auf 180.715 (2022: 171.076), teilte das Bundesfamilienministerium mit. Insgesamt wurden 360 Mädchen und Frauen getötet.

Um geflüchtete Frauen besser vor Gewalt zu bewahren, will die Regierung die Residenzpflicht und Wohnsitzauflage lockern. Diese hindern Betroffene oft daran, vom Täter wegzuziehen.

Den Strafrahmen für Gruppenvergewaltigungen möchte die Koalition erhöhen und prüfen, inwiefern sich „offensichtlich unerwünschte und erhebliche verbale und nicht-körperliche sexuelle Belästigungen“ härter bestrafen lassen.

 

Gewalt gegen Kinder und Jugendliche

Den Fonds Sexueller Missbrauch und das damit verbundene Ergänzende Hilfesystem (EHS), die Betroffenen eine wichtige, niedrigschwellige Unterstützung bieten, „führen wir unter Beteiligung des Betroffenenrats fort“, schreibt die Koalition. In welchem Umfang und unter welchen Bedingungen, ist allerdings noch ungewiss.

Die Umsetzung des UBSKM-Gesetzes (Unabhängige Beauftragte für Sexuellen Kindesmissbrauch) will Schwarz-Rot gemeinsam mit den Ländern, Trägern und Einrichtungen unterstützen, vor allem im Hinblick auf die Pflicht der Institutionen, Missbrauchsfälle aufzuarbeiten und Schutzkonzepte zu schaffen.

Die sogenannten Childhood-Häuser in den Ländern – regionale, interdisziplinäre Anlaufstellen für Kinder und Jugendliche, die Gewalt erfahren haben – möchte die Koalition mit Bundesmitteln fördern. Im Sorge- und Umgangsrecht soll häusliche Gewalt künftig stärker zu Lasten des Täters berücksichtigt werden; sie stelle eine Kindeswohlgefährdung dar.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die geplante Strategie „Kinder- und Jugendschutz in der digitalen Welt“. Ziel sei es, Eltern durch Wissensvermittlung zu stärken und Anbieter in die Pflicht zu nehmen. Schwarz-Rot will sich für eine verpflichtende Altersnachweise und sichere Voreinstellungen bei digitalen Geräten und Angeboten einsetzen.

  • Der WEISSE RING begrüßt die Pläne grundsätzlich, betont aber, auch hier sei die konkrete Ausgestaltung entscheidend.

 

Schutz und Unterstützung für Opfer

Die schon bestehende Kommission zur Reform des Sozialstaates, in der Bund, Länder und Kommunen zusammenarbeiten, wird voraussichtlich im vierten Quartal dieses Jahres ihre Ergebnisse präsentieren. Als Ziele geben Union und SPD etwa „Entbürokratisierung“, „massive Rechtsvereinfachung“ und „rascheren Vollzug“ aus. Sozialleistungen könnten zusammengelegt und pauschalisiert werden.

  • Der WEISSE RING gibt zu bedenken, dass dies auch zu Sparmaßnahmen und aufgrund der Pauschalisierung zu weniger „Einzelfallgerechtigkeit“ führen könnte.

Die Länge von Gerichtsverfahren soll möglichst verkürzt werden, „indem wir unter anderem den Zugang zu zweiten Tatsacheninstanzen begrenzen“, erklären Union und SPD. Bei Strafprozessen stellt die Koalition einen besseren Opferschutz in Aussicht; die audiovisuelle Vernehmung von minderjährigen Zeugen soll erleichtert werden.

  • Nach Auffassung des WEISSEN RINGS kann es je nach Fall sicherlich sinnvoll sein, den Instanzenzug zu begrenzen, es bedeutet aber immer auch eine Beschneidung des rechtlichen Gehörs. Eine Verbesserung des Opferschutzes wäre sehr gut, die genauen Pläne sind aber noch unklar.

Psychotherapeutische Angebote, die auch für Opfer von Straftaten wichtig sind, möchte die kommende Regierung ausbauen, gerade im ländlichen Raum. Dazu plant sie zum Beispiel eine Notversorgung durch Psychotherapeuten, wohnortnahe psychosomatische Institutsambulanzen und mehr digitale Behandlungsmöglichkeiten. Ein wesentliches Ziel sei, die Resilienz von Kindern und Jugendlichen zu stärken.

 

Innere Sicherheit

Die Koalition kündigt eine „Sicherheitsoffensive“ an, mithilfe von „zeitgemäßen digitalen Befugnissen“ und ausreichend Personal in den Behörden.

Zu den angekündigten Maßnahmen zählt eine dreimonatige Speicherpflicht für IP-Adressen und Portnummern, um Anschlussinhaber identifizieren zu können. Die Telefonüberwachung beim Wohnungseinbruchsdiebstahl soll leichter, die Funkzellenabfrage umfassender möglich sein.

Ein weiteres Vorhaben hängt mit Anschlägen wie in Mannheim und Aschaffenburg in diesem Jahr zusammen: „Zur Verhinderung weiterer Gewalttaten, wie in der jüngsten Vergangenheit, wollen wir die frühzeitige Erkennung entsprechender Risikopotenziale bei Personen mit psychischen Auffälligkeiten sicherstellen. Hierzu führen wir eine gemeinsame Risikobewertung und ein integriertes behördenübergreifendes Risikomanagement ein.“

Um im Vorfeld Terrorangriffen, die mit „Alltagsgegenständen“ begangen werden, besser entgegenzuwirken, will Schwarz-Rot die Anwendung von Paragraf 89a im Strafgesetzbuch (StGB) – Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat – ausweiten: auf den Fall, dass der Täter keinen Sprengstoff, sondern Gegenstände wie ein Messer oder ein Auto benutzen will.

Mit „allen Betroffenen und Experten“ beabsichtigt die Koalition, das Waffenrecht zu evaluieren und gegebenenfalls zu ändern, um zu verhindern, dass Menschen illegal Waffen besitzen oder Extremisten und Menschen „mit ernsthaften psychischen Erkrankungen“ sich legal welche beschaffen können. Bei möglichen Gesetzesänderungen gilt: Das Recht soll „anwenderfreundlicher“ werden, zudem müsse bei den Vorgaben die „Verhältnismäßigkeit“ gewahrt bleiben.

  • Um Amokläufe mit Waffen zu unterbinden, werden die Maßnahmen wohl nicht reichen, befürchtet der WEISSE RING.

Im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität strebt die Koalition eine vollständige Beweislastumkehr beim Einziehen von Vermögen an, dessen Herkunft nicht geklärt ist.

Ausländische Personen, die schwere Straftaten begehen und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden, sollen in der Regel ausgewiesen werden, etwa bei Delikten gegen Leib und Leben, die sexuelle Selbstbestimmung oder bei einem tätlichen Angriff gegen Vollstreckungsbeamte.

Zu den Ursachen der gestiegenen Kinder- und Jugendgewalt ist eine Studie, die auch mögliche Gesetzesänderungen untersucht, geplant.

 

Digitale Gewalt

Die Koalition verspricht ein „umfassendes Digitales Gewaltschutzgesetz“. Damit wolle sie die rechtliche Stellung von Betroffenen verbessern und Sperren für anonyme „Hass-Accounts“ ermöglichen. Sie will zudem prüfen, ob Opfer und Zeugen in Strafverfahren darauf verzichten können, ihre Anschrift anzugeben, wenn die Verteidigung Akteneinsicht beantragt.

Im Cyberstrafrecht gelte es, Lücken zu schließen, beispielsweise bei „bildbasierter sexualisierter Gewalt“. Das Gesetz soll auch Deepfake-Pornografie erfassen, bei der Bilder von Gesichtern prominenter und nicht-prominenter Menschen mit Hilfe von KI auf andere Körper montiert werden.

Online-Plattformen sollen „Schnittstellen zu Strafverfolgungsbehörden“ zur Verfügung stellen, damit Daten, die für Ermittlungsverfahren relevant sind, „automatisiert und schnell“ abrufbar sind. Die Sanktionsmöglichkeiten gegenüber den Plattformen, die strafbare Inhalte nicht entfernen, sollen verschärft werden.

 

Angriffe auf die Demokratie

Die Koalition kündigt an, allen verfassungsfeindlichen Bestrebungen entschlossen entgegenzutreten, egal ob Rechtsextremismus, Islamismus, auslandsbezogenem Extremismus oder Linksextremismus.

Hierzu planen die Parteien unter anderem, den Tatbestand der Volksverhetzung zu verschärfen. Wer zum Beispiel mehrfach deswegen verurteilt wird, könnte in Zukunft das passive Wahlrecht verlieren. Zudem will Schwarz-Rot eine Strafbarkeit für Amtsträger und Soldaten prüfen, die in geschlossenen Chatgruppen in dienstlichem Zusammenhang antisemitische und extremistische Hetze teilen. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Fälle, die straffrei blieben: Gerichte vertraten die Auffassung, es handele sich um private Gruppen, wo es nicht strafbar sei, solche Inhalte zu verbreiten.

In den vergangenen Jahren haben die Angriffe auf Mandatsträger, Rettungs- und Einsatzkräfte sowie Polizisten deutlich zugenommen. Bei den politischen Amts- und Mandatsträgern stiegen die von der Polizei erfassten Attacken 2024 um 20 Prozent auf 4923. Deshalb wollen Union und SPD den „strafrechtlichen Schutz“ solcher Gruppen prüfen und eventuell erweitern. Darüber hinaus soll das Melderecht überarbeitet werden, um die Privatsphäre der Betroffenen besser zu schützen.

Zum zunehmenden Rechtsextremismus – allein bis zum 30. November 2024 wurden 33.963 Delikte im Bereich „politisch motivierte Kriminalität – rechts“ und damit so viele wie noch nie registriert – schreibt die Koalition lediglich allgemein: „Der Polarisierung und Destabilisierung unserer demokratischen Gesellschaft und Werteordnung durch Rechtspopulisten und -extremisten setzen wir eine Politik der Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, der Vielfalt, Toleranz und Humanität entgegen.“ Abgesehen von einem NSU-Dokumentationszentrum in Nürnberg werden kaum konkrete Maßnahmen genannt.

Im Kampf gegen Islamismus ist ein „Bund-Länder-Aktionsplan“ vorgesehen, zudem soll die „Task Force Islamismusprävention“ ein festes Gremium im Bundesinnenministerium werden und helfen, den Aktionsplan umzusetzen.

Mit Vereinen und Verbänden, die direkt oder indirekt von ausländischen Regierungen gesteuert und vom Verfassungsschutz beobachtet würden, werde der Bund nicht zusammenarbeiten. Sie sollen verpflichtet werden, offenzulegen, wie sie sich finanzieren.

Als weiteres Ziel gibt die Koalition die Sicherheit jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger an, sowohl im digitalen als auch im öffentlichen Raum, etwa an Schulen und Hochschulen. Hierzu sollen unter anderem Lehrer darin geschult werden, Antisemitismus zu erkennen und dagegen vorzugehen.

Projekte zur demokratischen Teilhabe sollen weiterhin vom Bundesförderprogramm „Demokratie leben!“ profitieren.

 

Diskriminierung

Die Arbeit der Antidiskriminierungsstelle soll fortgeführt, der Nationale Aktionsplan gegen Rassismus so überarbeitet werden, dass dieser „in seinen verschiedenen Erscheinungsformen“ bekämpft werden könne. Einen besonderen Schutz verspricht die Koalition nationalen Minderheiten, etwa der dänischen Minderheit oder den deutschen Sinti und Roma. Außerdem sollen alle unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung „gleichberechtigt, diskriminierungs- und gewaltfrei“ leben können. Dazu, heißt es, „wollen wir mit entsprechenden Maßnahmen das Bewusstsein schaffen, sensibilisieren und den Zusammenhalt und das Miteinander stärken“. Wie genau all dies geschehen soll, steht nicht im Vertrag.

Zwischen 2021 und 2023 waren mehr als 20.000 Fälle von Diskriminierung bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gemeldet worden. Die Unabhängige Bundesbeauftragte, Ferda Ataman, kritisierte, das deutsche Antidiskriminierungsrecht sei unzureichend.

 

Menschenhandel

“Deutschland ist zu einer Drehscheibe beim Menschenhandel geworden“, die Opfer seien fast ausschließlich Frauen, schreibt die Koalition am Anfang ihres Kapitels zum Prostituiertenschutzgesetz. Eine Evaluation über die Wirkung des Gesetzes soll bis Juli dieses Jahres vorgestellt werden. Bei Bedarf will das schwarz-rote Bündnis auf eine Experten-Kommission zurückgreifen, um gesetzlich nachzubessern.

  • Dass sich die Koalition dem Thema widmen will, ist nach Ansicht des WEISSEN RINGS positiv, aber auch hier ist die konkrete Umsetzung noch unklar.

Zu anderen Formen von Menschenhandel, etwa zur Ausbeutung der Arbeitskraft, sagt die Koalition nichts. Aus dem letzten Lagebild des Bundeskriminalamtes zu Menschenhandel und Ausbeutung geht hervor, dass 2023 319 Verfahren wegen sexueller Ausbeutung, 37 wegen Arbeitsausbeutung und 204 wegen Ausbeutung Minderjähriger geführt wurden. Experten gehen in diesem Bereich von einer hohen Dunkelziffer aus. Ein Grund dafür ist, dass Betroffene unter anderem aus Angst vor ihren Ausbeutern nur selten Anzeige erstatten.

Gisèle Pelicot bei Social Media

Erstellt am: Donnerstag, 27. März 2025 von Selina

Gisèle Pelicot bei Social Media

Der Vergewaltigungsprozess im französischen Avignon hat die Menschen sehr bewegt. Auch in den Social-Media-Kanälen des WEISSEN RINGS fanden sich zahlreiche berührende Kommentare dazu. Wir veröffentlichen hier eine Auswahl.

Eine Skizze von einem Handy mit zwei Armen und Händen. Der eine Daumen zeigt nach unten und der andere Daumen zeigt nach oben.

Illustration: Studio Pong

Ein Instagram-Post von dem Instagram-Kanal des WEISSEN RINGS. Zu sehen ist Gisèle Pelicot und auf dem Post steht "Die Scham muss die Seite wechseln".
„Ich schicke dieser mutigen, starken Frau, alle Liebe, Kraft, Dankbarkeit und Anerkennung. Vom ganzen Herzen.“
„So stark von ihr… Kein Opfer muss sich schämen. Die Scham gehört an die Täter. Ihr zerstört Leben, ihr zerstört Träume, ihr zerstört Kindheiten…“
„Ich habe die größte Achtung vor dieser Frau, dass sie ihre furchtbare Situation für etwas Gutes nutzt und so viel Stärke zeigt!“
„Es sollten mehr Frauen sich wagen, sich dem anzuschließen.“
„Unfassbar und so widerlich 🤨 Ich bin wirklich schockiert von diesen Taten 😮‍💨 Keine noch so hohe Strafe kann DAS wieder gut machen. Ich wünsche ihr von Herzen, dass sie es, soweit möglich, irgendwann verarbeiten kann. 🙏❤“
„Also mir fehlen die Worte. 😢“
„💜 Was für eine mutige Frau! Ich bin in Gedanken bei Ihnen und sende Liebe und Heilung. 💜“
„Es sind nicht alle Männer die Taten begehen, aber unfassbar viele die schweigen und demnach mitmachen. Als Frau Angst zu haben, ist sehr wohl berechtigt.“
„Unfassbar. 😢“
„Tapfere und mutige Frau! 💪“
„Ich wünsche ihr Gerechtigkeit und inneren Frieden. ✊“
„😢😢😢“
Ein Instagram-Post von dem Instagram-Kanal des WEISSEN RINGS. Zu sehen ist Gisèle Pelicot und auf dem Post steht "Die Scham muss die Seite wechseln".
„Hab erst vor kurzem über sie erfahren und puh 😥 Ich komme immer noch nicht klar, was sie durchgemacht hat! Das geht in meinen Kopf nicht rein, es ist so surreal! Ich hoffe, sie wird es halbwegs verarbeiten und ein normales Leben führen. Das wünsche ich ihr so sehr 😥❤“
„Für mich persönlich, ‚Person of the year‘. Und noch viel mehr. ❤“
„Sie ist ein Vorbild für uns alle. Und doch unfreiwillig dazu gemacht worden.“
„Sie bewegt so viel! Wie stark, aus diesem Schicksal, so etwas Wertvolles zu schaffen. Danke Gisèle! Und danke Euch, für Eure Arbeit!“
„Wahnsinn!!! Zum einen, was diese Frau überstanden hat und schafft, und zum anderen die Worte ‚Die Scham muss die Seite wechseln.‘ Sehr treffend 🙏🙏🙏 !!!“
„Das ist für diese abscheulichen Taten das Mindeste. Sie ist ein Vorbild für alle Frauen und sie hat mir den Mut gegeben, Dinge, die passiert sind, zu benennen.“