Vier Prozent mehr Opfer von häuslicher Gewalt

Erstellt am: Montag, 12. Mai 2025 von Gregor
Auf dem Foto präsentiert eine Person eine elektronische Fußfessel am Fußgelenk.

Die Fußfessel ist in Spanien längst gängige Praxis. Foto: Christian Ahlers

Datum: 12.05.2025

Vier Prozent mehr Opfer von häuslicher Gewalt

Rund 266.000 Menschen sind im vergangenen Jahr Opfer häuslicher Gewalt geworden, zwei Drittel davon waren Frauen. Insgesamt ein deutlicher Anstieg, doch zwischen den Bundesländern gibt es große Unterschiede.

Die Zahl der registrierten Opfer von häuslicher Gewalt hat 2024 offenbar deutlich zugenommen, um vier Prozent gegenüber dem Vorjahr. Laut einem Bericht der „Welt am Sonntag“ wurden im vergangenen Jahr bundesweit 266.000 Opfer erfasst, zwei Drittel davon sind Frauen. Das geht aus Statistiken hervor, die die Innenministerien und Polizeibehörden der Länder gemeldet haben. Sie fließen in ein „Lagebild Häusliche Gewalt“ des Bundeskriminalamtes ein, das das BKA mit Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) und Familienministerin Karin Prien (CDU) wohl im Sommer vorstellt. Die Zahlen umfassen Angriffe von Partnern, früheren Partnern und Familienangehörigen. Fachleute gehen von einer hohen Dunkelziffer aus. Ein Grund: Viele Betroffene zeigen die Gewalt nicht an, etwa aus Angst vor dem Täter.

Stärkster Anstieg in Niedersachsen

Die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern sind teils enorm: So stieg die Zahl der registrierten Opfer in Niedersachen (plus 12,3 Prozent auf 30.209), Schleswig-Holstein (plus 8,8 Prozent auf 9342) und Baden-Württemberg (plus 8,7 Prozent auf 27.841) besonders stark, während sie in Mecklenburg-Vorpommern (minus 1,6 Prozent auf 5249), im Saarland (minus 2,7 Prozent auf 3890) und Bremen/Bremerhaven (minus 3,7 Prozent auf 3514) sank.

In ihrem Koalitionsvertrag hat die neue, schwarz-rote Koalition verschiedene Maßnahmen angekündigt, um der Gewalt entgegenzuwirken. So will sie die elektronische Fußfessel nach spanischem Vorbild einführen. Dafür plant die Regierung deutschlandweit einheitliche Rechtsgrundlagen im Gewaltschutzgesetz.

Fußfessel als ein Gegenmittel

Der WEISSE RING hatte sich zuvor jahrelang für die Fußfessel engagiert, auch in Brandbriefen an die Politik und mit einer Online-Petition. Die Redaktion wies in einer umfangreichen Recherche unter anderem nach, wie erfolgreich das Modell in Spanien ist. Bei der modernen Variante der „Aufenthaltsüberwachung“ kann die Fußfessel des Täters mit einer GPS-Einheit kommunizieren, die das Opfer trägt. Der Alarm ertönt, wenn sich der Überwachte und die Betroffene einander nähern.

Union und SPD versprechen zudem, das Gewalthilfegesetz – das ab 2032 einen Rechtsanspruch auf kostenlosen Schutz und Beratung für Frauen und Kinder festschreibt – umzusetzen und die Gewaltschutzstrategie des Bundes zu einem „Nationalen Aktionsplan“ auszubauen. Auch sei eine intensivere Präventions-, Aufklärungs- und Täterarbeit geplant. Wie dies konkret geschehen soll, schreibt das Bündnis nicht.

Den Stalking-Paragraphen möchte die Koalition um das Verwenden von GPS-Trackern erweitern. Diese benutzen Männer mitunter, um Frauen zu belästigen und zu kontrollieren.

 

Was die Koalition bei Opferhilfe und Prävention plant

Erstellt am: Freitag, 11. April 2025 von Gregor
Im Kampf gegen Gewalt an Frauen setzt die Koalition unter anderem auf die Einführung der Fußfessel nach dem Vorbild Spaniens. Foto: dpa

Im Kampf gegen Gewalt an Frauen setzt die Koalition unter anderem auf die „spanische Fußfessel“. Foto: dpa

Datum: 11.04.2025

Was die Koalition bei Opferhilfe und Prävention plant

Mit „Verantwortung für Deutschland“ haben Union und SPD ihren jetzt vorgestellten Koalitionsvertrag überschrieben. Die Pläne in dem 144 Seiten umfassenden Papier stehen „unter Finanzierungsvorbehalt“. Doch der Vertrag gibt die Leitlinien für die voraussichtliche Regierung vor, auch bei Themen wie Gewaltschutz. Was kündigen die Parteien an – und wie steht der WEISSE RING zu den Plänen?

Gewalt gegen Frauen

Das Bündnis verspricht, das Gewalthilfegesetz – das ab 2032 einen Rechtsanspruch auf kostenlosen Schutz und Beratung für Frauen und Kinder vorsieht – umzusetzen und die Gewaltschutzstrategie des Bundes zu einem „Nationalen Aktionsplan“ zu erweitern. Die Präventions-, Aufklärungs- und Täterarbeit solle verstärkt werden.

Weiter heißt es im Koalitionsvertrag: „Wir verschärfen den Tatbestand der Nachstellung und den Strafrahmen für Zuwiderhandlungen nach dem Gewaltschutzgesetz und schaffen bundeseinheitliche Rechtsgrundlagen im Gewaltschutzgesetz für die gerichtliche Anordnung der elektronischen Fußfessel nach dem sogenannten Spanischen Modell und für verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings für Täter.“ Den Stalking-Paragraphen will die Koalition um das Verwenden von GPS-Trackern erweitern. Diese werden häufig missbraucht, um Frauen zu belästigen und zu kontrollieren.

Laut den jüngsten Zahlen für häusliche Gewalt waren im Jahr 2023 mehr als 70 Prozent der Betroffenen Frauen und Mädchen. Im Vergleich zum Vorjahr stieg der Wert um 5,6 Prozent auf 180.715 (2022: 171.076), teilte das Bundesfamilienministerium mit. Insgesamt wurden 360 Mädchen und Frauen getötet.

Um geflüchtete Frauen besser vor Gewalt zu bewahren, will die Regierung die Residenzpflicht und Wohnsitzauflage lockern. Diese hindern Betroffene oft daran, vom Täter wegzuziehen.

Den Strafrahmen für Gruppenvergewaltigungen möchte die Koalition erhöhen und prüfen, inwiefern sich „offensichtlich unerwünschte und erhebliche verbale und nicht-körperliche sexuelle Belästigungen“ härter bestrafen lassen.

 

Gewalt gegen Kinder und Jugendliche

Den Fonds Sexueller Missbrauch und das damit verbundene Ergänzende Hilfesystem (EHS), die Betroffenen eine wichtige, niedrigschwellige Unterstützung bieten, „führen wir unter Beteiligung des Betroffenenrats fort“, schreibt die Koalition. In welchem Umfang und unter welchen Bedingungen, ist allerdings noch ungewiss.

Die Umsetzung des UBSKM-Gesetzes (Unabhängige Beauftragte für Sexuellen Kindesmissbrauch) will Schwarz-Rot gemeinsam mit den Ländern, Trägern und Einrichtungen unterstützen, vor allem im Hinblick auf die Pflicht der Institutionen, Missbrauchsfälle aufzuarbeiten und Schutzkonzepte zu schaffen.

Die sogenannten Childhood-Häuser in den Ländern – regionale, interdisziplinäre Anlaufstellen für Kinder und Jugendliche, die Gewalt erfahren haben – möchte die Koalition mit Bundesmitteln fördern. Im Sorge- und Umgangsrecht soll häusliche Gewalt künftig stärker zu Lasten des Täters berücksichtigt werden; sie stelle eine Kindeswohlgefährdung dar.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die geplante Strategie „Kinder- und Jugendschutz in der digitalen Welt“. Ziel sei es, Eltern durch Wissensvermittlung zu stärken und Anbieter in die Pflicht zu nehmen. Schwarz-Rot will sich für eine verpflichtende Altersnachweise und sichere Voreinstellungen bei digitalen Geräten und Angeboten einsetzen.

  • Der WEISSE RING begrüßt die Pläne grundsätzlich, betont aber, auch hier sei die konkrete Ausgestaltung entscheidend.

 

Schutz und Unterstützung für Opfer

Die schon bestehende Kommission zur Reform des Sozialstaates, in der Bund, Länder und Kommunen zusammenarbeiten, wird voraussichtlich im vierten Quartal dieses Jahres ihre Ergebnisse präsentieren. Als Ziele geben Union und SPD etwa „Entbürokratisierung“, „massive Rechtsvereinfachung“ und „rascheren Vollzug“ aus. Sozialleistungen könnten zusammengelegt und pauschalisiert werden.

  • Der WEISSE RING gibt zu bedenken, dass dies auch zu Sparmaßnahmen und aufgrund der Pauschalisierung zu weniger „Einzelfallgerechtigkeit“ führen könnte.

Die Länge von Gerichtsverfahren soll möglichst verkürzt werden, „indem wir unter anderem den Zugang zu zweiten Tatsacheninstanzen begrenzen“, erklären Union und SPD. Bei Strafprozessen stellt die Koalition einen besseren Opferschutz in Aussicht; die audiovisuelle Vernehmung von minderjährigen Zeugen soll erleichtert werden.

  • Nach Auffassung des WEISSEN RINGS kann es je nach Fall sicherlich sinnvoll sein, den Instanzenzug zu begrenzen, es bedeutet aber immer auch eine Beschneidung des rechtlichen Gehörs. Eine Verbesserung des Opferschutzes wäre sehr gut, die genauen Pläne sind aber noch unklar.

Psychotherapeutische Angebote, die auch für Opfer von Straftaten wichtig sind, möchte die kommende Regierung ausbauen, gerade im ländlichen Raum. Dazu plant sie zum Beispiel eine Notversorgung durch Psychotherapeuten, wohnortnahe psychosomatische Institutsambulanzen und mehr digitale Behandlungsmöglichkeiten. Ein wesentliches Ziel sei, die Resilienz von Kindern und Jugendlichen zu stärken.

 

Innere Sicherheit

Die Koalition kündigt eine „Sicherheitsoffensive“ an, mithilfe von „zeitgemäßen digitalen Befugnissen“ und ausreichend Personal in den Behörden.

Zu den angekündigten Maßnahmen zählt eine dreimonatige Speicherpflicht für IP-Adressen und Portnummern, um Anschlussinhaber identifizieren zu können. Die Telefonüberwachung beim Wohnungseinbruchsdiebstahl soll leichter, die Funkzellenabfrage umfassender möglich sein.

Ein weiteres Vorhaben hängt mit Anschlägen wie in Mannheim und Aschaffenburg in diesem Jahr zusammen: „Zur Verhinderung weiterer Gewalttaten, wie in der jüngsten Vergangenheit, wollen wir die frühzeitige Erkennung entsprechender Risikopotenziale bei Personen mit psychischen Auffälligkeiten sicherstellen. Hierzu führen wir eine gemeinsame Risikobewertung und ein integriertes behördenübergreifendes Risikomanagement ein.“

Um im Vorfeld Terrorangriffen, die mit „Alltagsgegenständen“ begangen werden, besser entgegenzuwirken, will Schwarz-Rot die Anwendung von Paragraf 89a im Strafgesetzbuch (StGB) – Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat – ausweiten: auf den Fall, dass der Täter keinen Sprengstoff, sondern Gegenstände wie ein Messer oder ein Auto benutzen will.

Mit „allen Betroffenen und Experten“ beabsichtigt die Koalition, das Waffenrecht zu evaluieren und gegebenenfalls zu ändern, um zu verhindern, dass Menschen illegal Waffen besitzen oder Extremisten und Menschen „mit ernsthaften psychischen Erkrankungen“ sich legal welche beschaffen können. Bei möglichen Gesetzesänderungen gilt: Das Recht soll „anwenderfreundlicher“ werden, zudem müsse bei den Vorgaben die „Verhältnismäßigkeit“ gewahrt bleiben.

  • Um Amokläufe mit Waffen zu unterbinden, werden die Maßnahmen wohl nicht reichen, befürchtet der WEISSE RING.

Im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität strebt die Koalition eine vollständige Beweislastumkehr beim Einziehen von Vermögen an, dessen Herkunft nicht geklärt ist.

Ausländische Personen, die schwere Straftaten begehen und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden, sollen in der Regel ausgewiesen werden, etwa bei Delikten gegen Leib und Leben, die sexuelle Selbstbestimmung oder bei einem tätlichen Angriff gegen Vollstreckungsbeamte.

Zu den Ursachen der gestiegenen Kinder- und Jugendgewalt ist eine Studie, die auch mögliche Gesetzesänderungen untersucht, geplant.

 

Digitale Gewalt

Die Koalition verspricht ein „umfassendes Digitales Gewaltschutzgesetz“. Damit wolle sie die rechtliche Stellung von Betroffenen verbessern und Sperren für anonyme „Hass-Accounts“ ermöglichen. Sie will zudem prüfen, ob Opfer und Zeugen in Strafverfahren darauf verzichten können, ihre Anschrift anzugeben, wenn die Verteidigung Akteneinsicht beantragt.

Im Cyberstrafrecht gelte es, Lücken zu schließen, beispielsweise bei „bildbasierter sexualisierter Gewalt“. Das Gesetz soll auch Deepfake-Pornografie erfassen, bei der Bilder von Gesichtern prominenter und nicht-prominenter Menschen mit Hilfe von KI auf andere Körper montiert werden.

Online-Plattformen sollen „Schnittstellen zu Strafverfolgungsbehörden“ zur Verfügung stellen, damit Daten, die für Ermittlungsverfahren relevant sind, „automatisiert und schnell“ abrufbar sind. Die Sanktionsmöglichkeiten gegenüber den Plattformen, die strafbare Inhalte nicht entfernen, sollen verschärft werden.

 

Angriffe auf die Demokratie

Die Koalition kündigt an, allen verfassungsfeindlichen Bestrebungen entschlossen entgegenzutreten, egal ob Rechtsextremismus, Islamismus, auslandsbezogenem Extremismus oder Linksextremismus.

Hierzu planen die Parteien unter anderem, den Tatbestand der Volksverhetzung zu verschärfen. Wer zum Beispiel mehrfach deswegen verurteilt wird, könnte in Zukunft das passive Wahlrecht verlieren. Zudem will Schwarz-Rot eine Strafbarkeit für Amtsträger und Soldaten prüfen, die in geschlossenen Chatgruppen in dienstlichem Zusammenhang antisemitische und extremistische Hetze teilen. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Fälle, die straffrei blieben: Gerichte vertraten die Auffassung, es handele sich um private Gruppen, wo es nicht strafbar sei, solche Inhalte zu verbreiten.

In den vergangenen Jahren haben die Angriffe auf Mandatsträger, Rettungs- und Einsatzkräfte sowie Polizisten deutlich zugenommen. Bei den politischen Amts- und Mandatsträgern stiegen die von der Polizei erfassten Attacken 2024 um 20 Prozent auf 4923. Deshalb wollen Union und SPD den „strafrechtlichen Schutz“ solcher Gruppen prüfen und eventuell erweitern. Darüber hinaus soll das Melderecht überarbeitet werden, um die Privatsphäre der Betroffenen besser zu schützen.

Zum zunehmenden Rechtsextremismus – allein bis zum 30. November 2024 wurden 33.963 Delikte im Bereich „politisch motivierte Kriminalität – rechts“ und damit so viele wie noch nie registriert – schreibt die Koalition lediglich allgemein: „Der Polarisierung und Destabilisierung unserer demokratischen Gesellschaft und Werteordnung durch Rechtspopulisten und -extremisten setzen wir eine Politik der Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, der Vielfalt, Toleranz und Humanität entgegen.“ Abgesehen von einem NSU-Dokumentationszentrum in Nürnberg werden kaum konkrete Maßnahmen genannt.

Im Kampf gegen Islamismus ist ein „Bund-Länder-Aktionsplan“ vorgesehen, zudem soll die „Task Force Islamismusprävention“ ein festes Gremium im Bundesinnenministerium werden und helfen, den Aktionsplan umzusetzen.

Mit Vereinen und Verbänden, die direkt oder indirekt von ausländischen Regierungen gesteuert und vom Verfassungsschutz beobachtet würden, werde der Bund nicht zusammenarbeiten. Sie sollen verpflichtet werden, offenzulegen, wie sie sich finanzieren.

Als weiteres Ziel gibt die Koalition die Sicherheit jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger an, sowohl im digitalen als auch im öffentlichen Raum, etwa an Schulen und Hochschulen. Hierzu sollen unter anderem Lehrer darin geschult werden, Antisemitismus zu erkennen und dagegen vorzugehen.

Projekte zur demokratischen Teilhabe sollen weiterhin vom Bundesförderprogramm „Demokratie leben!“ profitieren.

 

Diskriminierung

Die Arbeit der Antidiskriminierungsstelle soll fortgeführt, der Nationale Aktionsplan gegen Rassismus so überarbeitet werden, dass dieser „in seinen verschiedenen Erscheinungsformen“ bekämpft werden könne. Einen besonderen Schutz verspricht die Koalition nationalen Minderheiten, etwa der dänischen Minderheit oder den deutschen Sinti und Roma. Außerdem sollen alle unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung „gleichberechtigt, diskriminierungs- und gewaltfrei“ leben können. Dazu, heißt es, „wollen wir mit entsprechenden Maßnahmen das Bewusstsein schaffen, sensibilisieren und den Zusammenhalt und das Miteinander stärken“. Wie genau all dies geschehen soll, steht nicht im Vertrag.

Zwischen 2021 und 2023 waren mehr als 20.000 Fälle von Diskriminierung bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gemeldet worden. Die Unabhängige Bundesbeauftragte, Ferda Ataman, kritisierte, das deutsche Antidiskriminierungsrecht sei unzureichend.

 

Menschenhandel

„Deutschland ist zu einer Drehscheibe beim Menschenhandel geworden“, die Opfer seien fast ausschließlich Frauen, schreibt die Koalition am Anfang ihres Kapitels zum Prostituiertenschutzgesetz. Eine Evaluation über die Wirkung des Gesetzes soll bis Juli dieses Jahres vorgestellt werden. Bei Bedarf will das schwarz-rote Bündnis auf eine Experten-Kommission zurückgreifen, um gesetzlich nachzubessern.

  • Dass sich die Koalition dem Thema widmen will, ist nach Ansicht des WEISSEN RINGS positiv, aber auch hier ist die konkrete Umsetzung noch unklar.

Zu anderen Formen von Menschenhandel, etwa zur Ausbeutung der Arbeitskraft, sagt die Koalition nichts. Aus dem letzten Lagebild des Bundeskriminalamtes zu Menschenhandel und Ausbeutung geht hervor, dass 2023 319 Verfahren wegen sexueller Ausbeutung, 37 wegen Arbeitsausbeutung und 204 wegen Ausbeutung Minderjähriger geführt wurden. Experten gehen in diesem Bereich von einer hohen Dunkelziffer aus. Ein Grund dafür ist, dass Betroffene unter anderem aus Angst vor ihren Ausbeutern nur selten Anzeige erstatten.

„Die Betroffenen haben viele Ängste und Schamgefühle“

Erstellt am: Donnerstag, 3. April 2025 von Selina

„Die Betroffenen haben viele Ängste und Schamgefühle“

Die Empörung ist groß, nachdem vor zwei Wochen bekannt geworden ist, dass der Fonds Sexueller Missbrauch (FSM) auslaufen soll. Ein Papier aus den Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD lässt jetzt auf eine Fortsetzung hoffen. Doch ob und in welcher Form der Fonds tatsächlich bleibt, ist ungewiss. Beratungsstellen und Betroffene mahnen, die niedrigschwelligen Hilfen in vollem Umfang zu erhalten.

Manche Opfer brechen Jahrzehnte nach dem Missbrauch zusammen. Mit Hilfe des Fonds kann ihr Leid gelindert werden. Foto: dpa

Manche Opfer brechen Jahrzehnte nach dem Missbrauch zusammen. Mit Hilfe des Fonds kann ihr Leid gelindert werden. Foto: dpa

Bernd Weiland (Name geändert) wurde jahrelang von seinem Vater missbraucht. Er verlor das Gleichgewicht und bekam als Erwachsener auch Geldsorgen, weil er beruflich nicht richtig Fuß fassen konnte. Um wenigstens etwas Abstand zu der Tat und zu dem Mann zu bekommen, der ihm so viel Leid zugefügt hatte, wollte er seinen Nachnamen ändern. Später hatte er noch einen kleinen Wunsch: sich einmal elegant einkleiden, von Kopf bis Fuß, um sich „nicht so ärmlich und erbärmlich“ zu fühlen, sagte er. Keine teure Designerkleidung, aber ordentliche Klamotten. Als der Fonds Sexueller Missbrauch (FSM) seinen Antrag auf finanzielle Unterstützung für die Namensänderung und die Kleidung bewilligte, war er sprachlos und brach in Tränen aus, vor Freude.

Die Kleidung habe für ihn eine tiefere Bedeutung gehabt, erklärt Ingeborg Altvater, die beim WEISSEN RING mehr als 100 Beratungen zum Ergänzenden Hilfesystem (EHS) gemacht hat, das hinter dem Fonds steht. „Die Garderobe stärkte sein Selbstbewusstsein. Das ist ganz wichtig, weil er wie andere Opfer mit dem Gefühl kämpfte, minderwertig und hilflos zu sein“, erinnert sich Altvater.

In der Regel ist eine Unterstützung bis 10.000 Euro möglich

Der Fonds kann Hilfen gewähren, die die Kranken- und Pflegekassen oder das soziale Entschädigungsrecht nicht abdecken. In der Regel ist eine Unterstützung in Höhe von 10.000 Euro, für Betroffene mit Behinderung bis zu 15.000 Euro möglich. Kürzlich ist bekannt geworden, dass das Ergänzende Hilfesystem und der FSM Ende 2028 auslaufen sollen. Demnach können Erstanträge von Betroffenen sexualisierter Gewalt noch bis Ende August 2025 eingereicht und Zusagen nur bis Jahresende erteilt werden.

Das noch amtierende Familienministerium von Lisa Paus (Grüne) rechtfertigte diesen Schritt mit einer Prüfung des Bundesrechnungshofs, der im April 2024 bemängelt hatte, der Fonds verstoße gegen das Haushaltsrecht. Ein Ministeriumssprecher teilte mit, die Ampel-Koalition habe sich nicht darüber einigen können, wie sie das EHS neu aufstellen können. Das sei Aufgabe der neuen Bundesregierung. Der WEISSE RING und fünf Fachorganisationen, darunter die Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend (BKSF), kritisierten die Entscheidung und forderten in einer gemeinsamen Erklärung: „Der Fonds Sexueller Missbrauch muss dauerhaft fortgeführt und strukturell abgesichert werden.“

Derzeit verhandeln CDU und SPD über eine Koalition. Ein dort erarbeitetes Papier macht Hoffnung. Es heißt darin: „Den Fonds sexueller Missbrauch und das damit verbundene Ergänzende Hilfesystem führen wir unter Beteiligung des Betroffenenbeirats fort.“ Doch ob der FSM als Teil des EHS tatsächlich bestehen bleibt und in welcher Form, ist noch unklar.

Leistungen können Folgen des Missbrauchs lindern

Beratende wie Ingeborg Altvater mahnen, den Fonds in vollem Umfang zu erhalten. Sie beschreibt das Hilfesystem als „sehr niedrigschwellige Möglichkeit zu helfen – und auf individuelle Bedürfnisse einzugehen, um die Folgen des Missbrauchs zu lindern“.

Das System bietet aus Sicht der Opfer eine Reihe von Vorteilen: Die Verfahren sind nicht so lang und belastend wie beim Entschädigungsrecht, und die Anträge werden viel häufiger genehmigt. Betroffene müssen glaubwürdige Angaben machen, etwa zu ihrer Person und zu den Taten, letztere jedoch nicht detailliert in Worte gefasst schildern. Sie können auch durch Ankreuzen Informationen geben, beispielsweise dazu, ob sie angefasst worden sind. „Das entlastet Opfer. Sie schaffen es dadurch eher, einen Antrag auf Unterstützung zu stellen“, weiß Altvater. Nach mehr als zehn Jahren Erfahrung in der Beratung sagt Altvater: „Menschen, die in jungen Jahren von ihren Nächsten missbraucht wurden und dadurch einen großen Vertrauensbruch erlitten haben, sind eine besonders belastete Opfergruppe. Sie haben viele Ängste und Schamgefühle.“ Teilweise sind sie beruflich erfolgreich, haben aber privat Probleme. Mitunter verdrängen sie die Tat jahrzehntelang – und brechen dann zusammen.

Der FSM kümmert sich weitgehend um Fälle von sexualisierter Gewalt im familiären Bereich. Zudem übernimmt er Fälle in Institutionen, die sich an ihm beteiligen, etwa der Caritasverband und die Bundeswehr. Laut den jüngsten Zahlen ist der monatliche Schnitt an Erstanträgen im Jahr 2023 gegenüber dem Vorjahr um 21 Prozent gestiegen, auf 412. Das geht aus dem Jahresbericht des Fonds hervor. Der Großteil der Antragstellenden hat sexualisierte Gewalt im familiären Umfeld angegeben (96,2 Prozent). In etwa 98 Prozent der Fälle wurden Mittel aus dem FSM bewilligt. Im Jahr 2023 flossen Hilfen in Höhe von 27,6 Millionen Euro (plus 17 Prozent), der Bund zahlte in dem Jahr 32 Millionen ein. Nach Angaben des zuständigen Bundesamts für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben bekamen seit 2013 rund 27.500 Menschen Hilfen durch den Fonds. Den größten Anteil im vorvergangenen Jahr hatten Leistungen, die der „individuellen Aufarbeitung“ dienen, etwa Hilfen zur sozialen Teilhabe oder Entspannungsverfahren (8 Millionen Euro), gefolgt von therapeutischen Hilfen (7,7 Millionen Euro).

Beratungsstellen warnen vor Aus

Auch in der Fachberatung aktive Einrichtungen kritisieren das drohende Aus bundesweit. Lilo Löffler, geschäftsführender Vorstand beim Sozialdienst Katholischer Frauen und Männer Mettmann, warnt zum Beispiel vor einem „fatalen Schritt“ der Politik. Die individuellen Hilfeleistungen seien eine wichtige Anerkennung für Betroffene und „tragen erheblich zur Linderung des erlebten Leids bei.“

Der Fonds Sexueller Missbrauch kann einspringen, wenn gesetzliche Leistungen nicht reichen, um das Leid der Betroffenen zu lindern. Oder wenn das Fortsetzen gesetzlicher Leistungen abgelehnt oder durch eigentlich vorrangige Leistungsträger erschwert wird. So kann der Fonds beispielsweise eine Behandlung in den sogenannten psychotherapeutischen Richtlinienverfahren über die Stundenobergrenze hinaus ermöglichen. Weitere Beispiele sind Physiotherapie, Ergotherapie, Zahnbehandlungen, Aus- und Fortbildung oder Umzüge, etwa wenn der Tatort auch der Wohnort ist.

Wenn Altvater Betroffene berät, erklärt sie ihnen zu Beginn den Aufbau des Antrags, klärt formale Dinge: „Das verringert die Anspannung.“ Es geht erst um Daten zur Person, später um Tatzeit und Tatort, die Tat, die nicht beschrieben werden muss, dann um seelische und körperliche Folgen sowie die konkreten Leistungen, die das Leid lindern und den Heilungsprozess fördern sollen. Die Sachbearbeiter müssen erkennen, weshalb etwas beantragt wird und inwiefern es helfen kann. „Wir überlegen, was den Opfern guttun, was ihnen eine neue Perspektive eröffnen würde.“ Ein wichtiges Ziel sei, die Selbstwirksamkeit zu erhöhen, da sie sich häufig machtlos fühlen. Auch deshalb habe der Fonds eine große Bedeutung: „Wenn Betroffene aktiv werden, aus der Opferrolle treten können und schließlich lesen, dass der Staat ihr Leid anerkennt und sie unterstützt, brechen sie manchmal in Tränen aus. Manchen hat ihr Umfeld viele Jahre lang nicht geglaubt.“

Unruhe und Sorgen bei Betroffenen

Ein Ende des Fonds wäre verheerend, sagt Altvater. Die Ankündigung, den Fonds Sexueller Missbrauch als Teil des EHS nicht weiterzuführen, hat bereits negative Folgen gehabt. Betroffene fühlen sich im Stich gelassen, nicht wahrgenommen. Aufgrund der aktuell geltenden Fristen müssen sie schnell handeln – was für schwer traumatisierte Menschen eine große Herausforderung ist. Ein weiteres Problem: Es gibt keine Vorauszahlungen mehr. Wenn also jemand zum Beispiel das Geld für ein Fahrrad nicht vorstrecken kann und der Händler nicht mit sich reden lässt, muss er aufgrund der aktuellen Antragsflut auf die bewilligte Leistung verzichten. „Das ist alles belastend, sorgt für Unruhe“, so Altvater.

Sie, ihre beratenden Kolleginnen und Kollegen sowie die Opfer hoffen, dass der Fonds bestehen bleibt, gestärkt wird, und dass bald Klarheit herrscht. Was das Ergänzende Hilfesystem leisten kann, zeigt ein weiterer Fall, der Altvater besonders gut im Gedächtnis geblieben ist: Annette Weber (Name geändert) hatte der Missbrauch so aus der Bahn geworfen, dass sie kaum in der Lage war, ihre Wohnung zu verlassen und unter Leute zu gehen. Die Rollläden in ihrer Zweizimmerwohnung ließ sie zumeist unten. In der EHS-Beratung nannte sie zwei Anliegen: ein Rudergerät, gegen ihre Rückenschmerzen und ein neues Schlafsofa für das Wohnzimmer, wo sie schlief statt im Schlafzimmer. Beim zweiten Wunsch war Altvater der Grund zunächst nicht klar, für den Antrag musste sie ihn aber kennen. Nachdem sie eine Weile nachgedacht hatte, fragte Altvater: „Hat der Missbrauch in einem Schlafzimmer stattgefunden?“

Weber nickte, erleichtert darüber, dass die Beraterin es ausgesprochen hatte. Altvater ergänzte den Antrag und er wurde bewilligt. Weber war „einfach nur glücklich“. Sowohl über den Ersatz für die alte, durchgelegene Couch als auch über das Rudergerät. Es half ihrem Rücken, und sie mochte die gleichmäßige, beruhigende Bewegung, die sich so anfühlte, als wäre sie auf dem Wasser.

„Verfahren sollten so opfersensibel wie möglich gestaltet werden“

Erstellt am: Donnerstag, 27. März 2025 von Gregor

„Verfahren sollten so opfersensibel wie möglich gestaltet werden“

Dr. Marius Riebel ist beim Wissenschaftspreis Opferschutz mit dem Nachwuchspreis ausgezeichnet worden. Er hat erforscht, wie der Staat besser mit Betroffenen umgehen könnte. Riebel macht viele konkrete Vorschläge, etwa zur Gestaltung von Gerichtsprozessen.

Eine Aussage vor Gericht ist für viele Verletzte besonders belastend. Bild: picture alliance/epd-bild/Heike Lyding

Eine Aussage vor Gericht ist für viele Verletzte besonders belastend. Bild: picture alliance/epd-bild/Heike Lyding

Dr. Marius Riebel, der beim Wissenschaftspreis Opferschutz mit dem Nachwuchspreis geehrt worden ist (mehr zur Preisverleihung findet sich hier), spricht im Interview mit der Redaktion des WEISSEN RINGS darüber, welche Bedürfnisse Opfer im Strafverfahren haben, inwiefern diese berücksichtigt werden – und wo es dringenden Verbesserungsbedarf gibt.

Herr Dr. Riebel, Sie haben sich intensiv mit „Verletzteninteressen im Kontext des staatlichen Umgangs mit Straftaten“ befasst, einem Thema, dem sich die Rechtswissenschaft selten widmet. Wie sind Sie darauf gekommen?

Nach dem ersten Staatsexamen habe ich das Angebot angenommen, an der Universität Leipzig zu arbeiten, um mich tiefer mit rechtswissenschaftlichen Themen auseinandersetzen zu können. Daneben wollte ich etwas Praktisches machen, weshalb ich beim WEISSEN RING als ehrenamtlicher Berater angefangen habe. Oft wollten Betroffene über das anstehende beziehungsweise vergangene Strafverfahren sprechen. Ihr Blick darauf war regelmäßig negativ und mit Ängsten verbunden. Das gab mir den Impuls, dazu zu forschen, welche Erwartungen Betroffene an den Staat und staatliche Verfahren haben.

Was haben Sie mit welchen Methoden untersucht?

Ich habe untersucht, welche Interessen Verletzte haben und inwieweit diese im Strafverfahren, aber auch in anderen staatlichen Verfahren berücksichtigt werden. Dazu habe ich bereits vorliegende empirische Untersuchungen, die Verletzteninteressen herausgearbeitet haben, ausgewertet und die Erkenntnisse mit der derzeitigen Ausgestaltung des Rechts abgeglichen. Dabei habe ich mich zum einen abstrakt mit der Legitimität von Verletztenbelangen auseinandergesetzt. Zum anderen habe ich die bestehenden Rechtsinstitute auf ihr Befriedigungspotenzial hin untersucht und Verbesserungsmöglichkeiten entwickelt.

Was haben Sie im Wesentlichen herausgefunden?

Häufig wird davon ausgegangen, dass Verletzte eine möglichst harte Bestrafung wollen. Die Strafe ist für sie tatsächlich ein relevanter Aspekt. Hier geht es aber weniger um eine möglichst harte Sanktion, sondern mehr darum, dass überhaupt eine staatliche Reaktion erfolgt. Damit wird auch eine Form von Anerkennung verbunden. Daneben haben Betroffene materielle und immaterielle Bedürfnisse: Einerseits sollen Kosten – beispielsweise für die medizinische Versorgung oder den Rechtsbeistand – kompensiert werden. Andererseits wünschen Betroffene, dass während des Verfahrens auf sie eingegangen und Rücksicht auf ihre nicht selten bestehenden psychischen Belastungen genommen wird. Im Zuge dessen ist es relevant, dass sie informiert am Verfahren teilhaben und ihre Perspektive aktiv einbringen können.

Welchen Effekt hat das?

Ein solcher Umgang kann dazu beitragen, dass sie das erlittene Unrecht verarbeiten und damit langfristig leben können. Mit Blick auf den Strafprozess konnte ich feststellen, dass es schon eine ganze Reihe von Instrumenten gibt, die eine verletztengerechte Behandlung sicherstellen können. Gleichzeitig werden diese in bestimmten Bereichen aber nicht genug angewendet. Außerdem konnte ich weitere Gestaltungsspielräume herausarbeiten.

Dr. Marius Riebel ist beim Wissenschaftspreis des Bundeskriminalamtes und des WEISSEN RINGS mit dem Nachwuchspreis ausgezeichnet worden.

Welche Instrumente können helfen, die Interessen von Verletzten zu berücksichtigen?

In Untersuchungen wird von Verletzten beispielsweise die Aussage vor Gericht, aber auch die Konfrontation mit der Tatperson als besonders belastend beschrieben. Hier kann bereits heute Videotechnik eingesetzt werden, um derartige Situationen abzumildern und mehrfache Vernehmungen zu verhindern. Auch ein Ausschluss der Öffentlichkeit oder die Entfernung des Angeklagten kann helfen. Außerdem haben Verletzte Aktivrechte – wie beispielsweise die Möglichkeit, sich als Nebenkläger anzuschließen. Darüber hinaus existieren Informationsrechte, wobei das Gesetz das Idealbild eines über seine Rechte voll informierten Verletzten verfolgt. Die Interessen Betroffener haben aber auch Grenzen.

Welche Grenzen gibt es?

Etwa Rechte der Verteidigung oder rechtsstaatliche Prinzipien wie „in dubio pro reo“. All diese Maximen sind richtig und wichtig, können aber dazu führen, dass ein Urteil oder auch eine Einstellungsentscheidung dem Verletzten keine Anerkennung bringt. Umso wichtiger ist es, das Verfahren so opfersensibel wie möglich zu gestalten. Hier besteht aus meiner Sicht ein großes Potenzial in der Kommunikation mit Verletzten. Wenn ein Täter beispielsweise „in dubio pro reo“ freigesprochen wird, sollte dem Verletzten diese Entscheidung umfassend erklärt werden – auch gerichtsseitig. Dies kann die von Verletztenseite gewünschte Anerkennung bringen, Rechtsfrieden schaffen und zudem Vertrauen in den Rechtsstaat stärken.

Mit welchen weiteren Mitteln könnte die Justiz den Bedürfnissen von Betroffenen besser Rechnung tragen?

Es gibt einige Stellschrauben. Um ein paar Details zu nennen: Im Bereich der Nebenklage könnten umfassendere Prozesskostenhilferegelungen geschaffen werden. Außerdem sollte der Kreis der Nebenklageberechtigten überarbeitet werden. Auch das Institut der psychosozialen Prozessbegleitung ist weiter optimierungsbedürftig. Ein großer Wurf könnte allerdings gelingen, indem die juristische Aus- und Fortbildung verbessert würde. Hier spielen Verletztenrechte und Disziplinen wie Viktimologie bisher kaum eine Rolle. Das muss sich ändern.

Inwiefern?

Juristinnen und Juristen sollten sich – zumindest, wenn sie später etwa mit häuslicher oder sexualisierter Gewalt zu tun haben – damit auseinandersetzen, was Straftaten und Verfahren mit Betroffenen machen. Ich plädiere dafür, Qualifikationsstandards zu normieren. Als Vorbild kann dabei das Jugendgerichtsgesetz (JGG) dienen, wo es unter anderem heißt, dass Jugendrichterinnen und Jugendrichter sowie Jugendstaatsanwältinnen und Jugendstaatsanwälte erzieherisch befähigt und in der Jugenderziehung erfahren sein müssen. Paragraph 37 JGG fordert hier spezifische Kenntnisse in bestimmten Bereichen. Über eine vergleichbare Regelung für Beteiligte an für Verletzte besonders belastenden Strafverfahren sollte zumindest diskutiert werden. Abschließend ist es allerdings auch wichtig, den Blick auf andere Verfahren zu weiten. Hier birgt das soziale Entschädigungsrecht (SGB XIV) große Potenziale, die künftig noch weiter genutzt werden sollten.

Transparenzhinweis:
Dr. Marius Riebel befindet sich seit Mai 2024 im Rechtsreferendariat des Freistaates Sachsen im Landgerichtsbezirk Leipzig. Neben seinem beruflichen Engagement ist er seit 2019 aktives Mitglied beim WEISSEN RING. Vor seinem Referendariat war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Leipzig, nach seinem mit Prädikat abgeschlossenen Studium der Rechtswissenschaften mit dem Schwerpunkt Kriminalwissenschaften. Für seine Arbeit zu „Verletzteninteressen im Kontext des staatlichen Umgangs mit Straftaten“ ist er beim Wissenschaftspreis des Bundeskriminalamtes und der WEISSEN RINGS mit dem Nachwuchspreis ausgezeichnet worden.

WEISSER RING und Bundeskriminalamt zeichnen herausragende Forschung zum Opferschutz aus

Erstellt am: Donnerstag, 27. März 2025 von Sabine

Glückliche Preisträger im Biebricher Schloss in Wiesbaden. Foto: Lena Everding

Datum: 27.03.2025

WEISSER RING und Bundeskriminalamt zeichnen herausragende Forschung zum Opferschutz aus

Der WEISSE RING e. V. und das Bundeskriminalamt (BKA) verleihen zum zweiten Mal den „Wissenschaftspreis Opferschutz“ in feierlichem Rahmen im Schloss Biebrich in Wiesbaden. Mit der Auszeichnung wird das wissenschaftliche Engagement im Bereich des Opferschutzes gewürdigt und die Sichtbarkeit der Belange von Betroffenen in der Bevölkerung erhöht.

Wiesbaden/Mainz – Der WEISSE RING e.V. und das Bundeskriminalamt (BKA) verleihen zum zweiten Mal den „Wissenschaftspreis Opferschutz“ in feierlichem Rahmen im Schloss Biebrich in Wiesbaden. Mit der Auszeichnung wird das wissenschaftliche Engagement im Bereich des Opferschutzes gewürdigt und die Sichtbarkeit der Belange von Betroffenen in der Bevölkerung erhöht. Die Preisverleihung findet unter der Schirmherrschaft des Hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein statt.

In diesem Jahr steht das Thema Menschenhandel im Fokus der Preisverleihung. Das BKA leistet sowohl mit der Forschung im Kriminalistischen Institut als auch mit der Abteilung Schwere und Organisierte Kriminalität einen Beitrag zur Bekämpfung von Menschenhandel. Das Dunkelfeld in diesem Deliktsbereich ist jedoch hoch, Betroffene zeigen aus Scham und Ohnmacht Straftaten oftmals nicht an. Daher ist es wichtig, die wissenschaftliche Perspektive mit der polizeilichen Praxis zu verbinden.

Der Wissenschaftspreis geht in diesem Jahr an Prof. Dr. Tillmann Bartsch, Prof. Dr. Joachim Renzikowski, Nora Labarta Greven und Marco Kubicki für ihre Arbeit „Straffreiheit für Straftaten von Opfern des Menschenhandels? Zur Umsetzung des Non-Punishment-Prinzips in Recht und Praxis“. Die Studie befasst sich mit dem „Non-Punishment-Prinzip“, nach dem Opfer von Menschenhandel für Straftaten, die sie in der Menschenhandelssituation begangen haben, unter bestimmten Voraussetzungen nicht bestraft werden sollen. Die Forschungsarbeit verbindet eine rechtsdogmatische Analyse mit einer empirisch-kriminologischen Betrachtung der Anwendungspraxis und kommt zu dem Schluss, dass das Prinzip im deutschen Strafrecht bislang unzureichend umgesetzt ist.

»Wir sehen in der Polizeilichen Kriminalstatistik seit einigen Jahren steigende Opferzahlen«, betonte Helen Albrecht, Vizepräsidentin des Bundeskriminalamtes, in ihrer Rede. »Und das ist nur das Hellfeld: Viele Opfer zeigen eine gegen sie gerichtete Straftat nicht an – aus Angst vor der Tatperson, aus Scham oder weil sie sich gar nicht als Opfer wahrnehmen. Mit dem Wissenschaftspreis Opferschutz wollen wir all diesen Menschen symbolisch ein Gesicht geben und die Prävention von Opferwerdung ebenso wie die Verbesserung des Opferschutzes in Deutschland stärken. Die ausgezeichneten Arbeiten leisten einen bedeutenden Beitrag dazu.«

Eine Aussage vor Gericht ist für viele Verletzte besonders belastend. Bild: picture alliance/epd-bild/Heike Lyding

„Verfahren sollten so opfersensibel wie möglich gestaltet werden“

Dr. Marius Riebel, Gewinner des Wissenschaftspreises, erklärt im Interview, wie die Interessen von Betroffenen besser berücksichtigt werden könnten.

Bianca Biwer, Bundesgeschäftsführerin des WEISSEN RINGS, fügt hinzu: »Es ist wichtig, dass sich Menschen, die Opfer von Menschenhandel werden oder geworden sind, trauen, Hilfe zu suchen und sich nicht aufgrund der Angst vor Strafe dagegen entscheiden. Genau dafür gibt es das Non-Punishment-Prinzip, das unter bestimmten Voraussetzungen sogar eine Strafbefreiung im Falle schwerer Delikte gewährleistet. Die Autorinnen und Autoren haben sich hier einem Thema gewidmet, das bisher in der Öffentlichkeit kaum Aufmerksamkeit bekommen hat. Jetzt liegt es an der Politik und den Behörden, Lehren aus der Arbeit zu ziehen und den oftmals schwer geschädigten Betroffenen endlich den Schutz zu gewähren, der ihnen zusteht.«

Der Nachwuchspreis wird an Marius Riebel für seine Dissertation „Verletzteninteressen im Kontext des staatlichen Umgangs mit Straftaten“ verliehen. Seine Arbeit analysiert die Bedürfnisse und Erwartungen von Straftatopfern im Rahmen von Strafverfahren und stellt dabei auch in Frage, ob es Betroffenen von Straftaten um eine möglichst harte Bestrafung von Täterinnen und Tätern geht.

Viele von Menschenhandel Betroffene werden zum Betteln gezwungen. Bild: picture alliance/Geisler-Fotopress

„Es ist wichtig, Brücken für Betroffene von Menschenhandel zu bauen“

Im Interview spricht Professor Tillmann Bartsch über die schwierige Situation von Opfern von Menschenhandel.

Kampf gegen Menschenhandel ist eine Daueraufgabe

Erstellt am: Donnerstag, 27. März 2025 von Sabine

Kampf gegen Menschenhandel ist eine Daueraufgabe

Beim Wissenschaftspreis des Bundeskriminalamtes und des WEISSEN RINGS wird herausragende Forschung zu Opferschutz ausgezeichnet und über Menschenhandel diskutiert.

Der Weg im Kampf gegen Menschenhandel ist noch weit – darin sind sich während der Podiumsdiskussion alle einig. Foto: Lena Everding

„Es hängt bislang oft vom Zufall ab, ob Betroffene von Menschenhandel erkannt werden oder nicht“, sagt Tillmann Bartsch, Professor für Empirische Kriminologie und Strafrecht, am Donnerstag im festlichen Saal des Schlosses Biebrich in Wiesbaden. Bartsch und sein Forscherteam sind gerade mit dem Wissenschaftspreis des Bundeskriminalamtes (BKA) und des WEISSEN RINGS geehrt worden, für ihre Arbeit zum Thema: „Straffreiheit für Straftaten von Opfern des Menschenhandels? Zur Umsetzung des Non-Punishment-Prinzips in Recht und Praxis“. Der Professor bedankt sich für die Auszeichnung der Studie und fügt hinzu: Es wäre eine noch größere Freude, wenn diese dazu beitragen könnte, den Faktor Zufall im Kampf gegen Menschenhandel zu reduzieren.

Der Preis, über den eine unabhängige, interdisziplinäre Jury entscheidet, ist in diesem Jahr zum zweiten Mal verliehen worden. Damit sollen Forschungsarbeiten zum Opferschutz gewürdigt und die Bedürfnisse von Betroffenen sichtbarer gemacht werden. Schirmherr der Preisverleihung ist Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU).

BKA-Vizepräsidentin Helen Albrecht sagte, in der jüngsten Polizeilichen Kriminalstatistik seien 1,3 Millionen Opfer erfasst worden – ein Höchststand. Und das sei nur das „Hellfeld“. Der Wissenschaftspreis solle ihnen symbolisch „ein Gesicht geben“ und die Prävention stärken. Barbara Richstein, Bundesvorsitzende des WEISSEN RINGS, erklärte: „Wissenschaftliche Erkenntnisse sind die Basis für nachhaltigen Opferschutz.“ Dadurch sei es zum Beispiel möglich, ein genaueres Bild von den Folgen von Straftaten für Betroffene zu bekommen.

Bartsch und sein Team haben herausgearbeitet, dass die Möglichkeit der Straffreiheit bei Taten, die von Opfern von Menschenhandel begangen werden, in Deutschland bislang kaum umgesetzt wird. Das erschwert den Opferschutz und die Verfolgung von Menschenhandel. Die Jury lobte unter anderem, die Studie sei methodisch breit gefächert und enthalte einen eigenen Gesetzesvorschlag.

Den Nachwuchspreis erhielt Dr. Marius Riebel für seine Dissertation „Verletzteninteressen im Kontext des staatlichen Umgangs mit Straftaten“ – laut Jury eine akribische Darstellung und Einordnung aller Möglichkeiten, Opfer im Rahmen von Verfahren zu informieren und zu schützen. Riebel sagte, er hoffe, dass seine Vorschläge für eine bessere Berücksichtigung von Opferinteressen sowohl in der Justiz als auch in der Wissenschaft intensiv diskutiert werden.

Eine Aussage vor Gericht ist für viele Verletzte besonders belastend. Bild: picture alliance/epd-bild/Heike Lyding

„Verfahren sollten so opfersensibel wie möglich gestaltet werden“

Dr. Marius Riebel, Gewinner des Wissenschaftspreises, erklärt im Interview, wie die Interessen von Betroffenen besser berücksichtigt werden könnten.

Nach der Preisverleihung widmete sich eine Podiumsdiskussion den Betroffenen von Menschenhandel „im Blick von Polizei, Wissenschaft und Gesellschaft“. Tanja Cornelius, beim BKA Expertin für Menschenhandel, betonte: „Bevor wir den Opfern helfen können, müssen wir sie identifizieren.“ Das sei eine ressortübergreifende Arbeit, bei der auch zivilgesellschaftlichen Einrichtungen eine wichtige Rolle spielten. Helga Gayer, heute als Beraterin tätig und früher ebenfalls beim BKA, bezeichnete die Bekämpfung von Menschenhandel als Daueraufgabe – die vor einer neuen Herausforderung stehe. Nachdem das Thema in Europa eine relativ hohe Priorität gehabt habe, stehe es nun im Spannungsfeld mit der Debatte um „irreguläre Migration“.

Joachim Renzikowski, Professor für Strafrecht, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, kritisierte, es fehle der politische Wille, Menschenhandel konsequent zu bekämpfen. Renzikowski plädierte zudem für eine bessere finanzielle Ausstattung der Fachberatungsstellen und ein „humanitäres Aufenthaltsrecht für Opfer von Menschenhandel“.

Bianca Biwer, Bundesgeschäftsführerin des WEISSEN RINGS, forderte unter anderem informierte sowie mündige Verbraucherinnen und Verbraucher. Diese sollten etwa auf Anzeichen von Arbeitsausbeutung achten, ihre Kaufentscheidung überdenken – und bei direkten Hinweisen oder Beobachtungen die zuständigen Behörden oder Beratungsstellen kontaktieren.

Besonders Frauen werden im Netz zu Opfern

Erstellt am: Freitag, 21. März 2025 von Sabine

Foto: Christian J. Ahlers

Datum: 21.03.2025

Besonders Frauen werden im Netz zu Opfern

Frauen, die heute Opfer von Partnerschaftsgewalt werden, leiden oft doppelt: Zusätzlich zur physischen kommt in vielen Fällen auch noch die digitale Gewalt.

Mainz – Frauen, die heute Opfer von Partnerschaftsgewalt werden, leiden oft doppelt: Zusätzlich zur physischen kommt in vielen Fällen auch noch die digitale Gewalt. Ex-Partner stalken sie online weiter, greifen persönliche Daten ab, stellen intime Fotos ins Netz oder missbrauchen die Identität der Frau in den sozialen Medien, um ihren Ruf zu schädigen. So etwas trifft nicht nur, aber vor allem Frauen. Daher möchte der WEISSE RING dieses Thema am 22. März 2025, dem „Tag der Kriminalitätsopfer“, besonders hervorheben – und informieren, wie jeder sich vor digitaler Gewalt schützen kann.

62 Prozent der Opfer sind weiblich

Digitale Gewalt ist ein Sammelbegriff für unterschiedliche, teilweise kriminelle Handlungen im Internet. Nach aktuellen Zahlen des BKA sind 62,3 Prozent der Opfer digitaler Gewalt weiblich. Eine Studie der gemeinnützigen Organisation HateAid und der TU München konnte zudem bestätigen, dass Frauen, die sich politisch engagieren, öfter von digitaler Gewalt betroffen sind (63 Prozent) als ihre männlichen Kollegen (53 Prozent). Fast ein Viertel der weiblichen Betroffenen hat schon einmal Androhungen physischer sexueller Gewalt erhalten, zum Beispiel Vergewaltigungsdrohungen (bei Männern sind es nur 3 Prozent). Das Ausmaß der digitalen Gewalt führt dazu, dass vor allem Frauen ans Aufhören denken.

Hintergrund-Info

Seit 1991 macht der WEISSE RING mit dem „Tag der Kriminalitätsopfer“ alljährlich am 22. März auf Menschen aufmerksam, die durch Kriminalität und Gewalt geschädigt wurden. Er soll das Bewusstsein für Opferbelange in Deutschland stärken und Informationen zu Prävention, Schutz und praktischen Hilfen geben. Inzwischen ist der Aktionstag fester Bestandteil im Kalender von Institutionen aus den Bereichen Politik, Justiz und Verwaltung, aber auch Vereinen und Schulen geworden. Traditionell beteiligen sich in ganz Deutschland ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Außenstellen des WEISSEN RING mit Aktionen und Info-Veranstaltungen am Tag der Kriminalitätsopfer.

Die Ruhe in Person

Erstellt am: Montag, 3. März 2025 von Sabine

Die Ruhe in Person

Petra Klein, 69 Jahre alt, ist niemals nervös. Die frühere Polizistin ist beim WEISSEN RING nicht nur Leiterin der Außenstelle Oldenburg, sie repräsentiert den Verein auch in Europa. Jetzt wurde sie für ihr Engagement geehrt.

Sie gratulierten Petra Klein (Mitte), v. l. n. r.: Barbara Richstein, Rosa Jansen, Jürgen Krogmann und Andreas Sagehorn.

Natürlich hätte man sich die Frage sparen können. Historisches Rathaus zu Oldenburg, großer Sitzungssaal, Gäste aus dem In- und Ausland, in der ersten Reihe sitzt der Oberbürgermeister, in einer samtausgeschlagenen Holzkiste liegt das Bundesverdienstkreuz am Bande bereit. „Bist du nervös, Petra?“ Und Petra lächelt nur milde, so wie sie es immer tut, um mit sanfter Stimme zu antworten: „Nein.“

Petra Klein, 69 Jahre alt, ist niemals nervös. Sie war es nicht bei der Polizei damals, als sie bei Geiselnahmen oder Bedrohungslagen vermittelte. Sie ist es heute nicht, wenn ihr aufgewühlte, verzweifelte Verbrechensopfer gegenübersitzen. Nicht im Bundesvorstand des WEISSEN RINGS, wenn sie bei internen Konflikten moderieren muss, und nicht einmal in Brüssel, wenn sie auf Englisch die Interessen Deutschlands bei Victim Support Europe vertreten soll, dem Dachverband der europäischen Opferhilfsorganisationen. Warum sollte sie also jetzt nervös sein, bei ihrer Feierstunde? Sie freut sich einfach, „ich fühle mich sehr, sehr geehrt“, sagt sie.

„Gesicht des WEISSEN RINGS“ in Oldenburg – und Europa
Oldenburgs Oberbürgermeister Jürgen Krogmann (SPD) hebt das Verdienstkreuz aus der Schachtel und bekennt, er sei hier ja nur der Postbote, „denn verliehen hat es Ihnen der Bundespräsident“. Aber auch er freut sich, denn er kennt die Ausgezeichnete seit vielen Jahren: Als Oberbürgermeister kennt er sie als „Gesicht des WEISSEN RINGS“ in seiner Stadt, als ehemaliger Landtagsabgeordneter kennt er sie als Vertreterin des Opferschutzes in der Politik, als Aufsichtsratsmitglied des Klinikums Oldenburg kennt er sie als intensive Begleiterin der Angehörigen im Fall des Krankenhausmörders Niels Högel, der im örtlichen Klinikum Dutzende Patienten ermordete. Den Orden bekomme sie nun „für die um die Bundesrepublik Deutschland erworbenen besonderen Dienste“.

„Nichts macht man allein, das geht nur mit einer ganz tollen Außenstelle.“

Petra Klein zu den Verdiensten.

Aus Brandenburg ist Barbara Richstein angereist, die Bundesvorsitzende des WEISSEN RINGS. Sie zeichnet den Weg von Petra Klein ins Ehrenamt nach: 2009, nach ihrem Ausscheiden aus dem Polizeidienst, wurde sie ehrenamtliche Mitarbeiterin beim WEISSEN RING, wenige Monate später übernahm sie bereits die Leitung der Außenstelle Oldenburg. Längst ist Oldenburg eine der größten Außenstellen des Vereins in Niedersachsen: 18 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aktuell, die in weit mehr als 2000 Fällen seit 2009 Kriminalitätsopfer mit fast einer Millionen Euro unterstützen konnten.

„Ein großes Herz“

Außenstellenleitung sei eine Arbeit, die „ein großes Herz“ erfordere, sagt Richstein. Aber damit nicht genug, Petra Klein engagiere sich „weit über die regionale Ebene hinaus“: Seit 2010 ist sie Mitglied des Bundesvorstands des WEISSEN RINGS, inzwischen sogar als stellvertretende Bundesvorsitzende, seit 2021 ist sie Vizepräsidentin von Victim Support Europe.

Das wissen die Gäste aus den Reihen des WEISSEN RINGS im Ratssaal natürlich alles, nicht aber das, was Andreas Sagehorn, der Präsident der Polizeidirektion Oldenburg, aus 32 Polizeidienstjahren zu berichten hat. Er erinnert an Petra, die Polizistentochter und „Pionierin“, wie er sie nennt. Die in den 70er-Jahren zur Polizei kam, als Frauen dort „eine Seltenheit“ waren. Die dank ihrer Fähigkeit, in allen Lagen ruhig zu bleiben, als erste Frau die Verhandlungsgruppe leitete. Die in den 90er-Jahren, als mehrere Mädchenmorde den Nordwesten Deutschlands erschütterten, die Angehörigen jeweils betreute. „Für sie endete der Job nie damit, die Taten aufzuklären“, so Sagehorn. „Sie hatte immer schon die Opfer im Blick.“

Es gibt noch viel zu tun

Und Petra Klein? Ruhig sitzt sie in der ersten Reihe, lächelt und dankt ihren Gästen. Der Familie. Ganz besonders Ihrem Partner Ferdi (Ferdinand Zuppke). Ihrem „lieben Freund Günni“ (Günter Koschig). Und wo sie mit den beiden schon wieder beim WEISSEN RING angekommen ist: Bianca Biwer, der aus Mainz angereisten Bundesgeschäftsführerin des Vereins, und nochmals „ihrer“ Außenstelle.

„Was für ein unglaublicher Erfolg“, lob Rosa Jansen, Präsidentin VSE, die aus den Niederlanden zur Feierstunde nach Oldenburg kam. Aber sie sagt auch: „Wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns.“ Deshalb sei sie froh, dass Petra keinerlei Interesse zeige, aufzuhören. „Wir brauchen dich wirklich!“

„Aussage hat mich und meine Familie sehr befremdet“

Erstellt am: Donnerstag, 27. Februar 2025 von Sabine

Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

Datum: 27.02.2025

„Aussage hat mich und meine Familie sehr befremdet“

Walter Lübcke war 2019 aufgrund seines Einsatzes für Geflüchtete von einem Rechtsextremisten erschossen worden. Seine Witwe Irmgard Braun-Lübcke kritisiert aktuelle Äußerungen von Merz und ruft zu Engagement für die Demokratie auf.

Mainz – „Die Aussage von Friedrich Merz am Samstag beim gemeinsamen Wahlkampfabschluss der CSU und CDU in München hat meine Familie und mich sehr befremdet und ich möchte sie so nicht stehen lassen“, schreibt Irmgard Braun-Lübcke, die Witwe des von einem Rechtsextremisten ermordeten CDU-Politikers Walter Lübcke, in einer aktuellen Stellungnahme. Anders als Merz behauptete, habe es nach der Ermordung ihres Mannes „ein starkes, gesellschaftlich breites Bekenntnis zu unserer Demokratie und ihren Werten“ gegeben.

Merz hatte bei seinem Auftritt als Spitzenkandidat der CDU gesagt: „Ich frage mal die Ganzen, die da draußen rumlaufen, Antifa und gegen Rechts: Wo waren die denn, als Walter Lübcke in Kassel ermordet worden ist von einem Rechtsradikalen? Wo waren die da?“

Braun-Lübcke stellt klar: In ihrer Heimatstadt Wolfhagen, in Kassel und in vielen weiteren Städten und Gemeinden in ganz Deutschland gingen viele Menschen auf die Straße – linke, liberale und konservative Demokraten: „Gemeinsam haben sie sich klar gegen Gewalt, Hass und Hetze sowie eindeutig für Demokratie, Freiheit und Menschlichkeit positioniert. Dies gab uns als Familie sehr viel Kraft und zeigte, wir sind nicht allein, du bist nicht allein, wir treten gemeinsam ein für den Bestand unserer Demokratie“, erklärt die Frau des früheren Kasseler Regierungspräsidenten, die als Lehrerin arbeitete. Sie waren fast 40 Jahre verheiratet und haben zwei gemeinsame Söhne.

Engagierte Frau mit Haltung: Hier nimmt Irmgard Braun-Lübcke an einem Runden Tisch zu politisch motivierter Gewalt teil, bei dem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Eröffnungsrede hielt. Foto: Annette Riedl/dpa

Walter Lübcke war 2019 aufgrund seines Einsatzes für Geflüchtete von einem Rechtsextremisten erschossen worden. Zuvor war im Netz gegen ihn gehetzt und zu Gewalt aufgerufen worden. Das Oberlandesgericht Frankfurt verurteilte den Mörder 2021 zu lebenslanger Haft und stellte zudem die besondere Schwere der Schuld fest. Während ihrer Aussage vor Gericht mahnte Irmgard Braun-Lübcke: „Aus Worten werden Taten.“

Jetzt stellt sie Merz’ Äußerungen und rhetorische Fragen nicht nur richtig, sondern sendet auch einen starken Appell: „Heute, in dieser schwierigen Zeit, in der so Vieles, was bisher selbstverständlich war, ins Wanken gerät oder keine Gültigkeit mehr hat, sind wir alle mehr denn je gefordert, insbesondere die Politik, die Menschen zusammenzuführen und gemeinsam für Werte einzutreten, wie es mein Mann getan hat.“

WEISSER RING hilft Opfern nach mutmaßlichem Anschlag in München

Erstellt am: Freitag, 14. Februar 2025 von Sabine

München trauert um die Opfer des Anschlags. Foto: dpa

Datum: 14.02.2025

WEISSER RING hilft Opfern nach mutmaßlichem Anschlag in München

Nach dem mutmaßlichen Anschlag mit einem Auto in München bietet der WEISSE RING, Deutschlands größte Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer, allen Betroffenen schnelle und unbürokratische Hilfe an.

München/Mainz – Nach dem mutmaßlichen Anschlag mit einem Auto in München bietet der WEISSE RING, Deutschlands größte Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer, allen Betroffenen schnelle und unbürokratische Hilfe an. „Wir sind jetzt für die Opfer da und stehen an ihrer Seite. Ich möchte alle Menschen, die Unterstützung brauchen, ermutigen, sich bei uns zu melden“, sagt Dr. Helgard van Hüllen, eine der amtierenden Landesvorsitzenden des WEISSEN RINGS Bayern Süd. „Diese Tat ist schrecklich und abscheulich, ich habe dafür keine Worte.“

Hilfesuchende können sich über die Rufnummer des Landesbüros Bayern Süd unter 09078/89494 an den WEISSEN RING wenden.

„Unser Angebot gilt nicht nur für Verletzte, sondern auch für Angehörige, für Zeuginnen und Zeugen, für Helferinnen und Helfer sowie für Einsatzkräfte vor Ort“, sagt Helgard van Hüllen. „So wichtig die politischen Diskussionen über den Fahrer und seine möglichen Motive auch sind: Zuerst müssen wir an die Opfer denken. Sie müssen wissen, wohin sie sich mit ihren Bedürfnissen und Fragen hinwenden können.“ Die amtierende Landesvorsitzende fügt außerdem hinzu: „Manche Betroffene merken vielleicht auch erst später, dass sie im Alltag das Erlebte nicht vergessen können. Auch diese Menschen möchte ich bestärken, sich Hilfe zu holen.“

"Wir sind jetzt für die Opfer da und stehen an ihrer Seite."

Dr. Helgard van Hüllen

Die professionell ausgebildeten ehrenamtlichen Opferhelferinnen und Opferhelfer des WEISSEN RINGS sind für die Betroffenen da, begleiten sie und versuchen, ihnen Halt zu geben. Zu den konkreten Unterstützungsmöglichkeiten gehören unter anderem finanzielle Soforthilfen oder die Vermittlung von Kontakten zu Fachärzten und Behörden.

Am Donnerstagmorgen gegen 10.30 Uhr ist ein 24-jähriger Mann mit dem Auto in eine Menschenmenge in der Münchner Innenstadt gefahren. Es handelte sich dabei um eine Verdi-Demonstration. Laut Polizei sind dabei mehr als 30 Menschen verletzt worden, zwei davon schwerverletzt, darunter ein Kind. (Stand 14.02.2025, 12 Uhr)