Eine Fessel, die Leben retten kann
Die Bundesregierung hat jetzt den Einsatz der spanischen Fußfessel in Fällen häuslicher Gewalt auf den Weg gebracht. Zwei aktuelle Tötungsdelikte aus Hessen und Sachsen-Anhalt zeigen, warum es wichtig ist, das Gesetzesvorhaben zügig umzusetzen.
Die Fußfessel ist in Spanien längst gängige Praxis. Foto: Christian Ahlers
Der Angriff endete tödlich: Anfang Juli verschaffte sich ein 36-Jähriger laut Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main Zugang zu einem Haus im Stadtteil Bonames. Als seine Ex-Partnerin die Wohnungstür öffnete, griff er sie demnach mit einem Messer an und verletzte die 31-Jährige. Es gelang ihr, zu einer Nachbarin zu flüchten, wo sie den Notruf wählte. Ihr neuer Partner hingegen, der gerade bei ihr war, wurde erstochen. Der 46-Jährige starb am Tatort.
Der mutmaßliche Täter trug bis kurz vor der Attacke eine Fußfessel. Im Februar hatte die 31-Jährige gegen den Mann, von dem sie sich bereits getrennt hatte, Anzeige wegen häuslicher Gewalt und Vergewaltigung erstattet. Weil er gegen das Kontakt- und Annäherungsverbot verstieß, wurde beim Amtsgericht ein Antrag nach dem Gewaltschutzgesetz gestellt, das Gefährdungslagenmanagement der Polizei übernahm den Fall. Ende Februar kam der 36-Jährige für vier Tage in Gewahrsam. Danach musste er eine elektronische Aufenthaltsüberwachung tragen – bis zum 23. Juni. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft war eine Verlängerung nicht möglich, auch weil der Gefährder sich in den vier Monaten ans Gesetz gehalten habe.
Innerfamiliäre Gewalt im Jahr 2024 gestiegen:
54 % der 94.873 Betroffenen waren weiblich. 46 % der Opfer waren demnach männlich. 130 Menschen wurden im Kontext Innerfamiliärer Gewalt getötet.
Der mutmaßliche Täter trug bis kurz vor der Attacke eine Fußfessel
Bei Redaktionsschluss liefen die Ermittlungen noch, wie die Staatsanwaltschaft auf Anfrage mitteilte. Der Verdächtige habe sich bislang nicht zu den Vorwürfen eingelassen. Hessens Justizminister Christian Heinz (CDU) sagte dem WEISSER RING Magazin, der Fall zeige deutlich, „wie wichtig es ist, die elektronische Fußfessel ins Gewaltschutzgesetz aufzunehmen. Somit hätten wir die Möglichkeit, Straftäter weitaus länger zum Tragen zu verpflichten.“
Einen entsprechenden Gesetzentwurf von Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) hat das Bundeskabinett am 19. November verabschiedet. Ziel ist es, bundesweit die Möglichkeit zu schaffen, Täter zum Tragen elektronischer Fußfesseln nach dem „spanischen Modell“ zu verpflichten. Eine Anordnung soll für höchstens sechs Monate erfolgen, aber – auch wiederholt – um jeweils drei Monate verlängert werden können, sofern die Gefahr für das Opfer fortbesteht. Familiengerichte sollen so Kontakt- und Näherungsverbote effektiver kontrollieren können. Laut Bundeslagebild „Häusliche Gewalt“ des Bundeskriminalamtes registrierte die Polizei 2024 insgesamt 7.754 Verdächtige wegen Verstößen gegen gerichtliche Schutzanordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz. Davon waren 91,1 Prozent Männer, eine Steigerung von 9,7 Prozent gegenüber 2023. Mehr als 90 Prozent der Tatverdächtigen waren bereits polizeilich bekannt.
Der Bundestag muss dem Gesetz noch zustimmen
„Elektronische Fußfesseln können Leben retten. Das zeigen die Erfahrungen in Spanien“, sagte Hubig. Der Bundestag muss dem Gesetz noch zustimmen. Familiengerichte können laut dem Entwurf Anti-Gewalt-Trainings anordnen. Der Strafrahmen für Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz erhöht sich bei Freiheitsstrafen von zwei auf drei Jahre. Die Gerichte können in Gewaltschutz- und Kindschaftsverfahren Auskünfte aus dem Waffenregister einholen.
Für die elektronische Aufenthaltsüberwachung in Fällen häuslicher Gewalt setzt sich der WEISSE RING seit rund zehn Jahren auf Bundes- und Landesebene ein, etwa mit Brandbriefen an die Bundesregierung und einer Petition. Die Redaktion des WEISSER RING Magazins hat umfassend recherchiert, wie der Staat Menschen besser schützen könnte.
In Hochrisikofällen soll laut dem Gesetzentwurf die Aufenthaltsüberwachung im „Zwei-Komponenten-Modell“ eingeführt werden: Dabei kann die Fußfessel des Täters mit einer GPS-Einheit kommunizieren, die das Opfer bei sich trägt. Sie löst einen Alarm aus, wenn sich der Überwachte und die Betroffene einander nähern. Die Sperrzonen sind nicht fest, sondern dynamisch.
Das Familiengericht soll eine elektronische Fußfessel jedoch nicht gegen den erklärten Willen des Opfers anordnen dürfen
Fachorganisationen – darunter der Deutsche Frauenrat, die Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt und der WEISSE RING – sind an dem Verfahren für das neue Gesetz beteiligt. Sie äußerten Lob, gaben aber auch kritische Hinweise.
Claudia Igney vom Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe forderte bei einer Anhörung Fallkonferenzen, um Lagen mit hohem Risiko erkennen zu können. Auch sollte die Täterarbeit im Gesetz klarer formuliert sein, nicht nur als Option, so Igney. Sie sprach sich für eine Qualitätskontrolle der Maßnahmen aus. Und nicht zuletzt müsse der Schutz aller Betroffenen sichergestellt werden, zum Beispiel auch von Frauen in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung.
Eike Eberle, Geschäftsleiter Öffentliches Eintreten und Justiziar des WEISSEN RINGS, sagte: Der WEISSE RING begrüße die Gesetzesinitiative ausdrücklich. Eine Reihe von Vorschlägen zur Verbesserung des Gesetzes seien sinnvoll. Wichtig sei aber, möglichst schnell zu einer wirksamen Lösung zu kommen. Laut BKA wurden im Jahr 2024 in Deutschland 132 Frauen und 24 Männer durch ihre Partner oder Ex-Partner getötet. „Jeder weitere Tag ohne eine Regelung ist nicht zu rechtfertigen“, sagte Eberle.
„Eine Gewaltschutzanordnung auf dem Papier hat noch keinen Mörder gestoppt. Die elektronische Aufenthaltsüberwachung aber schon“
Katharina Wulf, Geschäftsführerin des LFSH
Die Bundesrechtsanwaltskammer betrachtet die Fußfessel als angemessene Antwort auf Vollzugsdefizite bei Kontakt- und Näherungsverboten und betrachtet sie als wichtiges Mittel, um Schutz durchzusetzen.
Einige Verbände kritisierten in ihren Stellungnahmen, dass den Gerichten in Deutschland für solche eilbedürftigen Entscheidungen keine bundesweit standardisierte Risikoanalyse zur Verfügung stehe – wie es sie etwa in Spanien gibt.
Lorea Arenas, Dozentin für Kriminologie an der Universität Extremadura in Spanien, sagte in einem Interview mit der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“, es sei zentral, die Überwachung in ein umfassendes, opferzentriertes Schutzkonzept zu integrieren. Entscheidend sei „die Koordination zwischen Gerichten, Polizei und Opferschutzdiensten“. Mit Blick auf die geschützten Frauen sagte sie: „Eine wichtige Erkenntnis ist, dass dieses System eine Echtzeitüberwachung ermöglicht, wodurch direkter Kontakt verhindert und auf Verstöße schnell reagiert werden kann. Das Wissen, dass sofort Alarm ausgelöst wird, scheine verbotene Kontakte zu verhindern. Seit der Einführung in Spanien wurde kein Opfer getötet, zu dessen Schutz die Maßnahme angeordnet war.
Positiv blickt man im Kanton Zürich auf das Modell, nach einem einjährigen Pilotprojekt. Wichtig seien die Kooperation von Polizei, Justiz, Überwachungszentrale und Opferschutzorganisationen sowie die Zustimmung der Opfer. „Damit das Instrument nachhaltig wirkt, müssen Bund und Kantone zusammenarbeiten. Der Schutz von Gewaltbetroffenen duldet keinen Flickenteppich“, erklärte Regierungsrätin Jacqueline Fehr.
Chronik eines angekündigten Todes
Alle drei Tage tötet in Deutschland ein Mann seine (Ex-)Frau. Tut der Staat genug, um diese Frauen zu schützen? Der Fall von Anne, die 2017 gemeinsam mit ihrem kleinen Sohn Noah getötet wurde, zeigt: Nein, tut er nicht.
In der Studie „Femizide in Deutschland“, die kürzlich vom Institut für Kriminologie der Universität Tübingen und dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen vorgestellt wurde, heißt es, neben einer vorsichtigen Reform des Umgangsrechts könnte die Einführung der „elektronischen Fußfessel“ zielführend sein, um Tötungsdelikte zu verhindern. Für die Studie analysierten die Forscher Strafverfahren zu fast allen 334 versuchten und vollendeten Tötungsdelikten mit mindestens einem weiblichen Opfer, die im Jahr 2017 in mehreren Bundesländern erfasst wurden. Eine Herausforderung sei jedoch die zuverlässige Gefährlichkeitsprognose in der Praxis. Studienleiter Prof. Dr. Jörg Kinzig schrieb dazu in der Zeitschrift für Rechtspolitik: „Zusammengefasst kann das spanische Modell Partnerinnentötungen verhindern, wenn die Maßnahme an den richtigen Mann gebracht wird.“
Die Technologie ist hierzulande in einigen Landespolizeigesetzen als Maßnahme zur Gefahrenabwehr bei häuslicher Gewalt verankert. Hubigs Gesetzentwurf schafft eine ergänzende, bundeseinheitliche Rechtsgrundlage im Zivilrecht.
In Hessen ist seit der Einführung im Januar 2025 laut Justizministerium kein tatsächlicher Übergriffsversuch während der Anordnung zum Tragen der Fußfessel bekannt geworden. In Sachsen ist die Überwachung erstmals im Januar 2025 zum Einsatz gekommen – zum Schutz einer Frau, deren Ex-Mann eine Haftstrafe verbüßt hat.
3,8 %
mehr Opfer von Häuslicher Gewalt im Jahr 2024. Insgesamt waren es 265.942 registrierte Fälle.
70 %
der Betroffenen waren Frauen nach Angaben des Bundeslagebilds.
64 %
der Opfer waren von Partnerschaftsgewalt betroffen.
Als das Polizeigesetz in Schleswig-Holstein geändert werden sollte, um den Einsatz der elektronischen Fußfessel in Fällen häuslicher Gewalt zu ermöglichen, wurden Fachleute dazu gehört. Stefanie Grünewald, Professorin für Öffentliches Recht an der Akademie der Polizei Hamburg, betonte, dass bereits die Verhinderung weniger Delikte durch die spanische Fußfessel ein großer Erfolg wäre. Denn es geht bei diesen Hochrisikofällen um Tötungsdelikte und schwere Körperverletzungen.
In Schleswig-Holstein wird die Fußfessel seit Sommer eingesetzt
Aus Sicht des Landesverbandes Frauenberatung Schleswig-Holstein (LFSH) ein Fortschritt: „Eine Gewaltschutzanordnung auf dem Papier hat noch keinen Mörder gestoppt. Die elektronische Aufenthaltsüberwachung aber schon“, sagte LFSH-Geschäftsführerin Katharina Wulf dem WEISSER RING Magazin. „Der Schutz muss endlich de facto von der Polizei organisiert werden und nicht mehr von den Frauen selbst.“ Dass die elektronische Aufenthaltsüberwachung nun auch eine Option im Gewaltschutzgesetz ist, sei wichtig. „Die Meldung und der Beweis von Übertretungen von Schutzanordnungen liegen bei den Frauen. Das sie nun technisch generierte Beweise vorlegen können, wird sie und auch die Gerichte sehr entlasten.“
Das Bundesjustizministerium rechnet beim aktuellen Gesetzentwurf mit 160 Fußfessel-Fällen pro Jahr. In Spanien kam die Überwachung seit 2009 in 13.000 Hochrisikofällen zum Einsatz. Um auch in Deutschland mehr davon zu erfassen und eine größere Zahl an Gewaltbetroffenen zu schützen, macht sich der WEISSE RING dafür stark (siehe Transparenzhinweis), die Fußfessel auch als strafrechtliche Sanktion von Strafgerichten zu ermöglichen.
Im Sommer 2025 verurteilte das Landgericht Stendal einen 29-Jährigen wegen Totschlags und Körperverletzung zu 13 Jahren Haft. Das Opfer: seine 20-jährige Ex-Freundin Anna-Lena M. Der Mann hatte sie am 13. November 2024 mit einer Axt bedroht und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt. Das Amtsgericht Burg untersagte ihm nach dem Gewaltschutzgesetz, sich ihr bis zum 3. Juni 2025 zu nähern.
Das Problem: Bei einem Verstoß gegen die Gewaltschutzanordnung muss das Opfer die Polizei informieren, um die Anordnung durchsetzen zu lassen. Dies bedeutet, dass der Täter sich meist schon in der Nähe des Opfers aufhält. Mit dem neuen Gesetz soll sich das ändern: „Bei einem Alarm über die elektronische Aufenthaltsüberwachung
wird bereits frühzeitig erkannt werden können, wie nah der Täter dem Opfer gekommen ist. Hier können dann frühzeitig Maßnahmen ergriffen werden, um die Schutzanordnung durchzusetzen und das Opfer zu schützen.“
Für Anna-Lena M. kommt das Gesetz zu spät. Am 30. Januar 2025 verschaffte sich der Täter Zutritt zur Wohnung von Anna-Lena M. und tötete sie mit einem Küchenmesser.
Transparenzhinweis:
In der Stellungnahme des WEISSEN RINGS zum Gesetzentwurf heißt es, die Aufenthaltsüberwachung nach spanischem Modell im Gewaltschutzgesetz zu verankern, sei ein klarer Fortschritt. Für einen wirksamen Schutz von Betroffenen seien allerdings „weitere Maßnahmen, die wir fordern, unverzichtbar – vor allem die Möglichkeit, die elektronische Fußfessel als strafrechtliche Sanktion anzuordnen“.
Das familienrechtliche Gewaltschutzverfahren sei nur in seltenen Fällen geeignet, die gravierenden Voraussetzungen der Aufenthaltsüberwachung festzustellen. Die Befristung auf sechs Monate mit einer Möglichkeit um drei Monate zu verlängern, werde der Gefahrenkonstellation in vielen Fällen nicht gerecht.
„Die Praxis zeigt auch, dass die Familiengerichte bei Zuwiderhandlungen zwar eine erneute Gewaltschutzanordnung erlassen, aber so gut wie nie eine Anzeige gemäß § 4 Gewaltschutzgesetz bei der Staatsanwaltschaft erstatten. Falls das Opfer eine solche Anzeige erstattet, wird das Verfahren in den allermeisten Fällen mangels hinreichender Faktenbasis von der Staatsanwaltschaft eingestellt.“
Deshalb sei es geboten, die Anordnung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung im Zusammenhang mit strafrechtlichen Sanktionen für Strafgerichte zu ermöglichen. Diese sind auch für die Ahndung von Verstößen gegen das Gewaltschutzgesetz zuständig und sollten die Fessel auch bei
bereits begangenen Gewaltdelikten anordnen können.