Gewaltschutz durch Fußfessel: „Wir brauchen möglichst schnell eine wirksame Lösung“

Erstellt am: Donnerstag, 2. Oktober 2025 von Gregor
Zwei elektronische Fußfesseln liegen auf einem braunen Boden. Fußfessel nach spanischem Modell

Die elektronische Fußfessel soll künftig mehr zum Einsatz kommen. Foto: Christoph Klemp

Datum: 02.10.2025

Gewaltschutz durch Fußfessel: „Wir brauchen möglichst schnell eine wirksame Lösung“

Für das geplante neue Gewaltschutzgesetz gibt es inzwischen einen Referentenentwurf. Fachorganisationen, darunter der WEISSE RING, haben während einer Anhörung des Justizministeriums Lob und Kritik geäußert.

Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) will das Gewaltschutzgesetz ändern und unter anderem bundesweit die Möglichkeit schaffen, Täter zum Tragen elektronischer Fußfesseln nach dem „spanischen Modell“ zu verpflichten.

Dafür setzt sich der WEISSE RING seit etwa zehn Jahren auf Bundes- und Landesebene ein, etwa mit Brandbriefen an die Bundesregierung und einer Petition. Die Redaktion des WEISSER RING Magazins hat in einer Langzeitrecherche untersucht, wie der Staat Menschen besser vor häuslicher Gewalt schützen könnte und wie erfolgreich die elektronische Fußfessel in Spanien ist.

Seit Sommer liegt ein Referentenentwurf aus Hubigs Ministerium vor, der in Hochrisikofällen die elektronische Aufenthaltsüberwachung im „Zwei-Komponenten-Modell“ vorsieht: Dabei kann die Fußfessel des Täters mit einer GPS-Einheit kommunizieren, die das Opfer bei sich trägt. Sie löst einen Alarm aus, falls sich der Überwachte und die Betroffene einander nähern. Die Sperrzonen sind nicht fest, sondern dynamisch.

Höhere Freiheitsstrafen

Darüber hinaus können Familiengerichte laut dem Gesetzentwurf „soziale Trainingskurse“ anordnen. Der Strafrahmen für Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz erhöht sich bei Freiheitsstrafen von zwei auf drei Jahre. Zudem dürfen die Gerichte in Gewaltschutz- und Kindschaftsverfahren Auskünfte aus dem Waffenregister einholen.

Fachorganisationen – zum Beispiel das Deutsche Institut für Menschenrechte, der Deutsche Frauenrat, die Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt und der WEISSE RING – sind an dem Verfahren für das neue Gesetz beteiligt; sie konnten zu dem Entwurf schriftlich Stellung nehmen und sich Anfang dieser Woche während einer Online-Anhörung noch einmal äußern. Viele Rednerinnen und Redner sahen Fortschritte in dem Entwurf und lobten den Ansatz, den Gewaltschutz auf Bundesebene auszuweiten, gaben aber auch kritische Hinweise.

Fallkonferenzen gefordert

Claudia Igney vom Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) forderte Fallkonferenzen, um Fälle mit hohem Risiko erkennen zu können. Die notwendige Täterarbeit sollte im Gesetz klarer formuliert sein, nicht nur als Option. Igney sprach sich zudem für eine statistische Erfassung und Qualitätskontrolle der Maßnahmen zum Gewaltschutz aus. Und nicht zuletzt, so Igney, müsse der Schutz aller Betroffenen sichergestellt werden, auch von Frauen in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung.

Carolin Weyand von UN Women Deutschland bewertete das Gesetzesvorhaben grundsätzlich positiv, einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung müsse aber ein von der Gefährdeten gestellter Antrag vorausgehen. Auch brauche es unbedingt eine „ressortübergreifende Gesamtstrategie“ beim Gewaltschutz sowie flächendeckende Beratungs- und Schutzangebote, die mit dem Gesetz verknüpft werden müssten. Nur dann könne es richtig wirken.

Fußfessel als strafrechtliche Sanktion

Eike Eberle, Geschäftsleiter Öffentliches Eintreten und Justiziar des WEISSEN RINGS, sagte: „Eine bundesweite Regelung für eine Fußfessel bei häuslicher Gewalt ist schon seit dem Jahr 2016 eine offizielle Forderung des WEISSEN RINGS, die seitdem ständig von uns verfolgt wird.“ Der WEISSE RING begrüße die aktuelle Gesetzesinitiative ausdrücklich. Eine ganze Reihe von Vorschlägen zur Verbesserung des Gesetzes seien sinnvoll. Wichtig sei aber, möglichst schnell zu einer wirksamen Lösung zu kommen. Eberle rief in Erinnerung, dass an fast jedem Tag ein (Ex-)Partner versucht, eine Frau zu töten, und dies an etwa jedem dritten Tag auch gelingt. „Jeder weitere Tag ohne eine Regelung ist nicht zu rechtfertigen.“ Es sei zu überlegen, ob die vorgeschlagenen weiteren Maßnahmen in einem zweiten „Paket“ nachgeschoben werden sollten, wenn sie das Verfahren stark verzögern. Die Verbesserungen müssten jedoch in absehbarer Zeit erfolgen, das Thema dürfe keinesfalls als „einstweilen erledigt“ gelten und von der politischen Agenda verschwinden.

Eberle verwies auf die Stellungnahme des WEISSEN RINGS. Darin heißt es unter anderem, die elektronische Aufenthaltsüberwachung nach spanischem Modell im Gewaltschutzgesetz zu verankern, wäre ein Fortschritt. Für einen wirksamen Schutz von Betroffenen seien allerdings „weitere Maßnahmen, die wir fordern, unverzichtbar – vor allem die Möglichkeit, die elektronische Fußfessel als strafrechtliche Sanktion anzuordnen“. Das familienrechtliche Gewaltschutzverfahren sei nur in seltenen Fällen geeignet, die gravierenden Voraussetzungen der Aufenthaltsüberwachung festzustellen. Die Befristung auf sechs Monate mit einer Möglichkeit, um drei Monate zu verlängern, werde der Gefahrenkonstellation in vielen Fällen nicht gerecht. „Die Praxis zeigt auch, dass die Familiengerichte bei Zuwiderhandlungen zwar eine erneute Gewaltschutzanordnung erlassen, aber so gut wie nie eine Anzeige gemäß § 4 GewSchG bei der Staatsanwaltschaft erstatten“, ergänzte Eberle.

Gesetz könnte Ende 2026 in Kraft treten

Nach eigenen Angaben wertet das Bundesjustizministerium jetzt die Hinweise der Organisationen aus, zum Beispiel zur Risikoanalyse, und prüft, ob und inwieweit sie die Vorschläge in den Referentenentwurf aufnimmt. Der Entwurf der Regierung soll in diesem Herbst oder Winter im Kabinett beraten werden, das parlamentarische Verfahren im Frühjahr oder Sommer des kommenden Jahres beendet sein und das neue Gesetz bis Ende 2026 in Kraft treten. So lautet jedenfalls der Plan.

In ihrem Koalitionsvertrag hatten Union und SPD bereits angekündigt: „Wir verschärfen den Tatbestand der Nachstellung und den Strafrahmen für Zuwiderhandlungen nach dem Gewaltschutzgesetz und schaffen bundeseinheitliche Rechtsgrundlagen im Gewaltschutzgesetz für die gerichtliche Anordnung der elektronischen Fußfessel nach dem sogenannten Spanischen Modell und für verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings für Täter.“

Nach der Einführung der Fußfessel in Spanien wurde dort keine Frau, die damit geschützt wurde, getötet. Insgesamt sank die Zahl der getöteten Frauen um 25 Prozent.

Fallzahlen steigen

Häusliche Gewalt nimmt zu. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel, dem bevölkerungsreichsten Bundesland, wurden im vergangenen Jahr 61.406 Taten erfasst – ein Plus von zwei Prozent gegenüber dem Vorjahr. Laut dem Lagebild der Polizei waren mehr als 66.000 Menschen Opfer von Gewalt in ihrem häuslichen Umfeld. Bei gut 70 Prozent der Fälle waren die Opfer weiblich, bei 30 Prozent männlich. Den Angaben zufolge wurden 32 Menschen durch ihre Partner oder Ex-Partner getötet, 29 davon waren Frauen.

Einige Bundesländer setzen die neue Variante der Aufenthaltsüberwachung schon ein, darunter Sachsen, Schleswig-Holstein und Hessen, das die Fußfessel zuletzt in neun Fällen im Einsatz hatte. Versuchte Übergriffe auf Opfer seien bislang nicht bekannt.

Hilfe für Missbrauchsopfer: „Der Fonds muss endlich gesetzlich verankert werden“

Erstellt am: Dienstag, 30. September 2025 von Gregor
Kerstin Claus engagiert sich seit vielen Jahren für Menschen, die von Missbrauch betroffen sind. Foto: Christoph Soeder

Kerstin Claus engagiert sich seit vielen Jahren für Menschen, die von Missbrauch betroffen sind. Foto: Christoph Soeder

Datum: 30.09.2025

Hilfe für Missbrauchsopfer: „Der Fonds muss endlich gesetzlich verankert werden“

Die Unabhängige Bundesbeauftragte gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, Kerstin Claus, fordert in einem Gastkommentar im WEISSER RING Magazin die Politik auf, das endgültige Aus des Fonds Sexueller Missbrauch zu verhindern.

Nach dem Ende des Fonds Sexueller Missbrauch hat die Unabhängige Bundesbeauftragte gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, Kerstin Claus, den Bundestag in die Pflicht genommen, zeitnah für Ersatz zu sorgen. In einem Gastkommentar für das WEISSER RING Magazin schreibt Claus: „Selten gelingt es der Politik, so etwas wie nachholende Gerechtigkeit zu schaffen. Der Fonds Sexueller Missbrauch war eine solche Erfolgsgeschichte. Jetzt ist es an den Abgeordneten, das endgültige Aus dieses niedrigschwelligen Hilfesystems zu verhindern. Er hat Belastungen im Alltag verringert und Perspektiven möglich gemacht, wo vergangene Gewalt oft das Leben prägt.“

Rückwirkender Stopp

Darüber hinaus kritisiert Kerstin Claus, es sei ein „verheerendes Signal“ für Betroffene gewesen, als die Ampelregierung im vergangenen Jahr „stillschweigend“ das Aus des Fonds zum 31. August 2025 beschlossen und die aktuelle Bundesregierung später sogar einen rückwirkenden Antragsstopp ab dem 19. März zugelassen habe. „Das ist ein Akt der Entsolidarisierung. Eine Regierung, die sich dem Schutz von Kindern und Jugendlichen verschreibt, darf so nicht handeln“, so Claus. „All dies jetzt preiszugeben – nur weil eine Bundesregierung nach der anderen daran scheitert, dieses Hilfesystem verlässlich finanziell und strukturell abzusichern –, ist ein Armutszeugnis.“

Die Bemühungen der früheren Familienministerin Lisa Paus (Grüne), den Fonds über das neue „Gesetz zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“ abzusichern, seien kraftlos gewesen. Das Veto der FDP habe Paus stillschweigend akzeptiert und öffentliche Debatten vermieden. Ihre Nachfolgerin Karin Prien (CDU) habe zwar eine gesetzliche Verankerung des Hilfesystems gefordert, jedoch keinen konkreten Vorschlag eingebracht.

Jetzt liege die Verantwortung beim Bundestag und damit bei den Abgeordneten. Claus fordert: „Ab 2026 müssen die nötigen Mittel dauerhaft gesichert und perspektivisch der Fonds endlich gesetzlich verankert werden. Denn: Sexualisierte Gewalt ist ein Verbrechen mit lebenslangen Folgen. Wer das ignoriert, riskiert, dass Betroffene erneut verstummen.“

Ministerium prüft Ersatz

Ob und welchen Ersatz es für den Fonds gibt, ist weiter ungewiss. Auf Anfrage des WEISSER RING Magazins teilte das Bundesfamilienministerium mit, es setze sich dafür ein, dass Betroffene auch künftig wirksame Hilfen erhalten. Dies hatten Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart. Die „Möglichkeiten der Umsetzung“ würden weiterhin geprüft, sagte eine Sprecherin des Ministeriums von Karin Prien (CDU), die sich unter anderem mit dem Betroffenenrat austausche. Der Prozess werde noch „einige Zeit in Anspruch nehmen“, damit die Lösung den Vorgaben des Bundesrechnungshofs entspreche.

Der Fonds, der zum Ergänzenden Hilfesystem gehörte, war im Sommer – rückwirkend zum 19. März – eingestellt worden. Der WEISSE RING und weitere Fachorganisationen kritisierten das Ende des Fonds. Dieser konnte einspringen, wenn Behandlungen, etwa Physio- oder Ergotherapie, oder andere Leistungen nicht von Kranken- und Pflegekassen oder dem Sozialen Entschädigungsrecht abgedeckt werden. Nach jüngsten Angaben des zuständigen Bundesfamilienministeriums wurden bislang etwa 165,2 Millionen Euro ausgezahlt.

 

Der Kommentar

Erstellt am: Mittwoch, 24. September 2025 von Selina

Der Kommentar

„Sexualisierte Gewalt ist ein Verbrechen mit lebenslangen Folgen. Wer das ignoriert, riskiert, dass Betroffene erneut verstummen.“

Kerstin Claus

Kerstin Claus ist Unabhängige Bundesbeauftragte gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Die Journalistin und Systemische Organisationsberaterin engagiert sich seit vielen Jahren hauptund ehrenamtlich gegen sexualisierte Gewalt.

Selten gelingt es der Politik, so etwas wie nachholende Gerechtigkeit zu schaffen. Der Fonds Sexueller Missbrauch war eine solche Erfolgsgeschichte. Jetzt ist es an den Abgeordneten, das endgültige Aus dieses niedrigschwelligen Hilfesystems zu verhindern.

Seit 2013 ermöglicht der Fonds Betroffenen, die in Kindheit und Jugend sexualisierte Gewalt erlebt haben, unkompliziert Sachleistungen. Er hat Belastungen im Alltag verringert und Perspektiven möglich gemacht, wo vergangene Gewalt oft das Leben prägt. Damit war er ein starkes Zeichen staatlicher Verantwortungsübernahme und letztlich auch Anerkennung, auch das elementar für Betroffene.

Deswegen war es ein verheerendes Signal für Betroffene, als die Ampelregierung letztes Jahr stillschweigend das Aus des Fonds Sexueller Missbrauch zum 31. August 2025 beschloss. Doch selbst dieses knappe Zeitfenster kippte die aktuelle Bundesregierung mit einem rückwirkenden Antragsstopp ab dem 19. März. Selbst bereits eingereichte Anträge bleiben unbearbeitet. Das ist ein Akt der Entsolidarisierung. Eine Regierung, die sich dem Schutz von Kindern und Jugendlichen verschreibt, darf so nicht handeln.

Sexualisierte Gewalt zerstört Biografien. Viele Betroffene ringen ein Leben lang mit den Folgen: Schulabbrüche, psychische Erkrankungen, zerbrechende Beziehungen. Der Fonds Sexueller Missbrauch war für viele die einzige Option auf niedrigschwellige Hilfe. Hilfe, wo das staatliche Entschädigungsrecht versagt. Denn trotz Reform 2019 bleiben die Hürden dort unerreichbar hoch: Weil Zeugen fehlen, Taten nicht belegt oder gesundheitliche Schäden nicht nachgewiesen werden können.

Der Fonds Sexueller Missbrauch war 2013 eine gute Antwort auf diese Leerstelle. Und er hat funktioniert für die Betroffenen. Hilfe und Unterstützung wurden möglich. All dies jetzt preiszugeben – nur weil eine Bundesregierung nach der anderen daran scheitert, dieses Hilfesystem verlässlich finanziell und strukturell abzusichern –, ist ein Armutszeugnis.

Hilfesystem muss gesetzlich verankert werden

Kraftlos waren die Bemühungen der früheren Familienministerin Lisa Paus (Grüne), den Fonds über das neue „Gesetz zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“ abzusichern. Das Veto der FDP akzeptierte sie stillschweigend, vermied jede öffentliche Debatte. Ihre Nachfolgerin Karin Prien (CDU) forderte zwar unlängst eine gesetzliche Verankerung des Hilfesystems, ohne aber einen konkreten Vorschlag einzubringen. Und auch im Haushalt 2026 sind die nötigen Mittel bisher nicht hinterlegt.

Jetzt liegt die Verantwortung beim Bundestag und damit bei den Abgeordneten: Ab 2026 müssen die nötigen Mittel dauerhaft gesichert und perspektivisch der Fonds endlich gesetzlich verankert werden. Denn: Sexualisierte Gewalt ist ein Verbrechen mit lebenslangen Folgen. Wer das ignoriert, riskiert, dass Betroffene erneut verstummen. Nachholende Gerechtigkeit bedeutet: zuhören, unterstützen, handeln. Nur so erfahren Betroffene nachträglich ein Stück Gerechtigkeit – spät, aber eben nicht zu spät.

Gesetzentwurf ruft elektronische Fußfessel auf den Plan

Erstellt am: Donnerstag, 28. August 2025 von Selina
Zwei elektronische Fußfesseln liegen auf einem braunen Boden. Fußfessel nach spanischem Modell

Die elektronische Fußfessel soll künftig mehr zum Einsatz kommen. Foto: Christoph Klemp

Datum: 28.08.2025

Gesetzentwurf ruft elektronische Fußfessel auf den Plan

Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) hat einen Gesetzentwurf vorgestellt, um besser gegen häusliche Gewalt vorzugehen. Geplant ist unter anderem, die elektronischen Fußfessel nach spanischem Vorbild einzuführen.

Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) will den Schutz vor häuslicher Gewalt stärken. Kernstück ihres Gesetzentwurfes ist die bundesweite Möglichkeit für Familiengerichte, in „Hochrisikofällen“ den Einsatz einer elektronischen Fußfessel anzuordnen. Diese soll Täter überwachen, bei denen die Gefahr besteht, dass sie gegen eine Gewaltschutzanordnung verstoßen und das Opfer erneut angreifen.

Das System basiert auf dem spanischen Modell: Täter und Opfer werden überwacht. Nähren sie sich einander, löst das System automatisch Alarm aus. Die Koordinierungsstelle im jeweiligen Bundesland wird sofort informiert und kann Polizei, Täter und Betroffene verständigen. Auf Wunsch erhält die betroffene Person zusätzlich eine Warnung über ein Empfangsgerät. So die Pläne des Justizministeriums.

Hessen zieht erste Bilanz

In Hessen ist die „spanische Fußfessel“ bereits seit Anfang des Jahres im Einsatz. Dort zieht die Landesregierung eine positive Bilanz: Es sei zu keinem Übergriff von Fußfessel-Trägern auf Betroffene gekommen. Bei Meldungen an die Überwachungsstelle sei eine schnelle Reaktion möglich gewesen. Die sogenannte elektronische Aufenthaltsüberwachung wurde den Angaben zufolge bislang in neun Fällen eingesetzt.

Der hessische Justizminister Christian Heinz (CDU) befürwortet den Gesetzentwurf: „Wir begrüßen es sehr, dass die Bundesregierung einen Referentenentwurf zum Gewaltschutzgesetz erarbeitet, der weitreichende Änderungen zugunsten des Schutzes von Frauen beinhalten soll.“

Die Bundesregierung berät derzeit über den Vorschlag, Länder und Verbände können bis zum 19. September Stellung nehmen.

Der WEISSE RING kämpft schon länger für den Einsatz der elektronischen Fußfessel. Bundesgeschäftsführerin Bianca Biwer sagt: „Wir fordern die schnellstmögliche bundesweite Anwendung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung für Täter, die bereits gegen Maßnahmen des Gewaltschutzgesetzes verstoßen haben. Wir unterstützen damit das Gesetzgebungsvorhaben der Justizministerin und des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz.“ Bislang, so Biwer, schränkten bedrohte Frauen ihren eigenen Bewegungsradius ein – aus Angst vor dem Täter. „Die elektronische Aufenthaltsüberwachung schränkt die Bewegungsfreiheit des Täters ein – aus Angst vor angemessener Strafverfolgung.“

Die Zahl der Opfer häuslicher Gewalt ist 2024 bundesweit gestiegen. Nach einem Bericht der Welt am Sonntag registrierten die Behörden rund 266.000 Fälle, vier Prozent mehr als im Vorjahr. Zwei Drittel der Betroffenen sind Frauen.

Nach Aus für Missbrauchsfonds: „Stille und Entsetzen“ bei den Betroffenen

Erstellt am: Freitag, 11. Juli 2025 von Gregor
Viele Opfer haben sich vergeblich überwunden und einen Antrag auf Unterstützung gestellt. Foto: dpa

Viele Opfer haben sich vergeblich überwunden und einen Antrag auf Unterstützung gestellt. Foto: dpa

Datum: 11.07.2025

Nach Aus für Missbrauchsfonds: „Stille und Entsetzen“ bei den Betroffenen

Der rückwirkende Antragsstopp beim Fonds Sexueller Missbrauch hat bei Opfern und Beratenden Empörung ausgelöst.

Sabrina Lange* wurde mehrfach missbraucht und ist dadurch schwer traumatisiert. So schwer, dass sie unter anderem an Krampfanfällen leidet. Um ihren Alltag zu erleichtern und ihrer Belastungsstörung besser entgegenwirken zu können, wollte sie ihren dafür gut geeigneten Hund zum Assistenzhund ausbilden lassen. Sie hoffte dabei auf eine Finanzierung durch den Fonds Sexueller Missbrauch (FSM). Zusammen mit Ingeborg Altvater, die ehrenamtlich für den WEISSEN RING arbeitet, hatte sie in den vergangenen Wochen einen Antrag vorbereitet, gewissenhaft Informationen gesammelt und Formulare ausgefüllt.

Vor wenigen Tagen, kurz vor dem Fertigstellen des Antrags, rief Altvater Sabrina Lange an, um ihr eine schlechte Nachricht zu überbringen: Der Fonds wird zumindest vorerst kein Geld mehr auszahlen. Als Lange das hörte, schwieg sie. Nach einer langen Pause fragte sie: „Was mache ich jetzt?“ Altvater konnte ihr keine zufriedenstellende Antwort geben. Denn einen Assistenzhund etwa über das Soziale Entschädigungsrecht zu finanzieren, ist nur schwer möglich, und wenn, dann dauert es jahrelang.

Nach dem Stopp beim Fonds – rückwirkend zum 19. März – hat Altvater wiederholt Reaktionen wie die von Sabrina Lange erlebt, wie sie im Gespräch mit dem WEISSER RING Magazin erzählt. Sie berät zum Ergänzenden Hilfesystem (EHS), dessen Teil der Fonds ist, und begleitete Opfer hierbei in mehr als 100 Fällen. Altvater bezeichnet die aktuelle Entwicklung als „Katastrophe“. Dass sie die Betroffenen nach und nach anrufen und informieren musste, habe ihr „in der Seele wehgetan“. Am anderen Ende der Leitung habe „Stille und Entsetzen“ geherrscht. Alleine in Hessen, wo die ehrenamtliche Mitarbeiterin im Einsatz ist, hätten in acht bis zehn Fällen Beratungstermine kurzfristig abgesagt werden müssen. Und dass, obwohl bei denen der Antrag fast fertig gewesen sei. Andere Verfahren – bei denen die Betroffenen teils weite Wege und die erneute Konfrontation mit dem Missbrauch auf sich genommen hätten – liefen schon und nach jetzigem Stand vergeblich.

Fonds ist wichtige niedrigschwellige Hilfe

Die Sprachlosigkeit sei für einen Teil der Missbrauchsopfer typisch, sie gehörten zu den Schwerstbetroffenen, fühlten sich wehrlos und könnten nur schwer ihre Stimme erheben, um sich für ihre Belange einzusetzen. Umso schlimmer sei der Umgang mit ihnen – zumal es nicht um Milliardensummen gehe, kritisiert Altvater.

Vor zwei Wochen hatte die Geschäftsstelle des FSM auf ihrer Webseite mitgeteilt, dass sie Erstanträge, die ab dem 19. März dieses Jahres eingegangen sind, voraussichtlich nicht mehr annehmen könne. Die Mittel im Bundeshaushalt reichten nicht, hieß es.

Der Fonds ist für viele Betroffene eine niedrigschwellige Unterstützung, auf die sie nicht verzichten können. Er kann einspringen, wenn Behandlungen, etwa Physio- oder Ergotherapie, oder andere Leistungen nicht von Kranken- und Pflegekassen oder dem Sozialen Entschädigungsrecht abgedeckt werden. Nach Angaben des zuständigen Bundesfamilienministeriums haben bislang 36.000 Betroffene einen Antrag gestellt, ausgezahlt wurden 165,2 Millionen Euro.

Ministerin Prien kündigt an, sich für mehr Geld einzusetzen

Ministerin Karin Prien (CDU) kündigte an, sie werde sich im Bundestag für zusätzliche Haushaltsmittel für Opfer von Kindesmissbrauch engagieren und das System neu aufstellen. Doch ob und wann die Reform kommt, und wie viel Geld dafür zur Verfügung steht, ist ungewiss.

Bereits im Frühjahr war bekanntgeworden, dass der Fonds auslaufen soll. Das damals von Lisa Paus (Grüne) geführte Familienministerium führte haushaltsrechtliche Bedenken des Bundesrechnungshofes als Grund an und sah die künftige Regierung in der Pflicht, für Ersatz zu sorgen. In seinem Koalitionsvertrag versicherten Union und SPD zwar: „Den Fonds sexueller Missbrauch und das damit verbundene Ergänzende Hilfesystem führen wir unter Beteiligung des Betroffenenrats fort.“ Aber es kam anders.

Nach dem angekündigten Auslaufen des Fonds im März rief Ingeborg Altvater Betroffene, die bereits erste Kontakte wegen einer Antragstellung zu ihr aufgenommen hatten, an und klärte sie darüber auf. Daraufhin wurden einige von ihnen aktiv und stellten noch einen Antrag. Manche machten sich nun den Vorwurf, sie hätten zu lange gewartet. Zu Unrecht, sagt Altvater. Sie könnten nichts für den Stopp, der auch noch rückwirkend erfolgt sei. Manche Opfer kämpften jahrzehntelang mit den Folgen des Missbrauchs, sie bräuchten viel Kraft und Zeit, um sich zu einem Antrag auf Unterstützung durchzuringen.

Schlag ins Gesicht für traumatisierte Menschen

Susanne Seßler, die sich für den WEISSEN RING vor allem in Südbayern als EHS-Beraterin engagiert, macht derzeit ähnliche Erfahrungen wie Altvater und spricht von einem Schlag ins Gesicht. „Erschüttert“ seien die Betroffenen. Sie hätten sich überwunden und würden nun wieder „hinten herunterfallen“, was bei traumatisierten Menschen besonders schlimm sei. „Manche sagen bitter enttäuscht: ,Sehen Sie, ich wusste, dass ich nichts bekomme‘“, berichtet Seßler. In den vergangenen Monaten habe sie zusammen mit Betroffenen knapp 20 Anträge fertiggestellt, etwa fünf weitere seien geprüft und noch mehr vorbereitet worden.

Dass das Geld nicht reiche, kann Seßler nicht nachvollziehen: Zum einen hätten die Verantwortlichen nach ihrer Mitteilung im März damit rechnen müssen, dass aufgrund der Befristung mehr Anträge kommen. Zum anderen lägen diese geschätzt im vierstelligen Bereich, so dass sich die Ausgaben bei einer Unterstützung von in der Regel 10.000 Euro in Grenzen hielten.

Zwei Frauen, die Seßler beriet, wurde eine Reittherapie genehmigt, die allerdings von der Therapeutin verschoben werden musste. „Was jetzt? Wird das Geld noch ausgezahlt?“, fragen sich die Betroffenen.

Neuer Missbrauchsfonds gefordert

Seßler fordert, kurzfristig die entstandenen Lücken mit zusätzlichem Geld zu schließen und mittelfristig einen neuen Fonds aufzusetzen. Das neue Soziale Entschädigungsrecht, das seit 2024 gilt, sei nicht umfassend genug, um die „wichtigen Komplementärtherapien“ abzudecken.

Der WEISSE RING und vier weitere Fachorganisationen – die Deutsche Gesellschaft für Prävention und Intervention bei Kindesmisshandlung, der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe, die Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend sowie der Bundesarbeitsgemeinschaft Feministischer Organisationen gegen Sexuelle Gewalt an Mädchen und Frauen – haben den Stopp kürzlich in einer gemeinsamen Erklärung scharf kritisiert. Sie forderten, die Hilfen zu erhalten und das dafür nötige Geld im Etat des Bundes bereitzustellen.

Auch Ingeborg Altvater hofft noch. Sie hat die Opfer gebeten, ihre Unterlagen aufzuheben.

*Name geändert

 

 

Der Kommentar

Erstellt am: Montag, 30. Juni 2025 von Sabine

Der Kommentar

Frauen sind in Deutschland mittlerweile gleichberechtigt – so denken viele. Aber frauenfeindliche Strukturen spüren gewaltbetroffene Frauen ganz besonders.

Julia Cruschwitz über Häusliche Gewalt

Verurteilungen für Taten häuslicher Gewalt sind selten. Und wenn, dann nur milde. Der Großteil der Verfahren wird eingestellt, selbst bei schweren Verletzungen. Aus Mangel an Beweisen, weil Aussage gegen Aussage steht – in dubio pro reo. Verfahren dauern Jahre, der Ermittlungseifer hält sich in Grenzen. In keinem Fall, den ich betrachtet habe, gab es eine ordentliche Spurensicherung, weder bei der verletzten Frau noch beim mutmaßlichen Täter. Betroffene sagen: Hätte ein Unbekannter mich angegriffen, wäre der Fall ganz anders behandelt worden. Wenn ein Mann seine Partnerin krankenhausreif schlägt, ist das in Deutschland häufig Privatsache. Der Täter fühlt sich im Recht und macht weiter. Im schlimmsten Fall bis zum Femizid: 133 Frauen wurden 2024 von ihren (Ex-)Partnern getötet.

Für Frauen besteht in Deutschland das größte Armutsrisiko, wenn sie sich trennen. Frauen lösen sich nicht aus gewalttätigen Beziehungen, weil sie vom Mann ökonomisch abhängig sind. Eine bezahlbare Wohnung zu finden, ist für eine mittellose Frau mit Kindern meist unmöglich. In der Schweiz und in Spanien bekommen Betroffene, die ins Frauenhaus fliehen, Geld vom Staat, um sich ein neues Leben aufbauen zu können. In Deutschland müssen sie den Platz im Frauenhaus oft selbst bezahlen.

Und wenn die Frau es schafft, sich zu trennen, gibt es Familiengerichte, die urteilen: Der Mann darf regelmäßig Umgang mit seinen Kindern haben. Das sei sein Recht. Sie muss weiter mit dem Kindesvater Kontakt haben. Und ihre Bedenken, dass ein gewalttätiger Mann vielleicht auch kein guter Vater ist, werden häufig weggewischt oder ihr sogar negativ ausgelegt: Sie wolle ihren Ex-Partner nur schlechtmachen. Frauen bekommen vom Familiengericht zu hören: Er hat doch nur sie geschlagen, nicht die Kinder. Wo ist das Problem?

Auf den Schultern der gewaltbetroffenen Frau lastet viel: ins Frauenhaus flüchten, Gewaltschutzantrag stellen, Arbeit aufgeben oder anders organisieren, umziehen, hohe Anwaltskosten bezahlen, die Kinder und sich selbst stabilisieren. Der Mann spürt meist nur leichte Konsequenzen: ein Annäherungsverbot für sechs Monate, manchmal eine Geldstrafe. Auflagen zur Therapie, zur Täterarbeit sind selten. In Österreich ist es Pflicht für jeden Mann, der bei einem Polizeieinsatz häuslicher Gewalt auffällig wurde, zur Täter-Beratung zu gehen. In Deutschland wird der Täter oft nicht mal über Angebote informiert. Proaktive Kontaktaufnahme der Beratungsstellen wird häufig vom Datenschutz verhindert.

So ändert sich im Denken des Täters nichts: Die Frau ist schuld an der Gewalt. Sie hat mich provoziert, ausgenutzt. Diese Schuldumkehr ist typisch, Verantwortung für das eigene Handeln wird an das Gewaltopfer übertragen. Und das tun auch Gesellschaft und Behörden. Gewaltbetroffene hören oft: Warum hast du dich nicht getrennt? Du hast ihn dir doch ausgesucht! Warum warst du so renitent? So werden Taten relativiert, so wird die Schuld den Betroffenen zugewiesen.

Wir müssen gewaltausübenden Männern sehr deutlich machen: Dein Handeln ist falsch. Auf allen Ebenen: strafrechtlich, familienrechtlich und gesellschaftlich. Gewalt wird nicht toleriert. Punkt.

Transparenzhinweis:
Julia Cruschwitz ist preisgekrönte Investigativjournalistin und recherchiert vor allem für den Mitteldeutschen Rundfunk. Besonders intensiv beschäftigt sie sich mit dem Thema Gewalt gegen Frauen. Mit ihrer Kollegin Carolin Haentjes hat sie das Buch: „Femizide. Frauenmorde in Deutschland.“ veröffentlicht.

Wenn Liebe blind macht

Erstellt am: Montag, 23. Juni 2025 von Selina

Wenn Liebe blind macht

Ein Fan zu sein kann Trost spenden – aber auch dazu führen, dass man bei Gewalt und anderen Taten seines Idols wegsieht oder es sogar verteidigt, wie im Fall des mehrfach verurteilten Künstlers Chris Brown. Ein Blick auf ein opferschädigendes Phänomen.

Der Musiker Chris Brown wurde im Mai erneut verhaftet.

Der Musiker Chris Brown wurde im Mai erneut verhaftet. Fotos: chrisbrownofficial/Instagram, Collage: twotype design

Mitte Mai 2025: Der Musiker Chris Brown wird in Manchester von britischen Polizisten festgenommen. Er kommt wegen Verdachts auf schwere Körperverletzung in Untersuchungshaft. Brown soll 2023 in einem Londoner Club auf einen Musikproduzenten eingeprügelt haben. Viele Fans sind außer sich – aber nicht wegen der Vorwürfe gegen Brown, sondern weil sie Tickets für seine aktuelle Tournee gekauft haben. Social-Media-Plattformen wie TikTok oder Instagram sind voll von Videos, in denen Anhängerinnen und Anhänger bitten, Chris Brown freizulassen. Auch unter einem Instagram-Post der „Tagesschau“ über die Verhaftung finden sich viele Kommentare, die die Vorwürfe ausblenden, etwa: „Die Tour wird sicherlich verschoben, und dann gehe ich eben nächstes Jahr.“

Fans kommentieren auf Browns Profil: „UK macht einen großen Fehler.“ Kritische Stimmen? Vor allem außerhalb seiner Fangemeinde, und sie werden sofort von einer Hasswelle seiner Gefolgschaft überrollt. Nach Zahlung einer Millionen-Kaution kommt der Musiker Ende Mai schließlich wieder frei. Ende Juni sowie Mitte Juli plädierte er vor Gericht auf nicht schuldig. Die Hauptverhandlung soll am 26. Oktober beginnen.

Chris Brown fällt seit Jahren immer wieder mit gewalttätigem Verhalten auf: 2009 verprügelte er seine Ex-Freundin Rihanna und bekannte sich vor Gericht schuldig, 2013 griff er einen Fan körperlich an und bekannte sich erneut für schuldig. 2017 bis 2022 durfte er sich laut Gerichtsurteil seiner Ex-Freundin Karrueche Tran nicht mehr nähern. Chris Brown sah sich in dem Fall als Opfer von Verleumdung. 2019 wurde er in Paris vorübergehend festgenommen, wegen Vergewaltigungsvorwürfen. Bis heute gab es aber keine Anklage und Brown dementierte die Vorwürfe und reichte eine Verleumdungsklage ein. Und 2022 kam es zu einer zivilrechtlichen Klage wegen sexueller Nötigung und Missbrauch, er soll eine Frau auf einer Yacht des Musikers Sean Combs (P. Diddy) vergewaltigt haben. Der Richter ließ die Anklage fallen, wegen fehlenden Beweisen.

Das waren nur einige von vielen Kontroversen. Seine Konzerte sind trotz allem weiterhin ausverkauft.

Gesteigerter Selbstwert durch Idol-Liebe

Chris Brown erfährt trotz den vielen Straftaten viel Unterstützung von seinen Fans. Auf dem Foto ist eine Menschenmenge auf einem Konzert, Konfetti fliegt durch die Luft.

Ausverkaufte Konzerte trotz Anzeige wegen Körperverletzung: Chris Brown war während seiner Tour auch in Deutschland. Foto: Pixabay, StockSnap

Die Gemeinschaft, die sich im Laufe von Browns Karriere um ihn entwickelt hat, ist groß. Im Internet schreiben viele, sie seien Teil von „Team Breezy“, benannt nach dem Spitznamen des Musikers. Sie nennen seine Musik „Therapie“ und zeigen auf Fotos stolz ihre Chris-Brown-Tattoos. An die Opfer wird dabei kaum gedacht. Manche kommentieren sinngemäß: „Er hat ja mich nicht geschlagen.“

Dieses Verhalten von Fans ist ein Phänomen, das immer wieder rund um Prominente auftaucht und sich „Promi-Anbetungssyndrom“ nennt. Florian Wedell ist Psychologe beim WEISSEN RING in Mainz und erklärt das teils extreme Verhalten von Fans so: „Es wird eine parasoziale Beziehung zu der prominenten Person aufgebaut, also eine Beziehung auf Distanz. Die Fans identifizieren sich durch einen Star oder eine Sportmannschaft und werten dadurch auch ihren Selbstwert auf.“

„Zum einen besteht ja eine emotionale Bindung zum Idol. Um diese zu schützen, wird die Verantwortung für die Tat dem Opfer zugeschrieben anstatt dem Täter.“

Psychologe Florian Wedell

Der Psychologe nennt drei mögliche Gründe für das fast schon kämpferische Verhalten von Fans auf Social Media: „Zum einen besteht ja eine emotionale Bindung zum Idol. Um diese zu schützen, wird die Verantwortung für die Tat dem Opfer zugeschrieben anstatt dem Täter.“ So bleibe der Star moralisch einwandfrei, und die emotionale Bindung könne erhalten bleiben.

Der zweite Aspekt sei, dass man sich durch die Identifikation und den gestiegenen Selbstwert bei einem Angriff auf sein Idol selbst angegriffen fühlt. „Und dann entsteht das Bedürfnis, sich selbst schützen zu müssen“, sagt Wedell.

Der dritte Aspekt sei die Attraktivität einer Person, das sogenannte „Pretty Privilege“. „Eine Person wie Chris Brown hat eine ansprechende Optik. Attraktiven Menschen werden weniger Straftaten oder moralisch verwerfliches Verhalten zugetraut. Und wenn die Person angegriffen wird, entsteht das Gefühl, dass die eigene Urteilsfähigkeit angezweifelt wird und etwas dagegen unternommen werden muss“, sagt Wedell.

Moralische Blindheit

Es entstehe eine moralische Blindheit. Das zeigen auch Untersuchungen. Eine Studie von 2020 („Consumer Response to Negative Celebrity Publicity“) untersucht im Zusammenhang mit Promi-Werbung, wie Konsumenten moralische Strategien anwenden, um mit negativem Verhalten von Idolen umzugehen. In der Online-Studie wurden 144 Teilnehmenden Vergehen von Prominenten mit hoher oder niedriger Schwere gezeigt und das von ihnen beworbene Produkt. Das Ergebnis: Je nach Identifizierung mit dem Star haben die Teilnehmenden das Verhalten gerechtfertigt oder die Leistung vom Verhalten getrennt, um ihren Konsum zu legitimieren.

Auch im Sport lassen sich diese Beobachtungen machen, wie eine US-Studie aus dem Jahr 2016 zum Umgang mit unmoralischem Verhalten von Sportstars („Coping With Athlete Endorsers’ Immoral Behavior“) zeigt. Die Studie untersucht, wie Fans mit dem Fehlverhalten von Spitzensportlern umgehen, zu denen sie eine starke emotionale Bindung aufgebaut haben. Die Forscher nutzten dafür einen damals aktuellen Skandal um den damaligen NFL-Spieler Ray Rice. Ein Überwachungsvideo zeigte, wie er seine Verlobte 2014 bewusstlos schlug. Rice wurde damals von seiner Mannschaft entlassen und von der NFL zeitweise gesperrt. Die Studie ergab: Emotionale Bindung von Fans verändert ihre moralische Bewertung von Fehlverhalten.

Bekannte deutsche Fälle

Einer der bekanntesten Fälle aus dem deutschen Sport ist jener des früheren Nationalspielers Jérôme Boateng. 2018 zeigte seine Ex-Partnerin den Fußballer wegen vorsätzlicher Körperverletzung an. Der Fall erstreckte sich über Jahre und endete 2024 in München mit einem Urteil: Das Gericht verhängte eine Geldstrafe von 200.000 Euro gegen Boateng, die er allerdings nur zahlen muss, wenn er innerhalb eines Jahres erneut straffällig wird – er ist damit nicht vorbestraft. Der Sportler dementierte die Vorwürfe und gab an, seine ehemalige Partnerin nicht geschlagen zu haben.

2019 gab es ein weiteres Verfahren wegen vorsätzlicher Körperverletzung an seiner Ex-Freundin Kasia Lenhardt. 2025 wurde das Verfahren wegen des Grundsatzes „im Zweifel für den Angeklagten“ eingestellt. Boatengs Anwälte haben auf Spiegel-Anfrage gesagt er habe sie „zu keinem Zeitpunkt körperlich angegriffen“. Lenhardt konnte vor Gericht nicht mehr aussagen, da sie sich 2021 das Leben genommen hat.

Jérôme Boateng war in dieser Zeit weiterhin als Fußballer aktiv und auf Social Media wurde er von seinen Fans verteidigt. Er spielte zwar nicht mehr für FC Bayern München, aber er bekam Verträge bei ausländischen Fußballvereinen.

Chris Brown oder Rammstein: Immer wieder wirft man Stars sexualisierte Gewalt vor.

Rammstein füllt viele Konzerthallen. Foto: Pixabay, Tashhhha

Boateng sieht sich offenbar selbst als Opfer, nämlich der Medien. Das lässt zumindest eine Aktion an Ostern vermuten: Auf einem Foto posiert er fröhlich neben Till Lindemann, dem Sänger der Band Rammstein. Auf dem Tisch vor ihnen liegt eine Zeitung mit der Überschrift: „Von Lindemann bis Boateng ‚Schuldig!‘“. Eine Anspielung auf die mediale Berichterstattung über Boateng, aber auch über Lindemann, dem mehrere Frauen vorgeworfen haben, sie zu sexuellen Handlungen gedrängt zu haben. Ermittlungen gegen den Sänger wurden 2023 wegen Mangels an Beweisen eingestellt. Till Lindemann als auch andere Bandmitglieder weisen alle Vorwürfe zurück. Die Band erfuhr in der Zeit viel Unterstützung von ihren Fans. Diese attackierten mutmaßliche betroffene Frauen und schrieben auf Social Media Kommentare wie: „Was erwarten die Frauen auch, wenn sie auf eine Party von Rammstein gehen? Die wollten das doch.“

Die Konzerte von Rammstein sind bis heute gut besucht. Gegenwind erfuhr Lindemann hauptsächlich von außerhalb. Da das Oster-Foto als Story auf Instagram gepostet wurde, war es nur 24 Stunden öffentlich sichtbar – etwa genauso lange hielt auch die Empörung darüber an. Diese kam vor allem von Menschen außerhalb der jeweiligen Fan-Blase sowie von einigen Medienvertretern.

Die Mission von Gisèle Pelicot

„Die Scham muss die Seite wechseln“ sagt Vergewaltigungsopfer Gisèle Pelicot. Aber geht das überhaupt?

Ein schlimmes Signal an Opfer

Der Psychologe Florian Wedell weiß, für direkt Betroffene oder Menschen, die Ähnliches erlebt haben, können diese öffentlichen Reaktionen schwerwiegende Folgen haben. „Das Gefühl entsteht, dass ihr Erleben in der Gesellschaft nicht gewollt ist“, sagt Wedell. Ihr Leid werde bagatellisiert, und die häufige Täter-Opfer-Umkehr führe zu einem Strudel aus Scham und Selbstvorwürfen. „Dadurch wird die psychische Belastung verstärkt, und es kann zu einer Traumafolgestörung kommen“, sagt er.

Laut Wedell könnten öffentliche Debatten um Personen wie Chris Brown bei Menschen, die ebenfalls Opfer von Gewalt wurden, eine Retraumatisierung auslösen: „Solche Diskussionen könnten dazu führen, dass sich Betroffene gar nicht erst trauen, in die Öffentlichkeit zu gehen.“ Aber was kann man dagegen tun?

Digitale Zivilcourage

Opferschutz sei nur begrenzt möglich, sagt Florian Wedell. Es bestehe die Möglichkeit, sich für eine betroffene Person online einzusetzen. „Zivilcourage funktioniert auch im virtuellen Raum“, sagt der Psychologe. In den Kommentarspalten könnten Mitlesende beispielsweise Betroffene verteidigen und gegenhalten. Häufig komme Zivilcourage im digitalen Raum aber nicht vor: „Dort neigen die Menschen eher dazu, einfache Zuschauer zu sein.“ Zudem bestehe die Gefahr, durch die Gegenrede selbst Opfer von Hass und Hetze zu werden.

Im persönlichen Raum solle man Betroffenen Hilfe anbieten. „Es ist wichtig zu zeigen: Ich höre dich, ich glaube dir und ich kann dich unterstützen“, sagt Wedell. Wichtig seien konkrete Unterstützungsangebote, etwa bei der Suche nach einem Therapieplatz oder die Begleitung zur Polizei.

„In dem Moment, in dem ich Strukturen erhalte, bei denen eine Personengruppe Macht über eine andere hat, ist das fatal.“

Psychologe Florian Wedell

Das Verhalten von kämpferischen Fans bei problematischen Prominenten habe nicht nur direkte Auswirkungen auf Opfer, sondern beeinflusse die gesamte Gesellschaft, wie Wedell erklärt. Die Unterstützung von mutmaßlich gewalttätigen Stars führe zu einem Erhalt von problematischen Machtstrukturen: „In dem Moment, in dem ich Strukturen erhalte, bei denen eine Personengruppe Macht über eine andere hat, ist das fatal.“

Wedell ist der Ansicht, Menschen sollten ihren Selbstwert nicht abhängig von Idolen machen, und Stars sollten generell mehr hinterfragt werden, anstatt ihnen so viel Macht zu geben. Ein Beispiel, wie Prominente gefühlt über allem stehen, zeigen Argumente wie: „Die Musik ist halt gut. Wenn man auf Korrektheit achten müsste, würde man niemanden mehr konsumieren.“ Das schrieben Fans von Chris Brown in Kommentarspalten.

Für den Psychologen zeigen Fälle wie die um Jérôme Boateng und Chris Brown den Erhalt eines Rollenbildes: Die meisten Täter seien männlich und die Opfer oft weiblich. „Auch heute noch finden wir vielfach Strukturen, die einen Mann mehr begünstigen als eine Frau“, sagt Wedell. Und dieses Problem könne nur gesamtgesellschaftlich gelöst werden.

Transparenzhinweis:
Das WEISSE RING Magazin wurde durch ein Vereinsmitglied auf das Phänomen aufmerksam. In einer E-Mail berichtete das Mitglied über aktuelle problematische Social-Media-Beiträge über Chris Brown und schickte dazu eine Liste an Screenshots von Kommentaren und Beiträgen.

“Das Kind des Opfers und des Täters zu sein, ist eine schreckliche Last“

Erstellt am: Freitag, 13. Juni 2025 von Sabine
Gisele Pelicot Tochter Buch

Lesen

“Das Kind des Opfers und des Täters zu sein, ist eine schreckliche Last“

Caroline Darian
“Und ich werde dich nie wieder Papa nennen“
Kiwi Verlag, 222 Seiten, 22 Euro

„Das Kind des Opfers und des Täters zu sein, ist eine schreckliche Last“, schreibt Caroline Darian in ihrem Buch „Und ich werde dich nie wieder Papa nennen“. „Die Vergangenheit wurde ausradiert, aber welche Zukunft folgt darauf?“

Caroline Darian ist die Tochter von Gisèle Pelicot. Der Fall erschütterte die ganze Welt: Pelicot wurde  von ihrem Ehemann über Jahre hinweg unter Medikamente gesetzt und von ihm und Dutzenden anderer Männer vergewaltigt. Im Buch nimmt Caroline Darian die Leserschaft mit in die Zeit, als die Taten ihres Vaters auffliegen und die  ganze Familie zerreißen. Auf einen Schlag ist „dieses Leben, das wir vor wenigen Jahren noch ‚banal‘ genannt hätten“, vorbei. Sie berichtet von ihrem eigenen Zusammenbruch, ihrem Umgang mit dieser Situation und ihrem zu dieser Zeit auch angespannten Verhältnis zu ihrer Mutter. In einigen Passagen spricht sie ihren Vater  direkt an: „Ich habe dich geliebt, respektiert und unterstützt, wie eine dankbare Tochter es ihrem Vater gegenüber tut. Du hast deinen Teil der Vereinbarung nicht  eingehalten. […] Ich werde dir das wohl nie verzeihen können. Jetzt muss ich lernen, damit zu leben.“ Darian lässt den Leser ganz nah an sich ran, zwischendurch hat man sogar fast das Gefühl, Teil der Familie zu sein, die gerade durch die schlimmste Zeit ihres Lebens geht.

kiwi-verlag.de/buch/caroline-darian-und-ich-werde-dich-nie-wieder-papa-nennen

Repräsentative Studie: 12,7 Prozent der Befragten von sexualisierter Gewalt betroffen

Erstellt am: Montag, 2. Juni 2025 von Gregor
Viele Opfer haben sich vergeblich überwunden und einen Antrag auf Unterstützung gestellt. Foto: dpa

Viele Opfer haben sich vergeblich überwunden und einen Antrag auf Unterstützung gestellt. Foto: dpa

Datum: 02.06.2025

Repräsentative Studie: 12,7 Prozent der Befragten von sexualisierter Gewalt betroffen

Eine neue Studie hat die Häufigkeit, den Kontext und die Folgen sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche untersucht. Die Ergebnisse sind alarmierend.

Etwa jeder Achte in Deutschland zwischen 18 und 59 Jahren ist als Kind oder Jugendlicher mindestens einmal Opfer sexualisierter Gewalt geworden – hochgerechnet sind das 5,7 Millionen Menschen. Mit 20,6 Prozent ist bei Frauen ein deutlich höherer Anteil betroffen als bei Männern mit 4,8 Prozent. Die Täter sind überwiegend männlich und lediglich in 4,5 Prozent der Fälle weiblich.

Repräsentative Studie mit 3000 Teilnehmenden

Das geht aus einer repräsentativen, am Montag veröffentlichten Studie des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI), der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Ulm und des Instituts für Kriminologie der Universität Heidelberg hervor. Die Forschenden haben in Kooperation mit dem Umfrageinstitut infratest dimap eine repräsentative Stichprobe von Menschen im Alter zwischen 18 und 59 Jahren angeschrieben. Rund 3000 Personen nahmen teil. Die Institute untersuchten sowohl die Häufigkeit sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche als auch den Kontext und die Folgen der Taten. Es handelt sich um die erste bundesweite und repräsentative Studie zu diesem Thema.

„Die Ergebnisse weisen auf ein erhebliches Dunkelfeld hin, das im Vergleich zu früheren Untersuchungen nicht abgenommen hat, obwohl das Bewusstsein um die Problematik gewachsen ist und Präventionsmaßnahmen in Deutschland ausgeweitet wurden“, erklärt Prof. Dr. Harald Dreßing, der die Studie koordiniert hat und die Forensischen Psychiatrie am ZI leitet. Dieses gehört zum Deutschen Zentrum für Psychische Gesundheit (DZPG).

Tatorte Familie und digitale Kanäle

Bei jüngeren Frauen, den 18-29-Jährigen, war die Betroffenenrate am höchsten: 27,4 Prozent. Unter allen Befragten gaben die meisten an, in der Familie oder durch Verwandte sexualisierte Gewalt erlebt zu haben. Wobei Männer laut der Studie viel öfter in Sport- und Freizeiteinrichtungen, im kirchlichen Zusammenhängen und in der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe betroffen waren. Dies zeige, wie wichtig „differenzierte Schutzkonzepte“ für Kinder und Jugendliche seien, mahnen die Forschungsinstitute.

Gut 37 Prozent der Opfer hatten demnach bislang nicht mit anderen Menschen über die sexuellen Angriffe gesprochen, aus Scham und aus Angst, dass ihnen niemand glaube.

31,7 Prozent der Fälle betrafen digitale Kanäle. Dabei erhielten die Betroffenen beispielsweise ungewollt pornographisches Material, wurden zu sexuellen Handlungen aufgefordert oder gezwungen, sexuelle Bilder zu teilen.

Betroffene haben psychische Schwierigkeiten

Ein weiterer wichtiger Befund: Den von sexualisierter Gewalt Betroffenen gehe es psychisch deutlich schlechter als Nichtbetroffenen. „Es ist wichtig, dass wir die Forschung zum Ausmaß und den Kontexten von sexualisierter Gewalt verstetigen und weiter voranbringen. Nur so können wir Präventionskonzepte und die gezielte medizinische Versorgung von Betroffenen wirklich verbessern“, fordert Prof. Dr. Andreas Meyer-Lindenberg. Er ist Direktor des ZI und Sprecher des DZPG-Standorts Mannheim-Heidelberg-Ulm.

Die Untersuchung wurde mit Eigenmitteln der Institute finanziert sowie mit Hilfe der WEISSER RING Stiftung, des Vereins Eckiger Tisch und des Kinderschutzbundes.

Vier Prozent mehr Opfer von häuslicher Gewalt

Erstellt am: Montag, 12. Mai 2025 von Gregor
Auf dem Foto präsentiert eine Person eine elektronische Fußfessel am Fußgelenk.

Die Fußfessel ist in Spanien längst gängige Praxis. Foto: Christian Ahlers

Datum: 12.05.2025

Vier Prozent mehr Opfer von häuslicher Gewalt

Rund 266.000 Menschen sind im vergangenen Jahr Opfer häuslicher Gewalt geworden, zwei Drittel davon waren Frauen. Insgesamt ein deutlicher Anstieg, doch zwischen den Bundesländern gibt es große Unterschiede.

Die Zahl der registrierten Opfer von häuslicher Gewalt hat 2024 offenbar deutlich zugenommen, um vier Prozent gegenüber dem Vorjahr. Laut einem Bericht der „Welt am Sonntag“ wurden im vergangenen Jahr bundesweit 266.000 Opfer erfasst, zwei Drittel davon sind Frauen. Das geht aus Statistiken hervor, die die Innenministerien und Polizeibehörden der Länder gemeldet haben. Sie fließen in ein „Lagebild Häusliche Gewalt“ des Bundeskriminalamtes ein, das das BKA mit Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) und Familienministerin Karin Prien (CDU) wohl im Sommer vorstellt. Die Zahlen umfassen Angriffe von Partnern, früheren Partnern und Familienangehörigen. Fachleute gehen von einer hohen Dunkelziffer aus. Ein Grund: Viele Betroffene zeigen die Gewalt nicht an, etwa aus Angst vor dem Täter.

Stärkster Anstieg in Niedersachsen

Die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern sind teils enorm: So stieg die Zahl der registrierten Opfer in Niedersachen (plus 12,3 Prozent auf 30.209), Schleswig-Holstein (plus 8,8 Prozent auf 9342) und Baden-Württemberg (plus 8,7 Prozent auf 27.841) besonders stark, während sie in Mecklenburg-Vorpommern (minus 1,6 Prozent auf 5249), im Saarland (minus 2,7 Prozent auf 3890) und Bremen/Bremerhaven (minus 3,7 Prozent auf 3514) sank.

In ihrem Koalitionsvertrag hat die neue, schwarz-rote Koalition verschiedene Maßnahmen angekündigt, um der Gewalt entgegenzuwirken. So will sie die elektronische Fußfessel nach spanischem Vorbild einführen. Dafür plant die Regierung deutschlandweit einheitliche Rechtsgrundlagen im Gewaltschutzgesetz.

Fußfessel als ein Gegenmittel

Der WEISSE RING hatte sich zuvor jahrelang für die Fußfessel engagiert, auch in Brandbriefen an die Politik und mit einer Online-Petition. Die Redaktion wies in einer umfangreichen Recherche unter anderem nach, wie erfolgreich das Modell in Spanien ist. Bei der modernen Variante der „Aufenthaltsüberwachung“ kann die Fußfessel des Täters mit einer GPS-Einheit kommunizieren, die das Opfer trägt. Der Alarm ertönt, wenn sich der Überwachte und die Betroffene einander nähern.

Union und SPD versprechen zudem, das Gewalthilfegesetz – das ab 2032 einen Rechtsanspruch auf kostenlosen Schutz und Beratung für Frauen und Kinder festschreibt – umzusetzen und die Gewaltschutzstrategie des Bundes zu einem „Nationalen Aktionsplan“ auszubauen. Auch sei eine intensivere Präventions-, Aufklärungs- und Täterarbeit geplant. Wie dies konkret geschehen soll, schreibt das Bündnis nicht.

Den Stalking-Paragraphen möchte die Koalition um das Verwenden von GPS-Trackern erweitern. Diese benutzen Männer mitunter, um Frauen zu belästigen und zu kontrollieren.