„Die großen Lücken bei der Unterstützung für Betroffene müssen dringend geschlossen werden“, fordert Tanrıverdi. „Betroffene brauchen ein Recht auf Zugang zu Schutz und Beratung. Bund, Länder und Kommunen sind gemeinsam in der Pflicht, Frauenhäuser und Fachberatungsstellen flächendeckend bereitzustellen und finanziell abzusichern. Deshalb braucht es jetzt ein gutes Gewalthilfegesetz.“
Die prekäre finanzielle Lage der Hilfseinrichtungen steht in starkem Kontrast zur gesellschaftlichen Bedeutung des Opferschutzes. Die fehlende langfristige Finanzierung zwinge die Dienstleistungsanbieter dazu, so bemängelte GREVIO bereits im Jahr 2022, einen beträchtlichen Teil ihrer Zeit in die Beantragung und erneute Beantragung ihrer Finanzierung zu investieren, was ihnen wertvolle Zeit für ihre Kerntätigkeiten raubt.
III. Mangelnde Transparenz bei Schutzanordnungen
Eilschutzanordnungen sollen im Ernstfall eine sofortige räumliche Distanz zwischen Opfer und Täter schaffen. Dazu zählen Wohnungsverweisungen, Rückkehr- und Kontaktverbote. Diese Schutzmaßnahmen werden durch Polizeigesetze der Länder geregelt. Doch es mangelt oft an einer klaren Kommunikation zwischen Polizei und Gerichten, was Schutzlücken erzeugt. So ist zum Beispiel nicht immer eindeutig festgelegt, wann Wohnungsverweisungen verlängert werden müssen. „Ein effektiver Gewaltschutz ist somit nicht gewährleistet“, heißt es im Monitoring-Bericht.
Die Berichterstattungsstelle fordert daher eine verbesserte Datenerhebung und Auswertung der gerichtlich angeordneten Schutzmaßnahmen. Damit könnte nachvollzogen werden, ob die Anordnungen den Opferschutz tatsächlich gewährleisten und wie die Umsetzung in den einzelnen Bundesländern verläuft.
IV. Fehlende Regelung zum Umgangs- und Sorgerecht
Ein großes Problem stellen Umgangsregelungen bei Trennungen dar, wenn häusliche Gewalt eine Rolle spielt. Der aktuelle rechtliche Rahmen ermöglicht zwar die Berücksichtigung von Gewalt bei Entscheidungen zum Umgangs- und Sorgerecht, doch dies geschieht in der Praxis oft nicht. In manchen Fällen kann es jedoch durch Umgangskontakte sogar zu schwerer Gewalt bis hin zu Tötungsdelikten kommen.
Hier besteht laut Berichterstattungsstelle „dringender gesetzgeberischer Handlungsbedarf“, um gewaltbetroffene Elternteile besser zu schützen. Ein bundeseinheitlicher Rechtsanspruch auf schnelle, unbürokratische Hilfe, etwa durch verpflichtende Fortbildungen für Richterinnen und Richter und eine Reform des Familienverfahrensrechts, wäre ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Das Bundesministerium der Justiz hat im Januar 2024 zwar Eckpunkte für eine Reform des Kindschaftsrechts vorgelegt, die auch den Forderungen der Istanbul-Konvention gerecht werden sollten. Doch der Referentenentwurf des Gesetzes sorgte zuletzt für Zoff, nicht zuletzt wohl deshalb, weil der damalige Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann (FDP) den Entwurf laut Medienberichten an die Länder weitergeleitet hatte, ohne sich regierungsintern mit Familienministerin Lisa Paus (Grüne) abzustimmen. Ein eigener Gesetzentwurf der Bundesregierung schaffte es nach dem Aus der Ampelkoalition bis Redaktionsschluss nicht mehr ins parlamentarische Verfahren.
V. Defizitäre Datenbasis
Eine der größten Hürden für eine wirksame Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt bleibt die unzureichende Datenbasis. Denn für eine wirksame Politik und gesetzliche Regelungen benötigt man verlässliche Daten. Viele Informationen zum tatsächlichen Ausmaß von Gewalt gegen Frauen fehlen jedoch nach Beobachtung der Berichterstattungsstelle, beispielsweise zur Anzahl der Verurteilungen oder zur Häufigkeit von Schutzanordnungen. Es existiert in Deutschland keine einheitliche Statistik, die den Verlauf von der polizeilichen Anzeige bis zur gerichtlichen Entscheidung erfasst.
Eine solche systematische Datenerhebung wäre jedoch unerlässlich, um die Umsetzung der Istanbul-Konvention kontinuierlich zu überwachen und die Schutzmaßnahmen anzupassen. Besonders im Bereich der Justiz und Gesundheit besteht hier nach Ansicht der Berichterstattungsstelle Nachholbedarf, um präzise Einblicke in das Ausmaß und die Verbreitung geschlechtsspezifischer Gewalt in Deutschland zu gewinnen.
Fazit
Die Bilanz des „Monitors Gewalt gegen Frauen“ ist ernüchternd und alarmierend zugleich. Die Istanbul-Konvention soll Frauen und Mädchen effektiv vor Gewalt schützen – in Deutschland ist dieses Ziel noch lange nicht erreicht. Der Bericht zeigt, dass die bestehenden Defizite in vielen Bereichen das Leben der Betroffenen gefährden. „Bei der Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt geht es um eine zentrale Voraussetzung für eine freie Gesellschaft: dass Frauen frei von Gewalt und Bedrohung leben können“, betont Müserref Tanrıverdi. Der Bericht zeigt: Eine umfassende und langfristig angelegte Strategie ist dringend erforderlich, um die Istanbul-Konvention endlich mit Leben zu füllen, damit Frauen und Mädchen den Schutz finden, der ihnen zusteht.