Vier Prozent mehr Opfer von häuslicher Gewalt

Erstellt am: Montag, 12. Mai 2025 von Gregor
Auf dem Foto präsentiert eine Person eine elektronische Fußfessel am Fußgelenk.

Die Fußfessel ist in Spanien längst gängige Praxis. Foto: Christian Ahlers

Datum: 12.05.2025

Vier Prozent mehr Opfer von häuslicher Gewalt

Rund 266.000 Menschen sind im vergangenen Jahr Opfer häuslicher Gewalt geworden, zwei Drittel davon waren Frauen. Insgesamt ein deutlicher Anstieg, doch zwischen den Bundesländern gibt es große Unterschiede.

Die Zahl der registrierten Opfer von häuslicher Gewalt hat 2024 offenbar deutlich zugenommen, um vier Prozent gegenüber dem Vorjahr. Laut einem Bericht der „Welt am Sonntag“ wurden im vergangenen Jahr bundesweit 266.000 Opfer erfasst, zwei Drittel davon sind Frauen. Das geht aus Statistiken hervor, die die Innenministerien und Polizeibehörden der Länder gemeldet haben. Sie fließen in ein „Lagebild Häusliche Gewalt“ des Bundeskriminalamtes ein, das das BKA mit Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) und Familienministerin Karin Prien (CDU) wohl im Sommer vorstellt. Die Zahlen umfassen Angriffe von Partnern, früheren Partnern und Familienangehörigen. Fachleute gehen von einer hohen Dunkelziffer aus. Ein Grund: Viele Betroffene zeigen die Gewalt nicht an, etwa aus Angst vor dem Täter.

Stärkster Anstieg in Niedersachsen

Die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern sind teils enorm: So stieg die Zahl der registrierten Opfer in Niedersachen (plus 12,3 Prozent auf 30.209), Schleswig-Holstein (plus 8,8 Prozent auf 9342) und Baden-Württemberg (plus 8,7 Prozent auf 27.841) besonders stark, während sie in Mecklenburg-Vorpommern (minus 1,6 Prozent auf 5249), im Saarland (minus 2,7 Prozent auf 3890) und Bremen/Bremerhaven (minus 3,7 Prozent auf 3514) sank.

In ihrem Koalitionsvertrag hat die neue, schwarz-rote Koalition verschiedene Maßnahmen angekündigt, um der Gewalt entgegenzuwirken. So will sie die elektronische Fußfessel nach spanischem Vorbild einführen. Dafür plant die Regierung deutschlandweit einheitliche Rechtsgrundlagen im Gewaltschutzgesetz.

Fußfessel als ein Gegenmittel

Der WEISSE RING hatte sich zuvor jahrelang für die Fußfessel engagiert, auch in Brandbriefen an die Politik und mit einer Online-Petition. Die Redaktion wies in einer umfangreichen Recherche unter anderem nach, wie erfolgreich das Modell in Spanien ist. Bei der modernen Variante der „Aufenthaltsüberwachung“ kann die Fußfessel des Täters mit einer GPS-Einheit kommunizieren, die das Opfer trägt. Der Alarm ertönt, wenn sich der Überwachte und die Betroffene einander nähern.

Union und SPD versprechen zudem, das Gewalthilfegesetz – das ab 2032 einen Rechtsanspruch auf kostenlosen Schutz und Beratung für Frauen und Kinder festschreibt – umzusetzen und die Gewaltschutzstrategie des Bundes zu einem „Nationalen Aktionsplan“ auszubauen. Auch sei eine intensivere Präventions-, Aufklärungs- und Täterarbeit geplant. Wie dies konkret geschehen soll, schreibt das Bündnis nicht.

Den Stalking-Paragraphen möchte die Koalition um das Verwenden von GPS-Trackern erweitern. Diese benutzen Männer mitunter, um Frauen zu belästigen und zu kontrollieren.

 

Was die Koalition bei Opferhilfe und Prävention plant

Erstellt am: Freitag, 11. April 2025 von Gregor
Im Kampf gegen Gewalt an Frauen setzt die Koalition unter anderem auf die Einführung der Fußfessel nach dem Vorbild Spaniens. Foto: dpa

Im Kampf gegen Gewalt an Frauen setzt die Koalition unter anderem auf die „spanische Fußfessel“. Foto: dpa

Datum: 11.04.2025

Was die Koalition bei Opferhilfe und Prävention plant

Mit „Verantwortung für Deutschland“ haben Union und SPD ihren jetzt vorgestellten Koalitionsvertrag überschrieben. Die Pläne in dem 144 Seiten umfassenden Papier stehen „unter Finanzierungsvorbehalt“. Doch der Vertrag gibt die Leitlinien für die voraussichtliche Regierung vor, auch bei Themen wie Gewaltschutz. Was kündigen die Parteien an – und wie steht der WEISSE RING zu den Plänen?

Gewalt gegen Frauen

Das Bündnis verspricht, das Gewalthilfegesetz – das ab 2032 einen Rechtsanspruch auf kostenlosen Schutz und Beratung für Frauen und Kinder vorsieht – umzusetzen und die Gewaltschutzstrategie des Bundes zu einem „Nationalen Aktionsplan“ zu erweitern. Die Präventions-, Aufklärungs- und Täterarbeit solle verstärkt werden.

Weiter heißt es im Koalitionsvertrag: „Wir verschärfen den Tatbestand der Nachstellung und den Strafrahmen für Zuwiderhandlungen nach dem Gewaltschutzgesetz und schaffen bundeseinheitliche Rechtsgrundlagen im Gewaltschutzgesetz für die gerichtliche Anordnung der elektronischen Fußfessel nach dem sogenannten Spanischen Modell und für verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings für Täter.“ Den Stalking-Paragraphen will die Koalition um das Verwenden von GPS-Trackern erweitern. Diese werden häufig missbraucht, um Frauen zu belästigen und zu kontrollieren.

Laut den jüngsten Zahlen für häusliche Gewalt waren im Jahr 2023 mehr als 70 Prozent der Betroffenen Frauen und Mädchen. Im Vergleich zum Vorjahr stieg der Wert um 5,6 Prozent auf 180.715 (2022: 171.076), teilte das Bundesfamilienministerium mit. Insgesamt wurden 360 Mädchen und Frauen getötet.

Um geflüchtete Frauen besser vor Gewalt zu bewahren, will die Regierung die Residenzpflicht und Wohnsitzauflage lockern. Diese hindern Betroffene oft daran, vom Täter wegzuziehen.

Den Strafrahmen für Gruppenvergewaltigungen möchte die Koalition erhöhen und prüfen, inwiefern sich „offensichtlich unerwünschte und erhebliche verbale und nicht-körperliche sexuelle Belästigungen“ härter bestrafen lassen.

 

Gewalt gegen Kinder und Jugendliche

Den Fonds Sexueller Missbrauch und das damit verbundene Ergänzende Hilfesystem (EHS), die Betroffenen eine wichtige, niedrigschwellige Unterstützung bieten, „führen wir unter Beteiligung des Betroffenenrats fort“, schreibt die Koalition. In welchem Umfang und unter welchen Bedingungen, ist allerdings noch ungewiss.

Die Umsetzung des UBSKM-Gesetzes (Unabhängige Beauftragte für Sexuellen Kindesmissbrauch) will Schwarz-Rot gemeinsam mit den Ländern, Trägern und Einrichtungen unterstützen, vor allem im Hinblick auf die Pflicht der Institutionen, Missbrauchsfälle aufzuarbeiten und Schutzkonzepte zu schaffen.

Die sogenannten Childhood-Häuser in den Ländern – regionale, interdisziplinäre Anlaufstellen für Kinder und Jugendliche, die Gewalt erfahren haben – möchte die Koalition mit Bundesmitteln fördern. Im Sorge- und Umgangsrecht soll häusliche Gewalt künftig stärker zu Lasten des Täters berücksichtigt werden; sie stelle eine Kindeswohlgefährdung dar.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die geplante Strategie „Kinder- und Jugendschutz in der digitalen Welt“. Ziel sei es, Eltern durch Wissensvermittlung zu stärken und Anbieter in die Pflicht zu nehmen. Schwarz-Rot will sich für eine verpflichtende Altersnachweise und sichere Voreinstellungen bei digitalen Geräten und Angeboten einsetzen.

  • Der WEISSE RING begrüßt die Pläne grundsätzlich, betont aber, auch hier sei die konkrete Ausgestaltung entscheidend.

 

Schutz und Unterstützung für Opfer

Die schon bestehende Kommission zur Reform des Sozialstaates, in der Bund, Länder und Kommunen zusammenarbeiten, wird voraussichtlich im vierten Quartal dieses Jahres ihre Ergebnisse präsentieren. Als Ziele geben Union und SPD etwa „Entbürokratisierung“, „massive Rechtsvereinfachung“ und „rascheren Vollzug“ aus. Sozialleistungen könnten zusammengelegt und pauschalisiert werden.

  • Der WEISSE RING gibt zu bedenken, dass dies auch zu Sparmaßnahmen und aufgrund der Pauschalisierung zu weniger „Einzelfallgerechtigkeit“ führen könnte.

Die Länge von Gerichtsverfahren soll möglichst verkürzt werden, „indem wir unter anderem den Zugang zu zweiten Tatsacheninstanzen begrenzen“, erklären Union und SPD. Bei Strafprozessen stellt die Koalition einen besseren Opferschutz in Aussicht; die audiovisuelle Vernehmung von minderjährigen Zeugen soll erleichtert werden.

  • Nach Auffassung des WEISSEN RINGS kann es je nach Fall sicherlich sinnvoll sein, den Instanzenzug zu begrenzen, es bedeutet aber immer auch eine Beschneidung des rechtlichen Gehörs. Eine Verbesserung des Opferschutzes wäre sehr gut, die genauen Pläne sind aber noch unklar.

Psychotherapeutische Angebote, die auch für Opfer von Straftaten wichtig sind, möchte die kommende Regierung ausbauen, gerade im ländlichen Raum. Dazu plant sie zum Beispiel eine Notversorgung durch Psychotherapeuten, wohnortnahe psychosomatische Institutsambulanzen und mehr digitale Behandlungsmöglichkeiten. Ein wesentliches Ziel sei, die Resilienz von Kindern und Jugendlichen zu stärken.

 

Innere Sicherheit

Die Koalition kündigt eine „Sicherheitsoffensive“ an, mithilfe von „zeitgemäßen digitalen Befugnissen“ und ausreichend Personal in den Behörden.

Zu den angekündigten Maßnahmen zählt eine dreimonatige Speicherpflicht für IP-Adressen und Portnummern, um Anschlussinhaber identifizieren zu können. Die Telefonüberwachung beim Wohnungseinbruchsdiebstahl soll leichter, die Funkzellenabfrage umfassender möglich sein.

Ein weiteres Vorhaben hängt mit Anschlägen wie in Mannheim und Aschaffenburg in diesem Jahr zusammen: „Zur Verhinderung weiterer Gewalttaten, wie in der jüngsten Vergangenheit, wollen wir die frühzeitige Erkennung entsprechender Risikopotenziale bei Personen mit psychischen Auffälligkeiten sicherstellen. Hierzu führen wir eine gemeinsame Risikobewertung und ein integriertes behördenübergreifendes Risikomanagement ein.“

Um im Vorfeld Terrorangriffen, die mit „Alltagsgegenständen“ begangen werden, besser entgegenzuwirken, will Schwarz-Rot die Anwendung von Paragraf 89a im Strafgesetzbuch (StGB) – Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat – ausweiten: auf den Fall, dass der Täter keinen Sprengstoff, sondern Gegenstände wie ein Messer oder ein Auto benutzen will.

Mit „allen Betroffenen und Experten“ beabsichtigt die Koalition, das Waffenrecht zu evaluieren und gegebenenfalls zu ändern, um zu verhindern, dass Menschen illegal Waffen besitzen oder Extremisten und Menschen „mit ernsthaften psychischen Erkrankungen“ sich legal welche beschaffen können. Bei möglichen Gesetzesänderungen gilt: Das Recht soll „anwenderfreundlicher“ werden, zudem müsse bei den Vorgaben die „Verhältnismäßigkeit“ gewahrt bleiben.

  • Um Amokläufe mit Waffen zu unterbinden, werden die Maßnahmen wohl nicht reichen, befürchtet der WEISSE RING.

Im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität strebt die Koalition eine vollständige Beweislastumkehr beim Einziehen von Vermögen an, dessen Herkunft nicht geklärt ist.

Ausländische Personen, die schwere Straftaten begehen und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden, sollen in der Regel ausgewiesen werden, etwa bei Delikten gegen Leib und Leben, die sexuelle Selbstbestimmung oder bei einem tätlichen Angriff gegen Vollstreckungsbeamte.

Zu den Ursachen der gestiegenen Kinder- und Jugendgewalt ist eine Studie, die auch mögliche Gesetzesänderungen untersucht, geplant.

 

Digitale Gewalt

Die Koalition verspricht ein „umfassendes Digitales Gewaltschutzgesetz“. Damit wolle sie die rechtliche Stellung von Betroffenen verbessern und Sperren für anonyme „Hass-Accounts“ ermöglichen. Sie will zudem prüfen, ob Opfer und Zeugen in Strafverfahren darauf verzichten können, ihre Anschrift anzugeben, wenn die Verteidigung Akteneinsicht beantragt.

Im Cyberstrafrecht gelte es, Lücken zu schließen, beispielsweise bei „bildbasierter sexualisierter Gewalt“. Das Gesetz soll auch Deepfake-Pornografie erfassen, bei der Bilder von Gesichtern prominenter und nicht-prominenter Menschen mit Hilfe von KI auf andere Körper montiert werden.

Online-Plattformen sollen „Schnittstellen zu Strafverfolgungsbehörden“ zur Verfügung stellen, damit Daten, die für Ermittlungsverfahren relevant sind, „automatisiert und schnell“ abrufbar sind. Die Sanktionsmöglichkeiten gegenüber den Plattformen, die strafbare Inhalte nicht entfernen, sollen verschärft werden.

 

Angriffe auf die Demokratie

Die Koalition kündigt an, allen verfassungsfeindlichen Bestrebungen entschlossen entgegenzutreten, egal ob Rechtsextremismus, Islamismus, auslandsbezogenem Extremismus oder Linksextremismus.

Hierzu planen die Parteien unter anderem, den Tatbestand der Volksverhetzung zu verschärfen. Wer zum Beispiel mehrfach deswegen verurteilt wird, könnte in Zukunft das passive Wahlrecht verlieren. Zudem will Schwarz-Rot eine Strafbarkeit für Amtsträger und Soldaten prüfen, die in geschlossenen Chatgruppen in dienstlichem Zusammenhang antisemitische und extremistische Hetze teilen. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Fälle, die straffrei blieben: Gerichte vertraten die Auffassung, es handele sich um private Gruppen, wo es nicht strafbar sei, solche Inhalte zu verbreiten.

In den vergangenen Jahren haben die Angriffe auf Mandatsträger, Rettungs- und Einsatzkräfte sowie Polizisten deutlich zugenommen. Bei den politischen Amts- und Mandatsträgern stiegen die von der Polizei erfassten Attacken 2024 um 20 Prozent auf 4923. Deshalb wollen Union und SPD den „strafrechtlichen Schutz“ solcher Gruppen prüfen und eventuell erweitern. Darüber hinaus soll das Melderecht überarbeitet werden, um die Privatsphäre der Betroffenen besser zu schützen.

Zum zunehmenden Rechtsextremismus – allein bis zum 30. November 2024 wurden 33.963 Delikte im Bereich „politisch motivierte Kriminalität – rechts“ und damit so viele wie noch nie registriert – schreibt die Koalition lediglich allgemein: „Der Polarisierung und Destabilisierung unserer demokratischen Gesellschaft und Werteordnung durch Rechtspopulisten und -extremisten setzen wir eine Politik der Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, der Vielfalt, Toleranz und Humanität entgegen.“ Abgesehen von einem NSU-Dokumentationszentrum in Nürnberg werden kaum konkrete Maßnahmen genannt.

Im Kampf gegen Islamismus ist ein „Bund-Länder-Aktionsplan“ vorgesehen, zudem soll die „Task Force Islamismusprävention“ ein festes Gremium im Bundesinnenministerium werden und helfen, den Aktionsplan umzusetzen.

Mit Vereinen und Verbänden, die direkt oder indirekt von ausländischen Regierungen gesteuert und vom Verfassungsschutz beobachtet würden, werde der Bund nicht zusammenarbeiten. Sie sollen verpflichtet werden, offenzulegen, wie sie sich finanzieren.

Als weiteres Ziel gibt die Koalition die Sicherheit jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger an, sowohl im digitalen als auch im öffentlichen Raum, etwa an Schulen und Hochschulen. Hierzu sollen unter anderem Lehrer darin geschult werden, Antisemitismus zu erkennen und dagegen vorzugehen.

Projekte zur demokratischen Teilhabe sollen weiterhin vom Bundesförderprogramm „Demokratie leben!“ profitieren.

 

Diskriminierung

Die Arbeit der Antidiskriminierungsstelle soll fortgeführt, der Nationale Aktionsplan gegen Rassismus so überarbeitet werden, dass dieser „in seinen verschiedenen Erscheinungsformen“ bekämpft werden könne. Einen besonderen Schutz verspricht die Koalition nationalen Minderheiten, etwa der dänischen Minderheit oder den deutschen Sinti und Roma. Außerdem sollen alle unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung „gleichberechtigt, diskriminierungs- und gewaltfrei“ leben können. Dazu, heißt es, „wollen wir mit entsprechenden Maßnahmen das Bewusstsein schaffen, sensibilisieren und den Zusammenhalt und das Miteinander stärken“. Wie genau all dies geschehen soll, steht nicht im Vertrag.

Zwischen 2021 und 2023 waren mehr als 20.000 Fälle von Diskriminierung bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gemeldet worden. Die Unabhängige Bundesbeauftragte, Ferda Ataman, kritisierte, das deutsche Antidiskriminierungsrecht sei unzureichend.

 

Menschenhandel

„Deutschland ist zu einer Drehscheibe beim Menschenhandel geworden“, die Opfer seien fast ausschließlich Frauen, schreibt die Koalition am Anfang ihres Kapitels zum Prostituiertenschutzgesetz. Eine Evaluation über die Wirkung des Gesetzes soll bis Juli dieses Jahres vorgestellt werden. Bei Bedarf will das schwarz-rote Bündnis auf eine Experten-Kommission zurückgreifen, um gesetzlich nachzubessern.

  • Dass sich die Koalition dem Thema widmen will, ist nach Ansicht des WEISSEN RINGS positiv, aber auch hier ist die konkrete Umsetzung noch unklar.

Zu anderen Formen von Menschenhandel, etwa zur Ausbeutung der Arbeitskraft, sagt die Koalition nichts. Aus dem letzten Lagebild des Bundeskriminalamtes zu Menschenhandel und Ausbeutung geht hervor, dass 2023 319 Verfahren wegen sexueller Ausbeutung, 37 wegen Arbeitsausbeutung und 204 wegen Ausbeutung Minderjähriger geführt wurden. Experten gehen in diesem Bereich von einer hohen Dunkelziffer aus. Ein Grund dafür ist, dass Betroffene unter anderem aus Angst vor ihren Ausbeutern nur selten Anzeige erstatten.

Auch Schleswig-Holstein bekämpft häusliche Gewalt mit „spanischer Fußfessel“

Erstellt am: Montag, 31. März 2025 von Gregor

Union und SPD wollen die spanische Variante der Fußfessel im Bund einführen. Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Datum: 31.03.2025

Auch Schleswig-Holstein bekämpft häusliche Gewalt mit „spanischer Fußfessel“

Nachdem der Landtag eine Gesetzesreform beschlossen hat, kann die elektronische Fußfessel nach spanischem Modell in Schleswig-Holstein eingesetzt werden. Die Landesregierung verspricht sich davon einen besseren Schutz. Die Zahl der Menschen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, ist auch im Norden gestiegen.

Kiel/Mainz. Im Kampf gegen häusliche Gewalt setzen die Bundesländer zunehmend auf die elektronische Fußfessel nach spanischem Vorbild. Kürzlich hat der schleswig-holsteinische Landtag mit breiter Mehrheit – nur die FDP stimmte nicht zu – eine entsprechende Gesetzesreform verabschiedet. Bislang konnte die sogenannte Aufenthaltsüberwachung in dem Bundesland nur bei terroristischen Gefährdern genutzt werden, künftig ist das auch bei Partnerschaftsgewalt und Stalking möglich. Voraussetzung ist ein richterlicher Beschluss. Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) sagte in Kiel, die Fußfessel werde Lücken beim Schutz schließen und diesen verbessern.

Wie bundesweit ist in Schleswig-Holstein die Zahl der von häuslicher Gewalt Betroffenen gestiegen, im vergangenen Jahr um 8,8 Prozent auf 9.360. Gut 71 Prozent der Opfer waren Frauen. Das geht aus der Polizeilichen Kriminalstatistik hervor.

Beim spanischen Modell kann die Fußfessel des Täters mit einer GPS-Einheit kommunizieren, die das Opfer bei sich trägt. Dadurch wird sowohl der Standort des Täters als auch der Betroffenen überwacht, und die Sperrzonen sind nicht fest, sondern dynamisch. Der Alarm wird ausgelöst, falls sich der Überwachte und das Opfer einander nähern.

In Spanien wurde keine der geschützten Frauen getötet

Sachsen und Hessen setzen die neue Technik schon ein. Das Saarland hat ein Gesetz dafür verabschiedet, und in weiteren Bundesländern wird derzeit darüber diskutiert, etwa in Niedersachsen, wo ein Gesetzentwurf in Arbeit ist.

Die noch amtierende Bundesregierung hatte zu Jahresbeginn ein neues Gewaltschutzgesetz auf den Weg gebracht, das die elektronische Aufenthaltsüberwachung vorsieht. Der alte Bundestag hat den Entwurf jedoch nicht mehr beschlossen. Laut dem Papier könnten Familiengerichte in Risikofällen für drei Monate eine Fußfessel anordnen und die Maßnahme um drei Monate verlängern.

Der WEISSE RING hatte sich auf Bundes- und Länderebene intensiv für die elektronische Fußfessel nach spanischem Modell eingesetzt, unter anderem mit Brandbriefen an die Bundesregierung und einer Petition.

Die Redaktion des WEISSER RING Magazins hatte in einer umfassenden Recherche aufgezeigt, wie der Staat Menschen besser vor häuslicher Gewalt schützen könnte und wie erfolgreich die Aufenthaltsüberwachung in Spanien eingesetzt wird: Dort wurde seitdem keine Frau, die mit Hilfe der Fußfessel geschützt wurde, getötet. Insgesamt ging die Zahl der getöteten Frauen um 25 Prozent zurück.

Warum Femizide in Italien ein eigener Straftatbestand werden

Erstellt am: Donnerstag, 13. März 2025 von Sabine

Rote Schuhe stehen als Protestaktion gegen Femizide auf einem Platz. Foto: Marius Burgelman/Belga/dpa

Datum: 13.03.2025

Warum Femizide in Italien ein eigener Straftatbestand werden

In Italien sollen Femizide zukünftig als eigener Straftatbestand im Gesetzbuch verankert werden. Zudem soll als Standardstrafmaß "lebenslänglich" gelten. Ein Vorbild für Deutschland?

Mailand/Mainz – Ein Vorbild für Deutschland? In Italien sollen Femizide – also Tötungen von Frauen aufgrund ihres Geschlechts – zukünftig als eigener Straftatbestand im Gesetzbuch verankert werden. Zudem soll als Standardstrafmaß „lebenslänglich“ gelten. Einen entsprechenden Gesetzesentwurf hat die italienische Regierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zum internationalen Weltfrauentag am 8. März vorgelegt.

Der Entwurf erkenne „die Asymmetrie der Macht zwischen Männern und Frauen“ an, sagte die italienische Familienministerin Eugenia Roccella nach einer Kabinettssitzung. Aktuell werden Femizide in Italien als eine Form von Mord geahndet. Erschwerende Umstände bei der Bemessung der Strafe werden bei einem Mord an einer Frau nur dann anerkannt, wenn der Mörder mit dem Opfer verheiratet oder verwandt war. Das italienische Innenministerium zählte 113 Femzide im Jahr 2024, 61 davon wurden durch aktuelle oder frühere Partner begangen.

Opferorganisationen fordern mehr Prävention

Die Verabschiedung im Parlament gilt als sicher, denn nicht nur die Regierungs-, sondern auch die Oppositionsparteien unterstützen das Vorhaben. In dem Entwurf heißt es weiter: „Wer den Tod einer Frau verursacht, wenn die Tat als Akt der Diskriminierung oder des Hasses gegen die geschädigte Person als Frau oder um ihr die Ausübung ihrer Rechte oder ihrer Freiheit zu verwehren, verübt wird, wird mit lebenslanger Haft bestraft.“

Opferorganisationen beklagen allerdings, dass die Rechtsaußen-Regierung von Meloni lediglich auf Abschreckung durch Strafe setze und keine präventiven Maßnahmen ergreife. Sie fordern zum Beispiel mehr Aufklärung in Schulen.

Neben der Strafverschärfung bei Femiziden sollen zukünftig auch Fälle von Misshandlung, Stalking, sexueller Gewalt und „Rachepornografie“ zukünftig härter bestraft werden. Als Racheporno bezeichnet man intime Videos oder Bilder einer anderen Person, die im Rahmen eines Racheaktes, beispielsweise nach einer Trennung, im Netz veröffentlicht werden.

Laute Proteste nach Femiziden

Im November 2023 erschütterte der Fall der Studentin Giulia Cecchettin (Bericht auf tagesschau.de) Italien. Die 22-Jährige wurde von ihrem Ex-Freund und Kommilitonen Filippo T. ermordet, weil sie ihn verlassen hatte. T. hatte das Delikt akribisch geplant – ganz so wie sechs Monate zuvor Alessandro I. Der 31-jährige Barkeeper tötete seine schwangere Freundin mit zahlreichen Messerstichen, nachdem er sich in den Monaten zuvor im Internet ausführlich über Giftmorde informiert hatte. Beide Täter erhielten auf Grundlage der schon geltenden Normen eine lebenslange Freiheitsstrafe.

In Deutschland sind Femizide bisher kein eigener Straftatbestand, sie werden als Mord oder Totschlag angeklagt. Im Jahr 2023 wurden hierzulande 155 Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt mit tödlichem Ausgang – demgegenüber stehen 24 männliche Opfer.

Seit Jahren stagnieren die Zahlen auf hohem Niveau. Der WEISSE RING setzt sich deshalb für die Einführung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung nach dem spanischen Modell ein.

Der wesentliche Unterschied zum bisherigen Einsatz der Elektronischen Aufenthaltsüberwachung besteht darin, dass keine vordefinierten, festen Verbotszonen überwacht werden, sondern sich das zu schützende Opfer in Bewegung befindet. Damit werden Frauen auch außerhalb ihrer Wohnung vor Zufallsbegegnungen mit dem Täter im Alltag gewarnt.

Das spanische Erfolgsmodell rettete Hunderte Leben

In Spanien ist die Zahl getöteter Frauen seit der Fußfessel-Einführung um 25 Prozent zurückgegangen, statistisch könnten in Deutschland demnach jedes Jahr etwa 40 Frauen durch die Fußfessel gerettet werden. Die Technologie ist auch in der Bundesrepublik vorhanden, ausgereift und einsatzbereit.

Zu Jahresbeginn stimmte der Bundesrat einer hessischen Initiative zum besseren Schutz vor häuslicher Gewalt zu. Dazu soll unter anderem das spanische Modell der elektronischen Fußfessel bundesweit im Gewaltschutzgesetz verankert werden. Einen Zeitrahmen gibt es dafür bisher jedoch nicht. Auf Länderebene setzen bereits Sachsen und Hessen das spanische Modell ein, Abgeordnete im Saarland haben einen entsprechenden Antrag gestellt.

In einem exklusiven Interview mit der Redaktion des WEISSEN RINGS erklärte die Staatsanwältin Teresa Peramato den Erfolg des spanischen Modells für den Opferschutz, die abschreckende Wirkung und das Sicherheitsgefühl der teilnehmenden Frauen.

Spanisches Fußfessel-Modell wird erstmals in Sachsen eingesetzt

Erstellt am: Mittwoch, 8. Januar 2025 von Sabine
Die elektronische Fußfessel des Täters kommuniziert mit einer GPS-Einheit, die die Betroffene bei sich trägt. Foto: Andreas Arnold/dpa

Die elektronische Fußfessel des Täters kommuniziert mit einer GPS-Einheit, die die Betroffene bei sich trägt. Foto: Andreas Arnold/dpa

Datum: 08.01.2025

Spanisches Fußfessel-Modell wird erstmals in Sachsen eingesetzt

Um Frauen besser vor Gewalt zu schützen, machen sich Hessen und der WEISSE RING für einen erweiterten Einsatz elektronischer Fußfesseln stark. In Sachsen wird die Technik jetzt erstmalig eingesetzt.

Dresden/Wiesbaden – In Sachsen wird erstmals eine Fußfessel nach spanischem Modell angewandt, um eine Frau vor häuslicher Gewalt zu schützen. Gegen ihren vorbestraften Ex-Mann sei ein Kontakt- und Annäherungsverbot verhängt worden, das mit Hilfe der Fußfessel kontrolliert werde, teilten die sächsische Justizministerin Constanze Geiert und ihr hessischer Amtskollege Christian Heinz (beide CDU) mit. Es sei deutschlandweit das erste Mal, dass diese Technik zum Einsatz kommt.

Hessen habe die Fußfessel der neuen Generation voriges Jahr eingeführt. In dem Bundesland ist auch die Gemeinsame elektronische Überwachungsstelle der Länder (GÜL) angesiedelt. Deren Aufgabe ist die Überwachung der Fußfesselträger.

Im spanischen Modell werden nach Angaben der Ministerien keine festen Verbotszonen überwacht, sondern das Opfer befinde sich in Bewegung. Es trage eine GPS-Einheit mit sich, die mit der elektronischen Fußfessel des Täters kommuniziere. Das System überwache die Standorte. Begegnen sich Opfer und Täter, werde ein Alarm ausgelöst.

Hessen hat die Fußfessel der neuen Generation, mit der das spanische Modell umsetzbar ist, im vergangenen Jahr eingeführt. Die Länder können sie in den Fällen der so genannten Führungsaufsicht schon jetzt anwenden. Dabei handelt es sich um eine Maßnahme, die nach einer Haftstrafe angewendet werden kann. „So können wir das Schutzniveau der Opfer bereits jetzt bei der strafrechtlichen Führungsaufsicht signifikant erhöhen. Damit solche Fälle von häuslicher Gewalt gar nicht erst entstehen können, brauchen wir eine Änderung im Gewaltschutzgesetz, um mögliche Opfer präventiv zu schützen. Der Bundesrat hat sich mit Hessens Initiative eindeutig hierzu positioniert, jetzt muss die Bundesregierung handeln“, sagte Hessens Justizminister Christian Heinz.

WEISSER RING fordert spanisches Modell

Auch der WEISSE RING hatte die Bundesregierung mehrfach in Brandbriefen aufgefordert, die Fußfessel nach dem spanischen Modell in Deutschland einzuführen, um Frauen besser vor häuslicher Gewalt schützen zu können. In dem iberischen Land hat sich die Zahl getöteter Frauen seit der Fußfessel-Einführung um 25 Prozent reduziert, statistisch könnten in Deutschland demnach jedes Jahr gut 40 Frauen durch die Fußfessel gerettet werden.

Anne und ihr kleiner Sohn Noah sind auf einem schwarz-weiß Foto. Der Ex-Mann tötete beide in ihrem Auto, mit einem Messer. In Deutschland kommt es alle drei Tage zu einem Femizid.

Chronik eines angekündigten Todes

Alle drei Tage tötet in Deutschland ein Mann seine (Ex-)Frau. Tut der Staat genug, um diese Frauen zu schützen? Der Fall von Anne, die 2017 gemeinsam mit ihrem kleinen Sohn Noah getötet wurde, zeigt: Nein, tut er nicht.

Bundesrat stimmt für spanisches Fußfessel-Modell

Erstellt am: Montag, 6. Januar 2025 von Sabine

Foto: Christian J. Ahlers

Datum: 06.01.2025

Bundesrat stimmt für spanisches Fußfessel-Modell

Um Frauen besser vor Gewalt zu schützen, machen sich Hessen und der WEISSE RING für einen erweiterten Einsatz elektronischer Fußfesseln stark. Nun kommt Rückendeckung von den übrigen Bundesländern.

Wiesbaden/Mainz – Der Bundesrat hat einer hessischen Initiative zum besseren Schutz vor häuslicher Gewalt zugestimmt. Dazu soll unter anderem das spanische Modell der elektronischen Fußfessel bundesweit im Gewaltschutzgesetz verankert werden.

Der wesentliche Unterschied zum bisherigen Einsatz der Elektronischen Aufenthaltsüberwachung besteht darin, dass keine vordefinierten, festen Verbotszonen überwacht werden, sondern sich das zu schützende Opfer in Bewegung befindet. Damit werden Frauen auch außerhalb ihrer Wohnung vor Zufallsbegegnungen mit dem Täter im Alltag gewarnt.

„Jeden Tag müssen mehr als 700 Menschen in Deutschland häusliche Gewalt über sich ergehen lassen“, erklärte Hessens Justizminister Christian Heinz (CDU). Die Fußfessel nach dem spanischen Modell könne Leben retten. Einen Referenten-Entwurf der Bundesregierung zu diesem Modell im Gewaltschutzgesetz nannte der Minister „einen ersten Schritt“.

Spanische Frauen demonstrieren gegen Machismo. Nun soll eine elektronische Fußfessel vor Gewalt schützen.

So funktioniert die elektronische Aufenthaltsüberwachung in Spanien

Spanien gilt als Vorreiter bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Mit GPS-gestützten Armbändern schützt das Land Opfer vor Gewalttätern. Ist das spanische Modell ein Vorbild für Deutschland?

WEISSER RING fordert spanisches Modell

Er begrenze bislang das Tragen der Fußfessel jedoch auf drei Monate. „Das ist aus unserer Sicht sehr kurz“, erklärte Heinz. „Außerdem sieht er bei Verstößen gegen das Tragen lediglich Ordnungsgelder vor, auch das ist nur ein stumpfes Schwert.“

Hessen führt derzeit eine neue Überwachungstechnik ein. „Das spanische Modell können wir bereits bei der Führungsaufsicht und bei allen bisherigen Fällen anwenden“, erläuterte der Justizminister. „Jedoch bleibt es uns momentan verwehrt, die Opfer von häuslicher Gewalt über einen längeren Zeitraum zu schützen.“

Auch der WEISSE RING hatte die Bundesregierung mehrfach in Brandbriefen aufgefordert, die Fußfessel nach dem spanischen Modell in Deutschland einzuführen, um Frauen besser vor häuslicher Gewalt schützen zu können. In dem iberischen Land hat sich die Zahl getöteter Frauen seit der Fußfessel-Einführung um 25 Prozent reduziert, statistisch könnten in Deutschland demnach jedes Jahr gut 40 Frauen durch die Fußfessel gerettet werden.

Nach Angaben des Bundesrates wird die Entschließung der Bundesregierung zugeleitet. Gesetzliche Vorgaben, wie und wann sich diese damit auseinandersetzen muss, gibt es nicht.

Abgeordnete im Saarland wollen Fußfessel bei häuslicher Gewalt

Erstellt am: Donnerstag, 5. Dezember 2024 von Sabine

Foto: Christian J. Ahlers

Datum: 05.12.2024

Abgeordnete im Saarland wollen Fußfessel bei häuslicher Gewalt

Die elektronische Fußfessel darf im Saarland voraussichtlich künftig auch zur Verhinderung von häuslicher Gewalt eingesetzt werden. Der saarländische Landtag beschloss nun einen entsprechenden Gesetzesentwurf.

Saarbrücken – Die elektronische Fußfessel darf im Saarland voraussichtlich künftig auch zur Verhinderung von häuslicher Gewalt eingesetzt werden. Der saarländische Landtag beschloss in erster Lesung einen entsprechenden Gesetzentwurf. Damit sollen schwere Verbrechen beispielsweise von Ex-Partnern verhindert werden. Der von der oppositionellen CDU eingebrachte Gesetzentwurf fand auch die Zustimmung der SPD-Regierungsmehrheit.

Spanische Frauen demonstrieren gegen Machismo. Nun soll eine elektronische Fußfessel vor Gewalt schützen.

So funktioniert die elektronische Aufenthaltsüberwachung in Spanien

Spanien gilt als Vorreiter bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Mit GPS-gestützten Armbändern schützt das Land Opfer vor Gewalttätern. Ist das spanische Modell ein Vorbild für Deutschland?

Die Abgeordnete Anja Wagner-Scheid (CDU) verwies darauf, dass im vergangenen Jahr in Deutschland 155 Frauen von ihren früheren Partnern umgebracht worden seien: „Wir wollen die elektronische Fußfessel dann möglich machen, wenn ein Näherungsverbot oder ein Kontaktverbot nicht eingehalten wird.“

Wenn in besonders schweren Fällen Leib und Leben der Frau oder der Kinder gefährdet seien, soll die Fußfessel auch ohne vorheriges Kontaktverbot angeordnet werden können. Die Abgeordnete Sevim Kaya-Karadag (SPD) sagte: „Es kann nicht sein, dass Frauen Angst haben müssen, ihre Häuser zu verlassen oder die Kinder in den Kindergarten zu bringen.“

Die Zeit für die Fußfessel ist jetzt!

Erstellt am: Montag, 25. November 2024 von Sabine

Foto: Christian J. Ahlers

Datum: 25.11.2024

Die Zeit für die Fußfessel ist jetzt!

Angesichts des Ausmaßes von Gewalt gegen Frauen in Deutschland bekräftigt der WEISSE RING zum heutigen "Orange Day" seine Forderung zur schnellstmöglichen Einführung elektronischer Fußfesseln nach spanischem Vorbild bei häuslicher Gewalt.

Mainz – Angesichts des Ausmaßes von Gewalt gegen Frauen in Deutschland bekräftigt der WEISSE RING zum heutigen „Orange Day“ seine Forderung zur schnellstmöglichen Einführung elektronischer Fußfesseln nach spanischem Vorbild bei häuslicher Gewalt. Die Erfolgsquote bei den geschützten Frauen liege bei 100 Prozent, berichtet Deutschlands größte Opferhilfsorganisation in der kommenden Ausgabe ihres Magazins „Forum Opferhilfe“.

Seit der Einführung der Fußfessel habe sich „in der Tat kein Frauenmord an Nutzerinnen dieses Geräts ereignet“, bestätigt Teresa Peramato, Staatsanwältin bei der Sonderstaatsanwaltschaft gegen Gewalt an Frauen in Madrid der Redaktion des WEISSEN RINGS. Der Staatsanwaltschaft sei auch kein Fall bekannt, „in dem eine Benutzerin des Systems in irgendeiner Weise körperlich angegriffen worden wäre“, berichtet Peramato. Die Technologie stärke zudem das Sicherheitsgefühl der Frauen. Insgesamt konnte in Spanien die Zahl der getöteten Frauen seit der Einführung der elektronischen Fußfessel im Jahr 2009 um rund ein Viertel gesenkt werden. Beim spanischen Modell trägt nicht nur der potenzielle Täter eine Fußfessel, auch das Opfer ist mit einem elektronischen Empfänger ausgestattet. Das ermöglicht einen Schutz auch außerhalb definierter Bereiche wie Arbeitsstätte der Frau oder Kita des Kindes.

Erst vor wenigen Tagen hatten Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) gemeinsam mit dem Bundeskriminalamt ein Lagebild zu Straftaten gegen Frauen vorgestellt. Die traurige Bilanz für das Jahr 2023: Alle drei Minuten erlebt eine Frau oder ein Mädchen in Deutschland häusliche Gewalt. 360 Frauen und Mädchen wurden getötet – es gab also fast an jedem Tag ein weibliches Todesopfer. 155 dieser Frauen wurden durch ihre Partner oder Ex-Partner getötet – 22 Frauen mehr als im Jahr zuvor. Besonders traurig: Viele dieser Frauen haben sich zuvor schutzsuchend an den Staat gewandt und Kontakt- und Näherungsverbote erwirkt. Wie viele genau, wird statistisch nicht erfasst. Eine aufwändige Datenrecherche der Redaktion des WEISSEN RINGS hat jedoch gezeigt, dass in mehr als 100 im Jahr 2023 veröffentlichten Presseberichten über Femizid-Fälle bestehende Kontakt- und Näherungsverbote erwähnt wurden.

Harvard-Expertin bestätigt Wirksamkeit der Fußfessel

Einen weiteren Vorteil der elektronischen Fußfessel benennt Diane Rosenfeld. Sie lehrt an der Harvard School of Law und ist eine der führenden amerikanischen Expertinnen für die GPS-Überwachung von Tätern häuslicher Gewalt. „Schutzanordnungen allein bieten nur begrenzten und unzuverlässigen Schutz vor weiterem Missbrauch des Opfers durch den Täter“, schilderte Rosenfeld der Redaktion des WEISSEN RINGS. „Die GPS-Überwachung von Tätern setzt die Bedingungen einer Schutzanordnung durch und ermöglicht es den Strafverfolgungsbehörden, gefährliche Täter zur Rechenschaft zu ziehen.“ In den Vereinigten Staaten wird die GPS-Überwachung in mehr als der Hälfte der Bundesstaaten eingesetzt, um Frauen vor ihren gewalttätigen Partnern oder Ex-Partnern zu schützen. Die Harvard-Juristin setzt sich darüber hinaus dafür ein, dass in allen Fällen häuslicher Gewalt eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wird, damit Fälle, die auf eine potenzielle Tötungsabsicht hindeuten, mit der gebotenen Ernsthaftigkeit behandelt werden können. Die Drohung, den Partner zu töten und eine kürzlich erfolgte Trennung seien Alarmsignale. Rosenfeld sagt: „Morde im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt sind so vorhersehbar, dass sie vermeidbar sind.“

Auch die Bundespolitik erkennt zunehmend, dass es dringenden Handlungsbedarf gibt: So betonte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bei der Vorstellung des Lagebildes zu Gewalt gegen Frauen und Mädchen: „Neben harten Strafen brauchen wir verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings und elektronische Fußfesseln, damit die Täter ihr Verhalten tatsächlich ändern und sich betroffenen Frauen nicht mehr unbemerkt nähern können.“ Auch der CDU-Vorsitzende und Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz sprach sich in einer Videobotschaft zum „Orange Day“ auf dem sozialen Netzwerk „LinkedIn“ für den Einsatz der elektronischen Fußfessel aus. „Mit dieser Technologie können wir sicherstellen, dass gewalttätige Männer sich den Opfern nicht mehr nähern können“, sagte Merz. „Das funktioniert in Spanien. Das brauchen wir in Deutschland jetzt auch – zum Schutz von Mädchen und Frauen vor Gewalt.“

Das Team Medien & Recherche des WEISSEN RINGS recherchiert seit mehreren Jahren zum Thema elektronische Fußfessel, Mitarbeitende der Opferschutzorganisation machen sich bundesweit für den Einsatz der Technologie stark. In zwei Brandbriefen an die Politik hatte der WEISSE RING schon in den Jahren 2022 und 2023 „in höchster Dringlichkeit“ gefordert, Frauen besser zu schützen. Eine Antwort aus der Politik blieb jedoch aus. Besonders der inzwischen entlassene Bundesjustizminister Marco Buschmann und seine Partei, die FDP, hatten sich gegen eine bundeseinheitliche Verankerung der Fußfessel in Fällen häuslicher Gewalt im Gewaltschutzgesetz gesperrt.

Fesseln für mehr Freiheit

Erstellt am: Montag, 25. November 2024 von Torben

Fesseln für mehr Freiheit

Die Diskussion über die elektronische Aufenthaltsüberwachung in Deutschland geht weiter. Das spanische Modell der elektronischen Fußfessel gilt Befürwortern als erfolgreiches Vorbild.

Ein Foto mit Bundesfamilienministerin Petra Paus und Bundesinnenministerin Nancy Faeser

Petra Paus (links) und Nancy Faeser bei der Vorstellung des Lagebilds häusliche Gewalt. Foto: dpa

„Es geschieht an jedem dritten Tag“ hieß die Titelgeschichte in Ausgabe 04/2021, in der unsere Autoren Christoph Klemp und Karsten Krogmann die bewegende Geschichte von Anne und ihrem Sohn Noah erzählten, die beide wohl noch leben könnten, wenn der Staat sie besser vor Annes Ex-Mann, Noahs Vater, geschützt hätte. Die Redaktion recherchierte weiter zu den Schutzlücken bei häuslicher Gewalt in Deutschland, in Ausgabe 04/2023 fragten wir unter dem Titel „Außer Kontrolle: Ist die Fußfessel die Lösung?“ Seitdem diskutiert Deutschland parteiübergreifend über die Einführung der elektronischen Fußfessel zur Kontrolle von Kontakt- und Annäherungsverboten.

In Spanien sind durch dieses Erfolgsmodell wohl Hunderte Frauen gerettet worden (hier geht es zur Internetseite der spanischen Regierung zum Thema geschlechtsspezifische Gewalt). Die Technologie ist auch in Deutschland vorhanden, ausgereift und sofort einsatzbereit. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hat sich bereits dafür ausgesprochen, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Warum ist die elektronische Fußfessel zur Überwachung von Kontakt- und Annäherungsverboten noch immer nicht im deutschen Gewaltschutzgesetz verankert?

I.  Alarm beim Ortstermin

Wiesbaden im September, Hessische Zentrale für Datenverarbeitung (HZD): Hier wird heute eine Technologie präsentiert, die Leben retten kann. Das dynamische Modell der elektronischen Fußfessel hat in Spanien bereits Hunderte Frauen vor gewalttätigen Partnern und Ex-Partnern geschützt. Das Interesse an den kleinen schwarzen Geräten ist groß. Mehrere Kamerateams und Journalisten sind gekommen und blicken nun auf die große Leinwand in dem holzvertäfelten Raum. Davor steht Johannes Schabel – schwarzes Hemd, graues Jackett – und erklärt, was da zu sehen ist. Schabel ist Leiter des Verfahrens der elektronischen Aufenthaltsüberwachung in der HZD. Er ist damit so etwas wie der Herr über die Technik aller Fußfesseln in Deutschland.

Auf dem Foto hält Johannes Schnabel Geräte für die elektronische Aufenthaltsüberwachung in die Kamera.

Johannes Schabel bei der Präsentation der elektronischen Aufenthaltsüberwachung in Wiesbaden. Foto: Christian Ahlers

Das System, so erklärt es Schabel den Journalisten, habe vier verschiedene Sicherheitszonen:

1. Die Warn- oder Pufferzone

Im System geht die Meldung ein, dass Täter und Opfer sich annähern. „Da passiert erst mal nichts“, sagt Schabel, aber: „Die Kolleginnen und Kollegen in der GÜL würden dem Fall dann schon erhöhte Aufmerksamkeit widmen.“ Die GÜL, das ist die Gemeinsame Überwachungsstelle der Länder im hessischen Weiterstadt. Dort werden alle Fußfessel-Träger und die wenigen -Trägerinnen in ganz Deutschland überwacht: Straftäter oder Patienten aus forensisch-psychiatrischen Kliniken, die nach der Haft- oder Klinik-Entlassung weiter begleitet werden müssen.

2. Die Alarmzone

Kommt der Fußfesselträger der zu schützenden Person näher, als es ihm erlaubt ist, „gibt es wirklich einen aktiven Alarm“, so Schabel.  Bei der bisherigen Straftäter-Überwachung kontrolliert die Fußfessel per GPS-Tracker den Aufenthaltsort der Träger und meldet Verstöße dann, wenn eine Verbotszone betreten wurde. Mit dem neuen Modell, wie es auch in Spanien zum Einsatz kommt, werden nicht nur vordefinierte Verbotszonen überwacht, sondern: Die elektronische Fußfessel des Täters kommuniziert mit einer weiteren GPS-Einheit, die das Opfer bei sich trägt. Das System löst Alarm aus, wenn sich Straftäter und Opfer zu nahe kommen. Diese Verstöße, aber auch Beschädigungen der Fußfesseln sowie Akkuprobleme, leitet das System sofort an die GÜL weiter.

Das Foto zeigt Hessens Justizminister Christian Heinz. Er ist umgeben von Pressevertretern und Kameras.

Hessens Justizminister Christian Heinz ist Befürworter der elektronischen Fußfessel. Foto: Christian Ahlers

3. Die Funkzone

Nähern sich die Geräte auf eine Entfernung von 300 Metern, schlägt auch das Opfergerät Alarm. Das heißt: Jetzt erfährt die Betroffene, dass der Gefährder in der Nähe ist.

4. Der Panikknopf

Mit dem Panikknopf kann das Opfer Alarm auslösen und die Überwachungszentrale über eine Notsituation informieren. Die GÜL kann dann umgehend weitere Schritte zum Schutz der Betroffenen einleiten und zum Beispiel die Polizei rufen.

Beim Ortstermin in Wiesbaden übernimmt zu Demonstrationszwecken ein Mitarbeiter der HZD die Rolle des Angreifers, das potenzielle Opfer ist in diesem Fall der hessische Justizminister Christian Heinz (CDU). Der „Täter“ nähert sich von außerhalb des Gebäudes dem „Opfer“, die Journalisten können das auf einer digitalen Karte verfolgen. Als der Abstand kleiner wird, blinken auf einem Monitor nach und nach immer neue rote Warnungen auf. Der Justizminister drückt den Panikknopf.

Spanische Frauen demonstrieren gegen Machismo. Nun soll eine elektronische Fußfessel vor Gewalt schützen.

So funktioniert die elektronische Aufenthaltsüberwachung in Spanien

Spanien gilt als Vorreiter bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Mit GPS-gestützten Armbändern schützt das Land Opfer vor Gewalttätern. Ist das spanische Modell ein Vorbild für Deutschland?

„Wir brauchen endlich die elektronische Fußfessel nach dem spanischen Modell“, sagt Heinz. Hessen hat einen Antrag im Bundesrat auf Einführung der elektronischen Fußfessel im Gewaltschutzgesetz gestellt, die CDU/CSU-Fraktion einen entsprechenden Antrag im Bundestag. Der damalige Bundesvorsitzende und heutige Vize-Vorsitzende des WEISSEN RINGS, Dr. Patrick Liesching, ergänzt bei dem gemeinsamen Termin bei der HZD in Wiesbaden: „Durchschnittlich an jedem dritten Tag kommt es in Deutschland zur vollendeten Tötung einer Frau durch ihren Partner oder Ex-Partner.“ Die bisherigen Schutzmöglichkeiten seien offensichtlich nicht ausreichend.

Dass es hier eine klaffende gesetzliche Schutzlücke gibt, zeigen die aktuellsten Zahlen.

II.  Erschütternde Zahlen

Im Jahr 2024 haben Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) gleich zweimal erschreckende Zahlen präsentiert – mit den Lagebildern zu häuslicher Gewalt und Straftaten gegen Frauen. Die traurige Bilanz: In allen Bereichen hat die Gewalt gegen Frauen und Mädchen in Deutschland zugenommen. Alle drei Minuten wird eine Frau Opfer häuslicher Gewalt. 360 Frauen und Mädchen wurden 2023 getötet – es gab also fast an jedem Tag einen Femizid.

155 Frauen wurden im Jahr 2023 durch ihre Partner oder Ex-Partner getötet – 22 Frauen mehr als im Jahr zuvor. Wie viele dieser Frauen sich zuvor hilfesuchend an Behörden gewandt haben, wird statistisch nicht erfasst.

 

Auf dem Foto präsentiert eine Person eine elektronische Fußfessel am Fußgelenk.

Die Fußfessel ist in Spanien längst gängige Praxis. Foto: Christian Ahlers

Diane Rosenfeld hat sich intensiv mit den Bürgerrechten von Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt befasst. Sie lehrt an der Harvard School of Law und ist eine der führenden Expertinnen in den USA für die GPS-Überwachung von Tätern häuslicher Gewalt. In den Vereinigten Staaten wird die GPS-Überwachung in mehr als der Hälfte der Bundesstaaten eingesetzt, um Frauen vor ihren gewalttätigen Partnern oder Ex-Partnern zu schützen. Rosenfeld sagt: „Schutzanordnungen allein bieten nur begrenzten und unzuverlässigen Schutz vor weiterem Missbrauch des Opfers durch den Täter. Die GPS-Überwachung von Tätern setzt die Bedingungen einer Schutzanordnung durch und ermöglicht es den Strafverfolgungsbehörden, gefährliche Täter zur Rechenschaft zu ziehen.

Und Rosenfeld führt weiter aus: „Obwohl der Staat dem Empfänger einer Schutzanordnung scheinbar Freiheit und Schutz gewährt, zeigt ein kritischer Blick, dass dies in Wirklichkeit nicht viel ist. Stattdessen unterhält der Staat ein System von Ansprüchen, das die Bewegungsfreiheit des Mannes auf Kosten der Frau garantiert. Tatsächlich könnte man sagen, dass die einstweilige Verfügung den perversen Effekt hat, die Freiheit der Frau einzuschränken.“ Die Festlegung von Sicherheitsbereichen für die geschützte Person impliziert, dass sie außerhalb dieser Bereiche nicht geschützt ist. Das Signal: Solange Sie zu Hause bleiben, Ihr Kind in den Kindergarten bringen oder zur Arbeit gehen, sind Sie sicher. Ansonsten kann der Staat Sie leider nicht schützen. Das spanische Modell tut jedoch genau das: Es schützt Frauen, indem es ihren Aufenthaltsort auch außerhalb dieser definierten Bereiche dynamisch überwacht.

Bei der Präsentation der GPS-Fußfessel beim Ortstermin in Wiesbaden benennt Justizminister Christian Heinz die Vorteile des spanischen Modells für den Opferschutz so: „Das Opfer ist also nicht mehr feste Orte gebunden, wie die Wohnung, die Kita oder den Arbeitsplatz, sondern kann sich auch bewegen, in die Stadt gehen oder in einen anderen Ort fahren und wird alarmiert, wenn sich ein Täter nähert. Das war bisher technisch nicht möglich.“

IV. Bund-Länder-Pingpong

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat sich Herbst 2024 mehrfach öffentlich für die elektronische Fußfessel ausgesprochen. „Wenn die Täter mit einer elektronischen Fußfessel überwacht werden, kann die Polizei im Ernstfall schneller einschreiten und erneute Gewalt gegen Frauen besser verhindern“, erklärte sie im Oktober. Wer sich stets ablehnend äußerte gegenüber Forderungen nach einer bundesrechtlichen Fußfessel-Lösung im Gewaltschutzgesetz, war der ehemalige Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Zuletzt hatte er zwar in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) zumindest Gesprächsbereitschaft signalisiert, indem er sagte: „Auch Regelungen im Gewaltschutzgesetz kann ich mir grundsätzlich vorstellen.“ Ende 2023 hatte sein Ministerium noch auf Nachfrage der Redaktion des WEISSEN RINGS betont, dass die elektronische Fußfessel in Fällen häuslicher Gewalt Ländersache sei und in deren Polizeigesetze gehöre.

Als die Justizministerkonferenz ihn bereits im Mai 2023 aufforderte, die Verankerung der Fußfessel zur Überwachung von Kontakt- und Annäherungsverboten im Gewaltschutzgesetz zu prüfen, da spielte Buschmann den Ball nach einigen Monaten wieder zurück in die Länder. Die Prüfung habe ergeben, teilte sein Ministerium im November 2023 auf Anfrage der Redaktion des WEISSEN RINGS mit, dass „die Schaffung einer EAÜ-Anordnung im Gewaltschutzgesetz nicht geeignet wäre, um den angestrebten lückenlosen Opferschutz zu gewährleisten“. EAÜ bedeutet: elektronische Aufenthaltsüberwachung, besser bekannt als „Fußfessel“.

Auf einem Foto sind der ehemalige Bundesjustizminister Marco Buschmann und Außenministerin Annalena Baerbock während einer Sitzung des Bundestages zu sehen.

Der ehemalige Bundesjustizminister Marco Buschmann, hier während einer Sitzung des Deutschen Bundestags an der Seite von Außenministerin Annalena Baerbock, verwies beim Thema Fußfessel stets auf die Länder. Foto: dpa

Die Länder baten ihn bei der Innenministerkonferenz im 2024 Juni abermals, die rechtlichen Voraussetzungen für eine bundesweit einheitliche Möglichkeit des Einsatzes der elektronischen Aufenthaltsüberwachung zu schaffen. Seitdem sei in der Sache „leider wenig passiert, und Herr Buschmann sendet widersprüchliche Signale“, beklagte Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) noch im September im Gespräch mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“: „Wenn das so bleibt, werden wir auch in Niedersachsen darüber nachdenken müssen, den Einsatz der Fußfessel in solchen Fällen über das Niedersächsische Polizei- und Ordnungsgesetz zu ermöglichen.“ Aus dem Haus von Niedersachsens Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) hieß es indes, es bleibe dabei, dass die Ministerin „die Verortung der elektronischen Fußfessel in erster Linie im Gewaltschutzgesetz sieht“ – und damit im Zuständigkeitsbereich des Bundesjustizministers.

Zuletzt zog sich Buschmann darauf zurück, dass das Thema bereits Gegenstand einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe sei. Der Bundesjustizminister blieb also bei diesem Bund-Länder-Ping-pong – bis er am 7. November seine Entlassungsurkunde als Minister vom Bundespräsidenten entgegennahm.

Viele Bundesländer sehen mittlerweile den dringenden Handlungsbedarf: Nachdem in Berlin im August zwei Frauen binnen weniger Tage trotz Annäherungsverbots von ihren Ex-Lebensgefährten getötet worden waren, plädierte Berlins Justiz­senatorin Felor Badenberg (CDU) für Fußfesseln. „Wir müssen endlich etwas gegen diese brutalen Morde von Männern an Frauen tun“, sagte die CDU-Politikerin und sprach von „purem Frauenhass“. Auch sie appellierte an Buschmann, die Fußfessel in das Gewaltschutzgesetz aufzunehmen, und prüfte gleichzeitig auf Landesebene, ob und wie gesetzliche Änderungen und Präventivmaßnahmen angepasst werden können. Eines stehe fest: „So kann und darf es nicht weitergehen!“

Der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) sagte dem Magazin „buten un binnen“: „Es gibt die Möglichkeit, Partner aus der Wohnung zu verweisen, es gibt Gefährderansprachen – wir haben ein enges Netzwerk, das heißt: Es gibt eine Risikobewertung durch die Polizei und, und, und… Und dennoch müssen wir feststellen, alle diese Maßnahmen reichen nicht.“ Mäurer ist überzeugt vom spanischen Modell, ebenso wie Bremens Frauensenatorin Claudia Bernhard (Linke). Das Polizeigesetz soll in Bremen noch in diesem Jahr entsprechend geändert werden, hieß es. Auch Schleswig-Holsteins Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) sagte den „Kieler Nachrichten“, dass man über die elektronische Fußfessel diskutieren müsste.

Auf einem Foto filmt eine Kamerafrau Gegenstände. Sie gehören zur Fußfessel-Technik.

Die Lösung liegt buchstäblich auf dem Tisch: Präsentation der Fußfessel-Technik in Wiesbaden. Foto: Christian Ahlers

Beim Ortstermin in Wiesbaden vergleicht Hessens Minister Heinz die aktuelle Situation mit den Polizeigesetzen allerdings mit einem „Flickenteppich“. Es könne doch nicht im Sinne des Gesetzgebers sein, dass vom Wohnort der Frauen abhänge, ob sie geschützt werden. Recherchen des WEISSEN RINGS haben zudem ergeben, dass einer Anordnung nach dem Landespolizeigesetz häufig sehr hohe rechtliche Hürden entgegenstehen und zumeist nur eine kurzzeitig befristete Überwachung möglich ist. So wurde zum Beispiel in Hamburg seit 2019 nur ein einziges Mal das Tragen einer Fußfessel wegen Beziehungsgewalt angeordnet – und der Beschluss anschließend wieder vom Oberlandesgericht Hamburg gekippt. „Das spanische Modell könnte uns helfen, Fälle von häuslicher Gewalt zu vermeiden“, sagt der CDU-Politiker Heinz. „Von der Vorsorge einer möglichen Gefahr bis hin zur Kontrolle nach einer Haftstrafe – alle Schutzlücken wären somit geschlossen.“ Die Erfahrung damit belege es. „Die Bundesregierung sollte jetzt endlich handeln.“

V. Ausblick

Teresa Peramato bekommt häufig Besuch von Delegationen aus anderen Ländern, die sich für das spanische Modell der Fußfessel interessieren. Eine Schweizer Delegation hat es sich bei einem Besuch im Januar 2023 erklären lassen. Die Besucher aus dem Kanton Zürich zeigten sich danach nicht nur nachhaltig beeindruckt, sondern handelten. Der Kanton startete noch im selben Jahr ein Pilotprojekt und ermöglichte den Einsatz des dynamischen Fußfessel-Modells. Das Pilotprojekt war bei Redaktionsschluss noch nicht abgeschlossen.

Aus Deutschland hat sich bislang nur eine Spitzenpolitikerin aus der Bundespolitik für die Arbeit der Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft in Madrid interessiert: Am 11. Februar 2022 war Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) mit einer Delegation zu Besuch. „Die Ministerin interessierte sich sehr für die Entwicklung der spanischen Gesetzgebung im Bereich der geschlechtsspezifischen Gewalt und für das Vorgehen der spanischen Staatsanwaltschaft“, berichtete Teresa Peramato.

Anne und ihr kleiner Sohn Noah sind auf einem schwarz-weiß Foto. Der Ex-Mann tötete beide in ihrem Auto, mit einem Messer. In Deutschland kommt es alle drei Tage zu einem Femizid.

Chronik eines angekündigten Todes

Alle drei Tage tötet in Deutschland ein Mann seine (Ex-)Frau. Tut der Staat genug, um diese Frauen zu schützen? Der Fall von Anne, die 2017 gemeinsam mit ihrem kleinen Sohn Noah getötet wurde, zeigt: Nein, tut er nicht.

Und dann geschah nichts mehr. Technisch ist das Modell hier in Deutschland sofort umsetzbar, das zeigt der Termin bei der HZD in Wiesbaden sehr anschaulich. In Spanien hat sich die Zahl getöteter Frauen seit der Fußfessel-Einführung um 25 Prozent reduziert, statistisch könnten in Deutschland demnach jedes Jahr gut 40 Frauen durch die Fußfessel gerettet werden. Politisch wird in Deutschland seit Monaten diskutiert, aber nicht gehandelt. Ein Schlag ins Gesicht der Opfer, die sich in ihrer Not schutzsuchend an den Staat wenden, der den Aggressoren dann doch nur ein Stück Papier zukommen lässt.

Die Harvard-Juristin Diane Rosenfeld setzt sich dafür ein, dass in allen Fällen häuslicher Gewalt eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wird, damit Fälle, die auf eine potenzielle Tötungsabsicht hindeuten, mit der gebotenen Ernsthaftigkeit behandelt werden können. Die Drohung, den Partner zu töten und eine kürzlich erfolgte Trennung sind beispielsweise zwei dieser Faktoren. Rosenfeld sagt: „Morde im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt sind so vorhersehbar, dass sie vermeidbar sind.“

Auch Innenministerin Faeser spricht sich für die elektronische Fußfessel aus

Erstellt am: Donnerstag, 24. Oktober 2024 von Sabine

Bundesinnenministerin Nancy Faeser wünscht sich „viel entschlosseneres Handeln“. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Datum: 24.10.2024

Auch Innenministerin Faeser spricht sich für die elektronische Fußfessel aus

Immer mehr Frauen und Mädchen werden Opfer von Gewalt. Neben dem WEISSEN RING und Hessens Justizminister Christian Heinz spricht sich jetzt auch Innenministerin Faeser für die elektronische Überwachung von Tätern aus.

Berlin/Mainz – Die Gewalt gegen Frauen und Mädchen nimmt in Deutschland laut Polizeistatistik stark zu. Wie eine Sonderauswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik zeigt, wurden im vergangenen Jahr 62.404 Mädchen und Frauen Opfer einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Dazu zählen etwa Vergewaltigung und sexuelle Nötigung.

Im Vorjahr zählten die Polizeibehörden 58.900 weibliche Opfer entsprechender Straftaten. Im Jahr 2015 waren der Polizei, was dieses Delikt betrifft, bei dem von einem großen Dunkelfeld auszugehen ist, 32.460 weibliche Opfer bekanntgeworden.

Eine deutliche Zunahme gab es 2023 den Angaben zufolge auch bei der Zahl der weiblichen Opfer von Straftaten gegen die persönliche Freiheit. Bei diesen Delikten, zu denen unter anderem die Zwangsprostitution gehört, wurden demnach im vergangenen Jahr Fälle mit mehr als 148.000 weiblichen Opfern aktenkundig. Zum Vergleich: Im Vorjahr zählte die Polizei hier bundesweit rund 134.000 weibliche Opfer. Im Jahr 2013 waren rund 106.000 Frauen und Mädchen betroffen.

Faeser wünscht sich „viel entschlosseneres Handeln“

„Die gestiegene Gewalt gegen Frauen ist unerträglich und fordert ein noch viel entschlosseneres Handeln“, kommentiert Bundesinnenministerin Nancy Faeser die Zahlen. Die SPD-Politikerin sagt: „Wir brauchen harte Strafen, die elektronische Fußfessel und verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings.“ Wer ein solches Training verweigere, müsse dann empfindliche Sanktionen erhalten. Es sei gut, dass das verpflichtende Anti-Gewalt-Training, das sich in Österreich bewährt habe, nun Teil des von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) vorgelegten Entwurfs zur Reform des Kindschaftsrechts sei.

Über elektronische Fußfessel muss Justizressort entscheiden

Faeser hatte bereits bei der Innenministerkonferenz von Bund und Ländern im Juni gesagt, Verbote für Täter, die Wohnung zu betreten und sich der von Gewalt betroffenen Frau zu nähern, müssten „konsequent durchgesetzt und engmaschig kontrolliert werden“. Dazu sei sie bereits im Austausch mit Buschmann. Außerdem sollten Täter mit einer elektronischen Fußfessel überwacht werden.

Das Bundesinnenministerium setze sich innerhalb der Bundesregierung dafür ein, dass das Gewaltschutzgesetz um die Möglichkeit der Anordnung von „verpflichtender Täterarbeit“ und elektronischer Aufenthaltsüberwachung ergänzt werde, sagte eine Sprecherin. Zur elektronischen Fußfessel sei man mit dem für das Gesetz zuständigen Justizressort in engem Austausch.

WEISSER RING fordert „spanisches Modell“ in Deutschland

Recherchen der Redaktion des WEISSEN RINGS haben gezeigt, dass Annäherungsverbote nach dem Gewaltschutzgesetz Tausendfach ignoriert und kaum verfolgt werden. Allein im Jahr 2023 zählten die Behörden bundesweit 6.483 Verstöße. Der WEISSE RING, Deutschlands größte Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer, fordert deshalb schon lange eine Aufnahme der elektronischen Überwachungsmöglichkeit ins Gewaltschutzgesetz, so wie es in Spanien bereits erfolgreich umgesetzt wird. Seit 2009 können spanische Gerichte das Tragen einer elektronischen Fußfessel anordnen, um Annäherungsverbote zu überwachen. Täter und Opfer tragen dabei ein elektronisches GPS-Gerät bei sich. Beim Täter ist es am Körper fixiert, die zu schützende Person trägt es wie ein Smartphone bei sich.

Sobald der Abstand zwischen beiden weniger als 500 Meter beträgt, schlägt das System Alarm, und die Polizei kann schnell reagieren. Die Leitstelle lotst die Polizei zum Einsatzort. Die Polizei wird auch alarmiert, wenn das elektronische Armband entfernt wird oder defekt ist.

„In Spanien ist es gelungen, die Zahl der Femizide um 27 Prozent zu senken“, sagt Dr. Patrick Liesching, stellvertretender Bundesvorsitzender des WEISSEN RINGS. „Unter den Teilnehmerinnen des Überwachungsprogramms ist sogar kein einziger Todesfall bekannt. Es ist deshalb höchste Zeit, eine bundesgesetzliche Regelung auch in Deutschland zu schaffen.“ Statistisch hätte eine solche Überwachung im vergangenen Jahr 40 Frauen das Leben retten können, so Liesching weiter.

Der WEISSE RING und Hessens Justizminister Christian Heinz (CDU) regen ein solches Modell auch für Deutschland an und haben eine entsprechende Initiative in den Bundesrat eingereicht. Ende September hat das Gremium den Vorschlag zur Prüfung an die Ausschüsse weitergeleitet.

Im August dieses Jahres hatte sich Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hatte erstmals „offen“ gezeigt für eine bundeseinheitliche Regelung zum Einsatz der elektronischen Fußfessel bei Gewalttätern in Fällen häuslicher Gewalt.